Gesten bei Olympia:Brust raus, Arme hoch!

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Ein wissenschaftlicher Vergleich zwischen sehenden und blinden Athleten zeigt: Sieger- und Verliererposen sind angeboren.

Mark Hammer

Ein Judo-Kämpfer reißt die Arme in die Höhe, ballt die Hände zu Fäusten, wirft den Kopf nach hinten, seine Brust schwillt an, auf dem Gesicht ein Lächeln. Der andere, einen Moment davor auf die Matte gelegt, lässt die Schultern hängen und zieht von dannen. Die Posen der Gewinner und Verlierer werden in den nächsten zwei Wochen noch oft zu sehen sein. Was der amerikanische Gold-Schwimmer Michael Phelps gerade eindrucksvoll in Peking vorgeführt hat, beschäftigt auch die Wissenschaft: Emotionale Ausbrüche sind angeboren und nicht etwa kulturell entstanden. Das haben die Psychologen Jessica L. Tracy von der Universität von British Columbia und David Matsumoto von der San Francisco State University herausgefunden.

Emotionale Ausbrüche sind angeboren und nicht etwa kulturell entstanden, sagen Forscher. Was das wohl über Michael Phelps (r.) und Garrett Weber-Gale aussagt? (Foto: Foto: ddp)

Die Forscher beobachteten sehende und blinde Judo-Kämpfer bei den Olympischen und paralympischen Spielen 2004. Im Vergleich wurde deutlich, dass sehbehinderte Sportler das gleiche Verhalten bei Sieg oder Niederlage zeigten wie ihre sehenden Kollegen. Gewinner- und Verliererposen sind also nicht abgeschaut - sie liegen wohl in der Natur des Menschen.

Unterdrücktes Schamgefühl

Tracy und Matsumoto ließen einen Sportfotografen eine Fotoserie von den Kämpfen schießen und werteten die Bilder im Hinblick auf typische Posen aus: ausgestreckte oder in die Höhe gerissene Arme, Lachen, geballte Fäuste und herausgestreckte Brust bei Siegern; hängende Schultern und zurückgezogene Brust bei Verlierern. Andere Gesten deuten wohl nicht auf den Ausgang des Kampfes: So sind vor das Gesicht geschlagene Hände kein Zeichen für eine Niederlage, wie die Forscher zunächst vermutet hatten. Und wenn ein Athlet die Hände in die Hüfte stemmt, muss das auch keine Geste des Erfolgs sein.

Untersucht wurde das Verhalten von 140 Sportlern aus 37 Ländern, die sich in drei Gruppen aufteilten: sehende, erblindete Sportler und solche, die von Geburt an blind waren. Das überraschende Ergebnis: Blinde und Sehende zeigten die gleiche Körpersprache, um ihre Gefühle im Falle der Niederlage oder des Sieges auszudrücken. Gesten für Sieg und Niederlage, für Stärke und Schwäche, beeinflussen das soziale Ansehen. Solche Ausdrucksformen finden sich in allen Kulturen schon bei kleinen Kindern. Auch im Tierreich sind sie ebenfalls verbreitet: Wenn sich Schimpansen auf die Brust klopfen, signalisieren sie, wer der Stärkere ist. Einerseits kann man die offene Haltung mit ausgebreiteten Armen und vorgestreckter Brust als Demutsgeste deuten - tatsächlich zeigt man damit seine Überlegenheit.

Schon bisher wusste man, dass Gesten angeboren sein müssen. Die Forscher aus den USA haben dies nun erstmals für Gefühlsregungen wie Stolz und Schande wissenschaftlich bewiesen, indem sie Hand- und Kopfbewegungen untersucht haben. Bisherige Studien beschränkten sich meist auf Gefühle, die sich im Gesicht ablesen lassen, wie etwa Furcht, Ärger oder Fröhlichkeit.

Einen kulturellen Unterschied fanden die Wissenschaftler dennoch. Während die Sieger aus allen Ländern auf die gleiche Art jubelten, halten sich Sportler aus dem Westen zurück, wenn sie eine Niederlage einstecken müssen. Schamgefühle werden lieber unterdrückt, man will sich auf keinen Fall eine Blöße geben. Die Forscher vermuten, dass Menschen aus westlichen, auf Selbstverwirklichung fixierten Gesellschaften eher dazu neigen, Niederlagen zu verbergen; in anderen Kulturkreisen, auch in China, gibt es da weniger Zurückhaltung. Dies zeigt sich auch beim Vergleich der blind geborenen Sportler mit jenen, die später ihr Augenlicht verloren. Wer blind geboren wurde, zeigt die Niederlage ehrlicher; wer vor dem Erblinden Zeit hatte, sich das Verhalten von anderen abzuschauen, lässt die Schultern weniger stark hängen.

© SZ vom 13.8.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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