Fußball in England:Toxisches Reizmittel

Lesezeit: 3 min

Narrisch werden in London: Chelsea-Trainer Jose Mourinho beim Derbysieg gegen Arsenal. (Foto: Alastair Grant/AP)

Chelseas Stürmer Diego Costa bringt Arsenal beim 2:0 mit fiesen Provokationen aus der Ruhe. Seinem Trainer José Mourinho gefällt das.

Von Raphael Honigstein, London

"Aggressiv und am Limit", aber "emotional kontrolliert" und "fantastisch" sei er gewesen, der "Man of the match", einer, der "das Spiel so spielt, wie man spielen muss" und den jeder Coach gerne in seiner Elf hätte; und der auch einer der Gründe sei für "die vollen Premier-League-Stadien und TV-Verträge auf der ganzen Welt für Millionen und Abermillionen" - so pries am Ende des Londoner Derbys Chelsea-Trainer José Mourinho seinen Stürmer Diego Costa. Als ein Fernsehjournalist vorsichtig fragte, wie diese löbliche Beschreibung zu den vielen kleinen Gewaltakten und Unflätigkeiten passte, mit denen der Mann aus dem brasilianischen Städtchen Lagarto kurz vor der Pause seine Gegenspieler Laurent Koscielny und Gabriel vorsätzlich malträtiert hatte, unterstellte Mourinho dem Reporter sogleich schnippisch eine landesuntypische sportliche Sozialisation. "Lassen Sie mich raten: Sie haben als Kind Federball gespielt?"

Fußball sei in seiner "Hingabe und Leidenschaft vergleichbar mit Rugby", dozierte der Boss der Blauen im nächsten Atemzug; wohlwissend, dass Diego Costa, der als kurzbehostes, hoch-toxisches Reizmittel einen kompletten Nervenzusammenbruch beim Gegner Arsenal ausgelöst hatte, mit seinen Schurkereien eigentlich viel besser zum Wrestling passen würde. Auch Referee Mike Dean wäre bei den vorbestimmten Schaukämpfen im Ring gut aufgehoben. Der 47-Jährige pfiff in seelenruhiger Naivität konsequent am Geschehen an der Stamford Bridge vorbei, übersah wie Diego Costa Koscielny binnen weniger Sekunden drei Mal ins Gesicht langte, ihn beim Aufstehen umrammte und seinem Landsmann Gabriel drei lange Kratzer am Nacken zufügte. Der für den noch nicht genesenen Per Mertesacker (Viruserkrankung) ins Team der Gunners gerutschte Brasilianer wurde wie Diego Costa für das anschließende Gerangel verwarnt und ließ sich nach einer Reihe von Beleidigungen zu einem Revancheakt hinreißen: Vor den Augen Mike Deans trat er Diego Costa mit der Hacke vors Schienbein - der Innenverteidiger wurde des Feldes verwiesen (45.) Diego Costa hatte die Partie für Chelsea entschieden. Ohne Torschuss.

Nach der Pause hat Chelsea keine Mühe mehr, die dezimierten Gäste 2:0 zu besiegen

"Er macht, was er will, und die anderen fliegen vom Platz", klagte Arsenals Coach Arsène Wenger: "Er provoziert ständig, und er kommt damit durch, weil die Schiedsrichter schwach sind. Das ist unakzeptabel." Man sei darauf vorbereitet gewesen, fügte Wenger an, aber augenscheinlich nicht gut genug. Chelsea hatte nach dem Seitenwechsel wenig Mühe, die dezimierten Gäste 2:0 zu besiegen. Verteidiger Kurt Zouma (53.) und Eden Hazard (90.) erzielten die Tore, während bei Arsenal auch der im Mittelfeld völlig überlastete Santi Cazorla mit gelb-roter Karte vorzeitig in die Kabine musste (79). Mourinho hatte Wenger mal wieder überlistet. Zum elften Mal war er gegen den Elsässer und dessen Nord-Londoner in der Liga erfolgreich (sechs Siege, fünf Remis). Arsenal hat seit mehr als acht Stunden nicht ins Tor des Teams von der Fulham Road getroffen.

Nicht nur der bei seiner Auswechslung vom Chelsea-Anhang frenetisch gefeierte Diego Costa, der mit seinen offiziell verbrieften 26 Jahren eher so aussieht, als ob er grausame Erlebnisse aus dem Vietnam-Feldzug nacherzählen könnte, beherrscht "die Kunst des Krieges", wie es der Titel seiner kürzlich erschienenen Biografie nahelegt. Gerade in den Auseinandersetzungen mit Arsenal schöpft auch Chef-Aggressor Mourinho systematisch alle erdenklichen Mittel aus, um die ihrem ureigenen Kombinationsspiel verhafteten Techniker-Truppe aus der Bahn zu werfen. "Wir haben die Details besser gemanagt", sagte Torhüter Petr Cech, als er im Sommer nach seinem Wechsel vom Meister Chelsea ins Emirates-Stadion von Arsenal zu Chelseas Dominanz in den direkten Duellen befragt wurde. Wenger überlässt die Details trotz seines Rufs als großer Fußball-Gelehrter weitgehend seinen Profis. Das geht gegen schwächere Teams meist gut, führt aber regelmäßig zu Pleiten in Spitzenspielen. Wie beim peinlichen 1:2 gegen Dinamo Zagreb in der Champions League am Mittwoch wurde Mertesacker als lautstarker Organisator der Hintermannschaft vermisst.

Diego Costa wird wohl noch nachträglich gesperrt werden. Ein schwacher Trost für Wenger, und für Mourinho mit Sicherheit die erneute Gelegenheit, Chelsea als Opfer einer von langer Hand geplanten Benachteiligung durch die Behörden zu verkaufen. Immerhin hat Diego Costa den 52-Jährigen seit Samstag als größten Bösewicht der Liga abgelöst. Die Sun druckte in der ersten Zeile des Spielbericht am Sonntag gefettet Schmähgesänge der Arsenal-Fans ab, die den Angreifer vulgär als primäres weibliches Geschlechtsorgan verunglimpft hatten, und schob unverfroren eine rhetorische Frage nach: "Wer könnte da schon widersprechen?"

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: