Freiburg:Taktiker sind keine Taktierer

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Herzlich wie selten unter Kontrahenten: Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann wird von seinem Freiburger Kollegen Christian Streich (rechts) begrüßt. (Foto: Patrick Seeger/dpa)

Beim 1:1 gegen Hoffenheim beweist der SC, das das Team nur durch körperliche Robustheit nicht mehr einzuschüchtern ist.

Von Christoph Ruf, Freiburg

Kurz vor 18 Uhr, als sich draußen längst die Autokolonne gebildet hatte, die an Spieltagen stundenlang die einspurigen Abfahrtswege Richtung A5 verstopft, erzählten beide Trainer noch mal etwas über das Spiel. 1:1 war das ausgegangen, und es ist keine unzulässige Verkürzung, wenn man das Ergebnis als gerecht bezeichnet, weil Hoffenheim im zweiten Durchgang nicht mehr ganz so stark war wie im ersten und Freiburg im zweiten die besseren Chancen hatte. Doch darum, um Details der Ergebnis-Zerfledderung, ging es auch gar nicht, wie man Julian Nagelsmann und Christian Streich unschwer ansehen konnte. Beide wirkten gelassen und im Wortsinne selbstbewusst. Sie lobten sich wechselseitig für das taktisch anspruchsvolle Spiel, das sie ihren Teams verordnet hatten. Und sie nahmen das Remis als weitere Bestätigung für etwas, das sie öffentlich immer dementieren würden: Dass Nagelsmanns Hoffenheim in dieser Saison ein Kandidat für die Champions League ist. Und dass Streichs Freiburg sich mit den Kölns, Frankfurts und Berlins der Liga messen kann, also ebenfalls Kandidat fürs internationale Geschäft ist, nur eine Abteilung tiefer, Europa League.

Menschen, die in ihrem Leben schon einige Bundesligaspiele live gesehen haben, hätten sofort erkannt, dass sich da zwei Mannschaften aus der oberen Tabellenhälfte messen. Kein langweiliges Ballgeschiebe, keine langen, blind nach vorne geholzten Bälle - und jede Menge Anschauungsmaterial über den entscheidenden Unterschied zwischen der verfemten Taktiererei und der hohen Kunst der Taktik.

Wenn zwei Mannschaften, deren Ziel es ist, ein Tor mehr als der Gegner zu erzielen, aufeinandertreffen, entsteht ein spannendes Spiel. Wenn beide ausschließlich defensiv denken und die Tor-Verhinderung im Vordergrund steht, leidet der Zuschauer.

Vorbei sind die Zeiten, in denen Freiburg mit Körpereinsatz eingeschüchtert werden konnte

In Freiburg spielten beide offensiv, änderten vor allem im ersten Durchgang mehrmals ihre taktische Aufstellung und suchten den Torabschluss. Zielstrebiger wirkte Hoffenheim, einen kleinen Tick verbissener das individuell unterlegene Freiburg. "Ein tolles Spiel" hatte Streich gesehen: "Weil beide Mannschaften immer versucht haben, die Situationen konstruktiv zu lösen." Das war eine der Stellen, an denen der Kollege Nagelsmann dezent lächelte - beide Trainer sehen sich ja aus gutem Grund als fußballerisch wesensverwandt. Nur logisch also, dass auch Nagelsmann den Gegner lobte: Es sei ja klar gewesen, "dass diese Partie auf taktischer Ebene ganz interessant werden würde". Freiburg habe "eine gute Mannschaft. Die sind nah hinter uns". Näher als an den Abstiegsrängen jedenfalls.

Beide Mannschaften stehen seit ihren stilprägenden Langzeittrainern Volker Finke (Freiburg) und Ralf Rangnick (Hoffenheim) für technisch ansehnlichen Fußball - auch wenn Hoffenheim diesen Aspekt unter den Trainern Stevens und Gisdol nicht überbetont hat. Doch die Mannschaften, die sich Streich und Nagelsmann da geformt haben, weisen im Vergleich zu früher eine zusätzliche Qualität auf.

Sie ackern, kämpfen und - ja- foulen so, wie das in dieser Liga offenbar als nötig empfunden wird. Noch vor zehn Jahren war es ein probates Mittel, Freiburger Spieler in Zweikämpfe zu verwickeln und den ein oder anderen Körperkontakt einzubauen. Besonders auf hart gefrorenem oder unebenem Boden war das Spiel damit oft schon entschieden. Das hat sich gründlich geändert: Die 44 gelben Karten, die der SC bisher angesammelt hat, sind solider Ligadurchschnitt, und auch wenn die Freiburger gegen brachialere Mannschaften wie Frankfurt, Berlin oder den HSV manchmal noch ein bisschen lieb wirken - Zweikämpfe sind beim SC längst Mittel zum Zweck.

Dass Hoffenheim mit einer enormen Körperlichkeit agiert, sieht man schon beim Einlaufen: An den Fast-zwei-Meter-Männern Niklas Süle, Kevin Vogt, Benjamin Hübner oder Sandro Wagner müssen Normalsterbliche erst mal vorbeikommen - auch dank deren Größe hat Hoffenheim oft in beiden Strafräumen Oberwasser.

"Mit dem Ergebnis kann ich leben", hat Nagelsmann gesagt. Der Mann weiß eben auch, dass die Leistung vom Samstag gegen die meisten Konkurrenten zu einem Sieg gereicht hätte.

© SZ vom 13.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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