Formel 1:Zu oft auf dem Quad

Lesezeit: 4 min

Unfreiwillige Ehrenrunde: Red-Bull-Pilot Max Verstappen (hinten) erreicht das Ziel immer seltener in seinem Dienstfahrzeug. (Foto: Dan Istitene/Getty)

Max Verstappen ärgert sich zunehmend über die Unzuverlässigkeit seines Formel-1-Autos. Auch beim Großen Preis in Monza wird sich die Lage nicht entspannen, denn Red Bull hat den Anschluss an die Spitzenteams verloren.

Von Philipp Schneider, Monza

Was Max Verstappen bei den Niederländern anrichtet, war zuletzt beim Grand Prix in Österreich schön zu sehen. Vor dem Rennen gab es einen Moment, ach was, eine halbe Stunde gab es, da hatte Verstappen eine Art Kanone in der Hand, mit der er über einen Zaun schoss. Allerdings war es keine Kanone für Kugeln. Es war eine Kanone für orangene Käppis und T-Shirts, es war somit eine Kanone, die an Absurdität nicht zu übertreffen war, aber das war Verstappen und den Niederländern hinter dem Zaun völlig egal.

Verstappen stand mit der Mützenkanone vor einer Tribüne, auf der ihm Hunderte Menschen zujubelten, im Hintergrund lag das Panorama der steirischen Alpen, und unaufhörlich flogen nun Patronen mit orangenen Käppis und Shirts über den Zaun und landeten ausschließlich in den Armen von Menschen, die ohnehin schon orangene Käppis und T-Shirts anhatten. Doch weil sich die Niederländer, man weiß ja nie, alle zugleich nach diesen Devotionalien streckten, sah diese Tribüne voll zuckender Menschen aus wie ein orangener Fischschwarm, der ja auch im Kollektiv operiert, wenn er einem Raubfisch ausweichen will. Kurz darauf stieg Verstappen in Spielberg in seinen Rennwagen, er fuhr los und stieg blöderweise genau an dieser Stelle wieder aus: In der ersten Kurve der ersten Runde, direkt vor der Tribüne der nunmehr durchaus traurigen Niederländer.

Es war wie so oft in dieser Saison, es war wie in der vorigen Woche in Belgien, es war wie bei der Hälfte der zwölf bisher gefahrenen Grand Prix': Alle warten auf den nächsten Sieg des 19 Jahre alten Verstappen, Red Bull wartet, Verstappen wartet auch, die Niederländer warten sowieso, dann aber fährt Verstappen die Rennen nicht mal zu Ende. Mal wird er von der Strecke gerammt wie in Spielberg, mal macht er einen Fehler wie in Ungarn, aber meistens liegt es dann doch an seinem Auto wie vergangene Woche in Belgien, als er seinen Wagen mit Motorschaden parkte. "Das ist schon kein Pech mehr. Das ist einfach schlecht", klagte Verstappen, ehe er sich bei Red-Bull-Berater Helmut Marko beschwerte: "Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht glücklich bin. Es macht langsam keinen Spaß mehr. Du gehst in den Sommerurlaub, lädst nach einer furchtbaren ersten Saisonhälfte die Akkus auf, und dann geht es in Spa gleich wieder schief."

Auf dem Autodromo Nazionale di Monza wird das Oranje an diesem Wochenende untergehen in der roten Flut der Ferraristi, so viele Mützen kann ja niemand schießen, die Niederländer wissen das. Deshalb fahren sie lieber nach Spielberg und vor allem nach Belgien. Aber die Debatte über den unglücklichen Verstappen, die verfolgen sie nun weiter, sie fragen sich, wann er endlich liefert. Und wenn das im Red Bull nicht klappt, ob er dann beim Getränkekonzern zumindest eine Ausstiegsklausel hat wie vor ihm Sebastian Vettel?

Als Verstappen im Vorjahr das Cockpit von Daniil Kwjat übernahm, gewann er im Mai gleich das erste Rennen in Spanien. Er war nicht nur der erste niederländische Grand-Prix-Gewinner. Im Alter von 18 Jahren und 228 Tagen war er auch der bis dahin jüngste Formel-1-Sieger. Warum also, das fragten sich nicht nur die Niederländer, sollte er nicht auch der jüngste Weltmeister der Geschichte werden? Von den folgenden 29 Rennen gewann er allerdings keines mehr, sein Teamkollege Daniel Ricciardo, der überhaupt sehr regelmäßig auf dem Podium steht, siegte in Baku. Nicht einmal Fernando Alonso ist in diesem Jahr weniger Rennkilometer gefahren als Verstappen, der inzwischen fast genauso oft auf einem Quad in Richtung Boxengasse unterwegs ist wie im Rennwagen, den er vorher am Streckenrand abgestellt hat.

Bei Red Bull machen sie Renault für das ganze Pech verantwortlich

"Er hat sehr viel Pech gehabt in dieser Saison", sagt Christian Horner über Verstappen. Für dieses Pech macht der Red-Bull-Chef allerdings den Motorenhersteller Renault verantwortlich, weswegen er eher von Schuld als von Pech sprechen müsste. In der Tat haben die Franzosen kein titeltaugliches Aggregat mehr geliefert seit der Reglement-Umstellung in der Formel 1 von V8-Saugmotoren auf V6-Turbomotoren vor drei Jahren. "Renault weiß, dass ihr Produkt nicht gut genug ist", sagt Horner. Der 43-Jährige, der ja die Formel 1 gemeinsam mit dem Briten Adrian Newey, dem Guru des Automobildesigns, und dem Fahrer Vettel von 2010 bis 2013 dominiert hatte, schaut auf den Pressekonferenzen inzwischen so indigniert in die Runde wie einer, der im Restaurant ein angebranntes Schnitzel serviert bekommen hat. "Wir sind ein zahlender Kunde und bekommen nicht die entsprechende Dienstleistung!", schimpfte Horner in Spa.

In Monza wird sich die Lage nicht gerade entspannen. Verstappen erhält eine Startplatzstrafe, weil er den Motor und wohl auch weitere Teile wechseln muss. "Das wird ein Spaß-Wochenende", merkte er ironisch an. "Ich weiß ja, dass das nicht an Red Bull selbst liegt, aber am Ende bin ich ja vom gesamten Paket abhängig."

Die Frage, die über allem schwebt, lautet: Wie bitte schön soll der hochgradig veranlagte Verstappen das große Versprechen einlösen, das er ja nicht nur in jenem Rennen in Barcelona gab, solange Red Bull nicht mehr das Team ist, das es mal war? Anfang April in China fuhr Verstappen in einer Runde vor von Platz 16 auf Rang sieben. Ende Oktober, beim Rennen in Mexiko-City, raste Verstappen so mutig zwischen die um den Titel streitenden Mercedes-Fahrer Hamilton und Rosberg, dass deren Chef Toto Wolff anschließend Verstappens Vater Jos anrief, der einst selbst in der Formel 1 fuhr: Ob er seinem Sohn nicht mal die guten Manieren der Rennstrecke nahebringen möge? Im folgenden Regenrennen von São Paulo glitt Verstappen so elegant über die Piste, dass Wolff befand, Verstappen habe "die physikalischen Gesetzmäßigkeiten neu definiert".

Die Spitzenteams Mercedes und Ferrari dürften aus Verstappens Sicht gedanklich längst eine Alternative sein. Um ihn langfristig zu halten, hat Red Bull immer wieder versprochen, ihm werde bald ein konkurrenzfähiges Auto bereitgestellt. Das Team, das angetreten war, um die Rennserie zu dominieren, klingt inzwischen etwas kleinlaut. Helmut Marko sagte nun, Verstappen könne Red Bull ja gar nicht verlassen, schließlich seien die Plätze bei Mercedes und Ferrari vergeben: "Wir sind doch das Beste, was ihm übrig bleibt." Stand jetzt werden Ende 2018 zwar - theoretisch - zwei begehrte Cockpits frei: das von Kimi Räikkönen bei Ferrari und das von Lewis Hamilton bei Mercedes. Aber zumindest Hamilton kündigte nun erstmals an, verlängern zu wollen. "Er muss das große Bild sehen", rät Ricciardo also seinem Teamkollegen Verstappen. "Er kann ja noch locker 15 Jahre fahren."

© SZ vom 01.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: