Formel 1:Poker an der Promenade

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Daniel Ricciardo wurde bei Red Bull eher als zweite Kraft wahrgenommen. Nach dem Sieg in China wird er in Baku zur Schlüsselfigur.

Von Philipp Schneider, Baku/München

Hach, Baku! Gemauerte Schönheit am Kaspischen Meer. In der Altstadt schmiegen sich vor 700 Jahren erbaute Häuser eng aneinander, gleich nebenan gibt es den alten Palast der Schirwanschahs, Residenz einer alten muslimischen Dynastie, dazu noch ein Teppichmuseum in Form einer Teppichrolle. Der ganze Ortskern ist selbstredend seit 2000 Unesco-Weltkulturerbe. In Baku ließe es sich für seine zwei Millionen Einwohner sicher hübsch aushalten - wäre Baku nicht die Hauptstadt von Aserbaidschan, läge es nicht inmitten eines riesigen Ölfelds, und würde es nicht regiert von einem Autokraten, der die Pressefreiheit in der internationalen Rangliste auf Platz 162 gedrückt hat, noch hinter jene im Irak und Afghanistan.

Bernie Ecclestone, den ehemaligen Zampano der Formel 1, hat all dies nicht gestört, als er den sechs Kilometer langen Stadtkurs 2016 in den Kalender aufgenommen hat. Gut, Ecclestone hat sich auch nie an den Grid Girls gestört, die die neuen Eigentümer der Rennserie abgeschafft haben. Und aus rennfahrerischer Sicht ist nicht viel einzuwenden gegen Motorsport im Kaukasus. Schließlich hat Baku die Formel 1 im Vorjahr um zwei Erkenntnisse bereichert.

Rennfahren vor alten Gemäuern: Daniel Ricciardo beim Training für den Großen Preis von Aserbaidschan in Baku. (Foto: Luca Bruno/AP)

Erstens: Rennfahrer können trotz der idyllischen Aussicht bei der Vorbeifahrt an der schönen Ozeanpromenade von Baku unheimlich wütend werden (Sebastian Vettel fuhr Lewis Hamilton jedenfalls während einer Safety Car Phase mit Vorsatz ins Auto). Zweitens: Daniel Ricciardo, 28, ist ein talentierter Rennfahrer.

Nachdem der Australier von Platz zehn ins Rennen gestartet war, lag er im Vorjahr nach einem zusätzlichen Boxenstopp zwischenzeitlich nur noch auf Position 17. Von dort pflügte er durch das Fahrerfeld, nutzte den Wiederstart nach der Safety Car Phase so gut wie kein anderer - und gewann so schließlich das turbulenteste Rennen der Saison.

Ein Jahr danach erinnert man sich auch deshalb wieder an Ricciardos Überholmanöver, weil er diesmal als Gewinner des jüngsten Rennens in China an diesem Sonntag (14.10 Uhr) zum Grand Prix in Baku reist - die Strecke scheint ihm zu liegen, am Freitag drehte er die schnellste Trainingsrunde. Vor allem erinnert man sich auch deshalb an seinen Rennsieg, weil Ricciardo nun das offensichtliche Interesse von Ferrari und Mercedes nutzt, um sich zumindest einen besseren Vertrag bei Red Bull auszuhandeln - wo ihn die Öffentlichkeit bislang eher als zweite Kraft hinter dem acht Jahre jüngeren Max Verstappen wahrgenommen hat. Ricciardo solle "ein Vorbild" für Verstappen sein, sagte jüngst Teamchef Christian Horner: "Er ist ein kompletter Fahrer und auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit - weil er ausbalanciert ist." Verstappen mag jung, mutig und schnell sein, aber eines ist er in der Tat nicht: ausbalanciert.

Ricciardos Vertrag läuft Ende dieser Saison aus. Bislang hat er sich noch nicht zu einer neuen Unterschrift beim Limonadenhersteller überwinden können. Bis August hat ihm Horner Zeit gegeben, sich zu entscheiden. Aber Mercedes und Ferrari gelten mehr denn je als Kandidaten für eine feindliche Übernahme Ricciardos, zumal ja in beiden Teams die Kontrakte der Hilfskräfte für Vettel und Hamilton auslaufen - von Kimi Räikkönen und Valtteri Bottas. Im Umfeld von Ferrari wird Ricciardo als Nachfolger von Räikkönen gehandelt. Angeblich, das Gerücht machte nun die Runde in Aserbaidschan, hat Ricciardo schon eine Absichtserklärung unterzeichnet, wonach beide Seiten bis zum 30. Juni Zeit hätten, über Ricciardos Anstellung bei der Scuderia zu verhandeln. "Das ist nicht wahr", sagt er: "Ich hatte bisher nur Gespräche mit Red Bull."

Eine Fahrerkonstellation Vettel und Ricciardo käme einer Wiedervereinigung gleich, an die beide unterschiedlich gute Erinnerungen haben dürften. 2014 fuhren sie gemeinsam für Red Bull, Ricciardo gewann drei Rennen, Vettel keines. "Es war ein zerfahrenes Jahr für mich", erinnert sich Vettel, der Ricciardo nun die Empfehlung gab, möglichst bald seinen Vertrag bei Red Bull zu verlängern, um die Wechselgerüchte zu beenden.

Ricciardo konterte, er werde "nirgendwo hingehen, wo ich nicht das Gefühl hätte, dass ich eine Chance habe". Er meinte die Chance, Weltmeister zu werden.

© SZ vom 28.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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