Golf:Der Geist aus der Karaffe

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Harte Wiesen, fiese Bunker - und dann erst das Wetter: Der Nordire Rory McIlroy auf dem diesjährigen Kurs, Royal Birkdale, in Southport. (Foto: Dan Mullan/Getty Images)

Schläger, Bälle, los geht's - bei den British Open hat sich die Seele des Golfsports bewahrt. Die wirtschaftliche Entwicklung macht vor der Tradition aber nicht halt.

Von Gerald Kleffmann, Southport/München

Mit einem Tod fing alles an. 43 Jahre alt war Allan Robertson, als er 1859 starb. Alle waren sich damals einig: Der Schotte war der beste Golfer gewesen. Aber jetzt? Wer sollte der Nachfolger des Golfballherstellers sein? Wer wäre würdig, nun als Nummer eins zu gelten? Manche sagten: Der Größte ist Willie Park aus Musselburgh. Nein, Tom Morris Senior, sagten andere. Die Nächsten fanden: Robert Andrew aus Perth sei besser. Oder George Daniel Brown aus London. Da sich eine Antwort nur auf einem Platz finden lassen würde, wurde als Erster James Ogilvy Fairlie von Coodham tätig.

Der Major war, wie das Golf International Magazine mal in den Archiven recherchierte, ein Anpacker: Soldat, Landbesitzer, Kapitän in St. Andrews, ein guter Organisator. 1851 hatte Fairlie bereits den Prestwick Golfclub mitbegründet, nun sollte er einen Wettkampf initiieren, der heute noch existiert. Der gerade vier Tage lang, bis zu diesem Sonntag, Millionen Fans in aller Welt fasziniert. Er rief Golfclubs auf, bis zu drei Spieler zu stellen, als Preis wurde ein Gürtel namens Challenge Belt ausgerufen. Am 17. Oktober 1860 war es so weit: Nicht 156 Spieler wie heute im Royal Birkdale Golf Club traten an, die meisten Einkommensmillionäre, nicht Zehntausende liefen mit, um ihre Helden zu sehen - acht Spieler waren es, die sich beim Red Lion Inn einfanden, um an nur einem Tag drei Runden zu absolvieren, selbst ein Mittagessen wurde abgehalten. Das Gute war ja, wie Golf Today süffisant dazu schrieb: Es gab noch kein langsames Spielen.

Das erste Siegerergebnis lautete: 55+59+60 Schläge, es wurde nur jeweils eine Runde über zwölf Bahnen gedreht. Willie Park Senior setzte sich durch, um zwei Schläge vor Tom Morris Senior. Der Kurs des Prestwick Golf Club war fordernd, viele Schläge mussten blind gespielt werden, die Akteure konnten aufgrund der Hügel nicht sehen, wo die Bälle landeten. Der Ayrshire Advertiser berichtete, wie sehr vor allem Morris haderte, und doch war dieses Ereignis ein Erfolg. Nur ein Jahr später wurde es allen in der Welt erlaubt teilzunehmen, und so stieg die Starterzahl um 50 Prozent an: 1861 meldeten sich zwölf Spieler an zur "Open Championship".

Seit dem vergangenen Donnerstag findet bis zum Sonntag nun die 146. Open statt; in Deutschland wird das unbestritten wichtigste, größte, renommierteste Turnier Europas gerne als British Open bezeichnet, um es zu lokalisieren. Aber in Großbritannien, ja in der Golfbranche überall, spricht jeder nur von der Open. Weil jeder weiß: Das ist die wahre. Titelverteidiger Henrik Stenson aus Schweden sagte jüngst: "Ich hätte jedes Major genommen, klar. Aber die Open war die Nummer eins. Immer. Mein Traum wurde wahr." Der Deutsche Martin Kaymer, der zwei Majors gewann, die US PGA Championship und die US Open, unterstrich: "Historisch gesehen ist der Sieg von Henrik der wichtigste." Die Profis schätzen das, wofür das dritte Major jedes Jahres steht. Die Open ist, sportlich betrachtet, immer das puristischste Golfturnier gewesen, das traditionsreichste ohnehin, und hat sich den Charakter bewahrt. Obwohl längst seit Jahrzehnten diese Sportart vermarktet wird wie nur wenige andere.

Titelverteidiger Stenson hat den Claret Jug so lieb gewonnen, dass er ihn kaum hergeben mag

Eine kaufmännische Entwicklung machte aber natürlich auch nicht vor der Open halt. Das lässt sich allein am Stand des Preisgeldes ablesen. Martin Slumbers, Vorstand der mächtigen Organisation The R&A in St. Andrews, die maßgeblich die Golfregeln und den Takt vorgibt, sagte Anfang des Jahres der BBC: "Wir operieren in einem wachsenden globalen Markt und haben die Entscheidung getroffen, das Preisgeld in US Dollar auszureichen - als Anerkennung dafür, dass dies die weitreichend ausgehändigte Währung für Preisgeld im Golf ist." Der Champion am Sonntag wird demnach 1,845 Millionen Dollar erhalten, der Zweite 1,067 Millionen. Und doch wird der Champion sicher nur von einem anderen Preis reden: dem Claret Jug. Als der Amerikaner Phil Mickelson 2013 in Muirfield siegte, nahm er diese kleine Weinkaraffe überall hin mit, trank edelste und sündteure Tropfen daraus. Stenson, der den Pokal nun ein Jahr lang besessen hat (das Original steht immer in St. Andrews, die Sieger erhalten immer einen Pokal, den sie beim nächsten Turnier zurückgegeben müssen), wurde er bei der Rückkehr sentimental. Er habe den Claret Jug lieb gewonnen wie ein Familienmitglied. Dabei ist diese Trophäe nicht so schön, dass man beim Anblick vor Freude weinen müsste. Es ist ihre Symbolkraft, die strahlt. Seit 1872 wird der Claret Jug überreicht, denn als Young Tom Morris, der Sohn von Old Tom Morris, dreimal die Open gewonnen hatte, durfte er endgültig den Gürtel behalten. Ein neuer Preis musste her, so spendeten Clubs jeweils zehn Pfund, für die Herstellung der Karaffe. Materiell ist sie kein Schatz. Und doch ist der Wert einzigartig.

Das hat vor allem damit zu tun, dass die Open das älteste Major ist. Dass Schottland als die Wiege des Golfsports gilt. Dass die Open als das ursprünglichste Turnier gilt, beim Kampf, den Ball einzulochen. Die Veranstaltung rotiert mittlerweile zwischen zehn Anlagen - fünf in Schottland, vier in England, eine in Nordirland - , die keine modernen Designer-Courses sind, sondern der Natur angepasste. Die Kurse sind eher harte grünbraune Wiesen mit fiesen Bunkern und welligen Grüns und Wind, Regen, was auch immer bläst und tropft auf der Insel. Schläger, Bälle, los geht's, so war anfangs das Prinzip des Wettkampfs, bei der Open lebt dieser Gedanke wie nirgendwo anders. Reist man an, fällt erst im letzten Moment auf, dass doch ein wichtiges Event stattfindet. Weil ein paar hohe Kräne für TV-Kameras in den Himmel ragen und Stahltribünen an den Bahnen stehen. Viel mehr Set-up ist nicht.

Wenn vom Mythos der Open geredet wird, ist das also richtig, es gibt ihn. Aber dieser Mythos ist andererseits auch nur die Verschlankung einer riesigen Sportveranstaltung auf die Seele, auf den Kern ihres Sports. Wenn Schlachten im Mann-gegen-Mann-Stil entstehen, wie 1977, als sich die Amerikaner Jack Nicklaus und Tom Watson im als "duel in the sun" berühmt gewordenen Duell bekämpften, oder wie 2016, als Stenson ähnlich furios mit Mickelson über die Bahnen zog, ist die Essenz des Golfspiels aufs Wesentlichste reduziert. Und nirgends wird dem Publikum so viel Sachverstand nachgesagt. Jeder Spieler wird respektiert.

Genau dieses Back-to-the-roots-Gefühl lieben die Spieler, vereint im Kampf mit sich und den Gezeiten, früher, heute. "Für die Open würde ich einen Monat früher losreisen und dorthin schwimmen", sagte Lee Trevino, der in den Siebzigern zwei Titel errang. Und Arnold Palmer, der so viel gewann, versicherte mal: "Ohne einen Open-Sieg hätte ich mich nicht als vollständiger Professional gefühlt."

© SZ vom 22.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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