Formel 1:Mercedes muss den Code knacken

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„Wir haben uns alle zusammengesetzt und uns offen kritisiert. Auch jeder sich selbst“, sagte Hamilton (hier beim Training) in Frankreich. (Foto: Mark Thompson/Getty)

Bringt der Titelverteidiger beim Großen Preis von Frankreich endlich den neuen, stärkeren Motor? Mit dem sieben Rennen alten Aggregat konnte Hamilton zuletzt froh sein, dass er überhaupt ins Ziel kam.

Von Elmar Brümmer, Le Castellet

Die Motorenabdeckungen der Mercedes-Rennwagen lagen zum Auftakt des Großen Preises von Frankreich in der Sonne vor der Boxengarage, auf ihrer silbernen Lackierung spiegelte sich das Licht. Ein Formel-1-Auto ohne Heckverkleidung, das ist ein deutliches Signal für Wartungsarbeiten am Antriebsstrang. Nach dem Desaster beim vergangenen Rennen in Montreal war klar, dass die Titelverteidiger in Le Castellet würden schrauben müssen. Lewis Hamilton war in Kanada auf Rang fünf gelandet, seine schlechteste Platzierung der Saison, er verlor die WM-Führung an Sebastian Vettel. Nur ein Pünktchen trennt die beiden nun, aber die Last auf Seiten des Mercedes-Piloten ist größer: Er braucht dringend den neuen, stärkeren Motor, der schon seit zwei Wochen überfällig ist, aber wegen Qualitätsproblemen noch nicht einsatzbereit war. Wie groß ist die Krise bei Mercedes?

Mechanisch ist die Frage zu beantworten: Mercedes ist seit Einführung der Hybrid-Motoren vor vier Jahren immer noch der Branchenprimus. Auch wenn Ferrari - was die Leistung betrifft - fast gleichgezogen hat. Zuverlässigkeit war immer eine zusätzliche Stärke im Stuttgarter Werksteam. 32 Mal in Serie sammelte Hamilton WM-Punkte, das ist Rekord. Kommt er am Sonntag (Rennstart 16.10 Uhr) ins Ziel, würde er die Bestmarke von Nick Heidfeld mit 33 Zielankünften in Serie egalisieren. Aber Rekorde zählen für den vierfachen Weltmeister nur, wenn sie mit Siegen verbunden sind. Und an seinen letzten Ausfall, den Motorenplatzer in Malaysia 2016, mag er erst gar nicht erinnert werden, der kostete ihn damals die Titelverteidigung.

Just zum Auftakt des zweiten Saisondrittels ist im Mercedes-Magazin Me ein Interview erschienen, in dem Hamilton sagt: "Perfektion ist ein bewegliches Ziel." Der Brite hat das mehr auf sich bezogen, aber die Formel 1 ist vor allem bei der Technik auch Mannschaftssport. Der Fahrer ist vom Rennwagenbau angetan: "Es ist faszinierend zu sehen, wie das Team dieses Puzzle zusammensetzt - kein Teil fehlt, alle passen. Ich frage mich jedes Mal: Wie machen sie das bloß?" Für Irrtümer bleibe kein Raum: "Es ist, als müsste man einen Code knacken: Für jeden Wagen gibt es verschiedene Gleichungen, und am Ende müssen sie aufgehen. Ich sitze mittendrin."

Mit dem sieben Rennen alten Mercedes-Motor konnte Hamilton froh sein, dass er zuletzt überhaupt ins Ziel kam, während Vettels Ferrari schon neue Zusatzpower hatte. Den Gedanken, dass sein Silberpfeil für den Titelkampf nicht gut genug sein könnte, verdrängt er sofort wieder: "Das wäre ein Zeichen der Schwäche, und mein Wille ist nicht schwach. Sportler, die denken, dass sie verlieren können, haben schon verloren." Entsprechend aufgeräumt erscheint er an der Rennstrecke Paul Ricard - kein Unterschied zu Vettel, der ebenfalls so wirkt, als fahre er in die Sommerfrische und nicht um den WM-Titel. Hamilton findet die Strecke, auf der Mercedes als Favorit gilt, nicht spannend, aber: "Sie ist neu im Kalender, und ich will als Erster darauf gewinnen. Neue Dinge finde ich immer aufregend."

Was zu der entscheidenden Frage des Wochenendes, der vielleicht vorentscheidenden um den WM-Titel führt: Ist die neue, zehn PS stärkere Ausbaustufe des Mercedes-Motors einsatzbereit? Die Antwort wurde nach zwei Trainingssitzungen am Freitag gegeben: Sie ist es. Alle sechs Piloten der Mercedes-Teams hatten das Upgrade unter der Haube. Nicht bloß die für Kanada vorgesehene Variante, sondern ein noch mal verstärktes Aggregat, intern Phase 2.1 genannt. Da das Reglement nur drei Motoren für die insgesamt 21 Rennen erlaubt, konnte es sich Mercedes nicht erlauben, eine zweite Version des schwächeren Motors zu verbauen. Es wäre ein Manko im Titelkampf gewesen und die erste technische Schwäche von Mercedes in fünf Rennjahren. Dementsprechend war es zu einem klärenden Gespräch in der Rennfabrik in Brackley gekommen. Teamchef Toto Wolff, der diese Diskussionskultur eingeführt hat, konnte für eine Art mentales Upgrade sorgen, zumindest bei Lewis Hamilton. Jeder spüre den Schmerz der Höhen und Tiefen, sagte Hamilton, "wir alle schwitzen Blut, Schweiß und Tränen, damit wir diese Saison wieder gewinnen." Und wie das funktionieren könnte, erklärte er auch: "Wir haben uns alle zusammengesetzt und uns offen kritisiert. Auch jeder sich selbst. Dabei kam heraus, das wir alle mehr aus uns herausquetschen können - aus dem Auto und aus uns selbst, mich eingeschlossen."

© SZ vom 23.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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