Formel 1:Verstappen definiert Regeln nach seinem Gusto

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Unter besonderer Beobachtung beim GP von Italien: Red-Bull-Pilot Max Verstappen. (Foto: Getty Images)

Vor dem Rennen in Monza polarisiert der viel kritisierte Max Verstappen wieder. Er findet klare Worte für seine Kritiker - ein verstörendes Zitat taucht auf.

Von Elmar Brümmer, Monza

Wer auf der Suche nach guten Sprüchen ist, kommt im Fahrerlager der Formel 1 immer auf seine Kosten. Wollte am vergangenen Wochenende Mercedes-Teamaufsichtsrat Niki Lauda den Red-Bull-Rüpel Max Verstappen am liebsten in die "Psychiatrie" schicken, empfiehlt der Österreicher heute immerhin noch einen "Fahrschulbesuch". Es liegt nur eine Woche zwischen den beiden Formel-1-Klassikern von Spa und Monza, in Italien feiert die Königsklasse Abschied von Europa für diese Saison. Und immer noch ist die Fahrweise des Niederländers das beherrschende Thema - mit einem ernsten Hintergrund. Im Autodromo Nazionale werden noch höhere Geschwindigkeiten als in Belgien erreicht: ein Schnitt jenseits der 230 km/h, mit einem Spitzentempo um die 360 km/h. In einem solchen Grenzbereich können die Zick-Zack-Linien, die der jüngste Grand-Prix-Pilot zuletzt immer wieder auf der Rennstrecke gefahren ist, lebensgefährlich sein.

Zu dieser Schlussfolgerung kam jüngst auch Jacques Villeneuve, der selten um eine pointierte Kommentierung verlegene Weltmeister von 1997. Wenn Verstappen so weiter mache, komme noch mal jemand ums Leben, warnte der Kanadier, der bei seinem Einstieg in die Formel 1 selbst eine aggressive Fahrweise an den Tag legte. Im medialen Ping Pong tauchen nun Interviewfetzen aus den Niederlanden auf, wonach Verstappen seinen Kritiker warnt, solche Behauptungen aufzustellen. Immerhin habe Villeneuve schon einmal jemand getötet. Sollte das Zitat stimmen, ist das geschmackloser Populismus. Typisch für die Formel 1; typisch vor allem für Verstappen: Er ist womöglich das größte Talent der Branche, mit Sicherheit aber der größte Lautsprecher unter den Fahrern. Bei einem Unfall in Melbourne hatte im Jahr 2001 ein Rad, das sich von Villeneuves Rennwagen gelöst hatte, unter unglücklichen Umständen einen Streckenposten erschlagen. Allein, dass jeder in der Branche Verstappen solche Sätze zutraut, zeigt, wie sehr der 18-Jährige polarisiert.

Nur wenige Kollegen finden sein Verhalten in Ordnung

Mal wird er mit dem jungen Senna, mal mit dem jungen Schumacher verglichen, oder aber mit dem jungen Vettel. Die hatten auch gleich das Establishment mit frechen Aktionen verunsichert, zeichneten sich durch extremen Egoismus aus - allerdings definierten sie nicht gleich alle Regeln nach eigenem Gusto. Genau das aber nimmt Max Verstappen für sich in Anspruch, obwohl er selbst stets der Erste ist, der nach einer vermeintlichen Behinderung in den Boxenfunk jammert. "Frechstappen" hat ihn die Bild getauft, das Fachblatt Motorsport aktuell spricht vom "kriegenden Holländer". Sein Teamchef Christian Horner zeigt sich nach den Manövern von Belgien nur nach außen hin völlig davon überzeugt, dass die Aktionen zwar "am Limit, aber in Ordnung" gewesen seien. Intern hat er dem Junior, der im Mai in seinem ersten Rennen nach der Beförderung aus dem Nachwuchsteam Toro Rosso zum Rennstall von Red Bull Racing auf Anhieb einen Grand Prix gewinnen konnte, den Kopf gewaschen.

Zwar erfährt Verstappen von einzelnen Draufgängern wie Fernando Alonso Zustimmung, aber die Mehrheit der Kollegen hat den Aufsteiger zum wiederholten Mal bei den freitäglichen Briefings ins Gewissen geredet. Sebastian Vettel als Sprecher der Fahrergewerkschaft GPDA sagt, dass er nichts gegen hartes Racing habe - das könne aber nur funktionieren, wenn sich alle Beteiligten an die Grundregeln halten würden. Soll heißen: nur einmal die Linie wechseln bei einem Überholmanöver; keine "Bremstests"; nicht in Lücken vorstoßen, wo keine sind.

Ein offenes Rennen zwischen Vernunft und Trotz

Auf gutes Zureden hat Max Verstappen bisher stets so reagiert, als ob er Kopfhörer aufhätte. Weshalb Charlie Whiting, der Renndirektor des Automobilweltverbandes FIA, vor dem ersten Training in Monza Verstappen zu sich bat und diesem die Übeltätervideos von Spa vorspielte. Vergangenen Sonntag hatten ihm die Rennkommissare die Attacken noch durchgehen lassen. Künftig aber könne Verstappen nicht mehr mit Großzügigkeit rechnen, nur weil er jung, Zuschauergarant und ein starker Charakter sei. "Er hat eins auf die Finger bekommen", bestätigt Horner, andere sprechen davon, dass bei Zuwiderhandlung drastischere Maßnahmen drohen würden.

Vielleicht ist es ja nur so, dass da unbedingt einer seinen Weg machen will, der zu wenig Geduld hat, weil der Vater ihm den Überehrgeiz vormacht. Oder aber schlichtweg vergisst, dass man sich auch als bekennender Egoist nicht wie ein Schneepflugfahrer im Starterfeld verhalten kann. Es ist ein offenes Rennen zwischen Vernunft und Trotz. "Ich werde meinen Fahrstil nicht verändern, nur weil das andere Fahrer sagen", tönte er nach der neuerlichen Kritik; und verwies auf den exzentrischen Fußballer Zlatan Ibrahimovic: "Selbst wenn der Trainer ihm sagt, er soll künftig in der Verteidigung spielen, wird Ibra trotzdem immer ein Stürmer bleiben. Denn es liegt einfach in seiner Natur."

Rebellen fahren zwar aus Prinzip Rennen gegen andere. Aber immer auch gegen sich selbst.

© SZ vom 04.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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