Gewichtheben:Eisen und andere Lasten

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Matthias Steiner ist der gefeierte Motor des Gewichtheber-Aufschwungs - jetzt erlebt er, was es heißt, als Olympiasieger zu verlieren.

Thomas Hahn

Manchmal huscht doch ein Ausdruck von Ungeduld übers freundliche Mondgesicht des starken Mannes. Matthias Steiner hat verloren bei den deutschen Meisterschaften der Gewichtheber, im Reißen zwar nur, weil sein Nationalmannschaftskollege Almir Velagic bei geringerem Körpergewicht genauso viel Eisen in die Höhe gebracht hat wie er (190 Kilo). Trotzdem ist das natürlich unerhört. Er, Steiner, Olympiasieger im Superschwergewicht, verliert gegen seinen leichteren Freund Velagic. "Ich sag's zum hundertsten Mal", sagt Steiner, "weil ich nicht frisch bin."

Der stärkste Mann der Welt - Matthias Steiner. (Foto: Foto: dpa)

Und dann führt er nochmal aus, dass ihn die Leistenoperation Anfang des Jahres wertvolle Trainingszeit gekostet habe, dass er deshalb fünf Wochen vor der WM in Goyang/Südkorea nicht in der gleichen Form sei wie vergangenes Jahr vor Olympia, dass man die Niederlage nicht zu hoch hängen möge usw. Aber er findet dabei sehr schnell wieder zurück in den friedlichen Fluss seiner Rede. Bleibt, bis auch die letzte Frage gestellt ist, verteilt geduldig Autogramme, zahlt gewissenhaft den Preis für seine neue Popularität.

In der Lobdengauhalle zu Ladenburg hat sich das am Freitagabend zugetragen, und es ist die Szene einer vollzogenen Verwandlung gewesen. Was sind die deutschen Gewichtheber zu Beginn des Olympiajahres 2008 noch für ein trauriges Völkchen gewesen im Blick der breiten Öffentlichkeit. Verlassen von einer ganzen Generation früherer Erfolgsheber, versunken im Leistungsloch, welches sich im Schatten solch begnadeter Kraftsportler wie Ronny Weller, dem Olympiasieger von 1992, aufgetan hatte.

Mancher nahm am Rande wahr, dass der Fachverband BVDG Hoffnungen in einen gewissen Steiner setzte, einen seit 2.Januar eingebürgerten Diabetiker aus Obersulz/Niederösterreich, der mit dem Training auf die Spiele die tiefe Trauer über den Unfalltod seiner Ehefrau Susann bekämpfte. Steiner wurde EM-Zweiter, steigerte im Juli beim Olympiatest seinen Zweikampfrekord auf 451 Kilo, aber war immer noch kein sehr bekannter Mann. Dann gewann er in Peking Gold mit 461 Kilo. Zur Siegerehrung brachte er das Bild seiner verstorbenen Frau mit. Die Nation war gerührt.

Ein bisschen berühmt

Und jetzt, im zweiten Herbst nach dem Steiner-Gold, wirkt der ganze Verband wie wachgeküsst. Im Frühjahr, als Steiner wegen seiner Leistengeschichte pausierte, ist Jürgen Spieß vom AV 03 Speyer Europameister in der Klasse bis 94 Kilo geworden, Spieß' Vereinskollege Velagic EM-Zweiter - beide im Steiner-Sog, wie es heißt und wie beide gerne bestätigen. "Natürlich motiviert das", sagt Velagic, "man hat gesehen, man kann ein bisschen berühmt werden."

Der BVDG hat Plakate mit den Dreien anfertigen lassen, auf denen er selbstbewusst verkündet: "Weltklasse für Deutschland". Sein Motto für diese Olympiade lautet: "Working on a dream. London 2012. Wir schaffen das!" Und das Interesse ist sprunghaft gestiegen, vor allem an Steiner, der berichtet: "Bei meinem Management brummt wirklich die Küche." In Ladenburg waren knapp 40 Journalisten und fünf Fernsehteams akkreditiert. Vor Peking? Spieß erinnert sich ans Medienaufkommen bei der Olympia-Qualifikation: "Da waren fünf Leute da."

Höchstleistungen und eine außergewöhnliche Biographie sind die Zutaten dieses Medienerfolgs. Allein an der Schönheit des Gewichthebens liegt der Zuspruch jedenfalls nicht, was man schon daran sieht, dass in Ladenburg auch Steiners Freundin, die Moderatorin Inge Posmyk, eine gefragte Interview-Partnerin war. Die Heber selbst stört das gar nicht. Erstens weil ihre aktuelle Kampagne offensichtlich ohnehin nicht auf tiefere Inhalte angelegt ist; Sportdirektor und Bundestrainer Frank Mantek hat im September ein ausführliches SZ-Interview zur Frage: Wie macht man den stärksten Mann der Welt? "aus zeitlichen Gründen" ersatzlos abgesagt. Zweitens weil es in dieser Phase ohnehin nichts zu beklagen gibt für die BVDG-Gemeinde. Binnen eines Jahres vom Außenseiter zur Traumfabrik - eine solche Entwicklung wünscht sich jeder Randsportverband.

Ein Selbstläufer ist die Situation trotzdem nicht, und natürlich bekommt das vor allem die Hauptfigur des Hochs zu spüren. Matthias Steiner, 27, hat seit Mai kaum etwas anderes getan als trainiert, richtiggehend abgetaucht war er nach dem Trubel, und in dieser Phase konnte er sich mit der Tatsache vertraut machen, dass der Alltag als Olympiasieger schwer wird, erst recht nach der Verletzung. Aber wenn das Eisen dann tatsächlich zu früh fällt, das Publikum seufzt, die Fragen nach dem Warum kommen, die Enttäuschung sozusagen greifbar wird, tut die Niederlage eben doch weh.

Schnaubend und schwankend

Steiner hat in Ladenburg kontern können nach seinem Scheitern bei 195 Kilo im Reißen, wenn auch nicht mit technischer Eleganz, sondern schnaubend und schwankend. 240 Kilo schaffte er im Stoßen, was ihm seinen ersten deutschen Meistertitel brachte und Mantek doch noch ein Kompliment abnötigte: "Wie er dann beißt, das zeigt mir, dass er auf dem richtigen Weg ist." Aber man merkte Steiner an, dass er glaubte, sich rechtfertigen zu müssen. Nach der Verletzung stecke er die Trainingsbelastungen noch nicht gut genug weg. "Das ist eine neue Erfahrung für mich, aber die findet nur ein Jahr statt." 2010 könne man wieder höchste Erwartungen in ihn haben. Und er sagte: "Ich kann versichern, ich bin im Training gut drauf."

Die anderen beiden Medaillenträger spüren den Druck auch, aber die ganz große Aufmerksamkeit rauscht an ihnen vorbei. Jürgen Spieß und Almir Velagic scheinen sich ganz wohl zu fühlen dabei. Neidlos sinniert Europameister Spieß, 25, über Steiners Vorzüge: "Dieser Titel stärkster Mann der Welt - das hört sich ganz gut an." Und Velagic, 28, erzählt fröhlich von seinem Hauptproblem: Er ist zu leicht. 133,7 Kilo hat er in Ladenburg gewogen, über elf Kilo weniger als Steiner. Er möchte zunehmen, weil mehr Kilos mehr Kraft bedeuten. Er muss sehr diszipliniert sein. Er isst so viel er kann, und jeden Abend macht er sich vor dem Schlafengehen noch zwei Steaks. Das müsse sein, sagt Almir Velagic. "Sonst nehme ich ab."

© SZ vom 26.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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