Formel 1:Maranello, wir haben ein Problem!

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Bei Ferrari rätseln die Experten, wie Titelverteidiger Kimi Räikkönen wieder flottzukriegen ist.

René Hofmann

Symbolpolitik wirkt. Kaum einer weiß das besser als Ferrari-Präsident Luca Cordero di Montezemolo, der die Seinen jedes Jahr beim Grand Prix in Monza in einem Zirkuszelt auf "passione" und "potenza" einschwört. In zwei Wochen ist es wieder so weit. Mit dem Heimspiel der Scuderia endet die Europa-Saison der Formel 1, danach geht es zum Endspurt nach Japan, China und Brasilien. In der vergangenen Woche wurde in Monza schon einmal drei Tage lang geübt, und Montezemolo wäre nicht Montezemolo, wenn er am letzten Tag nicht an die Hochgeschwindigkeitsstrecke geeilt wäre und sich nicht demonstrativ vor einen der Seinen geworfen hätte. Zwei Tage lang hatte Felipe Massa getestet, zum Abschluss war Kimi Räikkönen dran. Ihn traf Montezemolo, und hinterher erklärte er gewohnt salbungsvoll: "Kimi steckt in keiner Krise. Niemand darf vergessen, dass er der Weltmeister ist." Auch Räikkönen selbst versicherte auf dem Boden, der so manchem Tifoso heilig erscheint, noch einmal sicherheitshalber, voll motiviert zu sein und um den Titel kämpfen zu wollen: "Ich werde mein Bestes geben." Selten wurden Selbstverständlichkeiten ähnlich inbrünstig dargeboten.

Streckenbegehung: In Valencia gingen Kimi Räikkönen und der Ferrari vorzeitig auseinander. (Foto: Foto: dpa)

Symbolpolitik hat einen großen Nachteil: Exzessiv betrieben wird sie leicht durchschaubar, wirkt unglaubwürdig und verkehrt sich ins Gegenteil. So gesehen lassen sich die Präsidenten-Audienz und die Treueschwüre auch als Eingeständnis deuten: Maranello, wir haben ein Problem! Mit passione und potenza ist es im Moment nicht weit her. Räikkönen fehlt es scheinbar gleich an beidem, an Kraft und an Leidenschaft. In den vergangenen acht Rennen hat der Titelverteidiger 28 Punkte geholt. Teamkollege Massa kam auf 46.

Kollege Massa jagt Hamilton

Schon bevor es losgeht, hat der Brasilianer den Finnen meist in den Windschatten gestellt. Wie Nick Heidfeld im BMW hat Räikkönen ohne die seit diesem Jahr verbotene Traktionskontrolle beim Spurt in der Qualifikation Mühe, die Reifen auf die richtige Temperatur zu bringen. In acht der bislang ausgetragenen zwölf Rennen glückte Massa das besser. In der WM-Wertung ist er Räikkönen um sieben Zähler voraus und derzeit der wichtigste Gegner von WM-Anführer Lewis Hamilton (McLaren). Während Massa zuletzt mit Konstanz glänzte, fuhr Räikkönens Form Schlangenlinien.

Seit dem Grand Prix im April in Barcelona hat er nicht mehr gewonnen. Zuletzt in Valencia gab er beim Boxenstopp zu früh Gas und riss den Benzincontainer um, was Tankwart Pietro Timpini einen Mittelfußbruch einbrachte. "Mein Fehler", musste Räikkönen zugeben. Er hatte nicht auf die Ampel geachtet. Dass sein Motor kurz darauf wegen eines Materialschadens an einem Pleuel explodierte wie zwei Wochen zuvor der von Massa, ging nach der Trottelei fast unter. Dass Lewis Hamilton in Kanada vor der Ampel am Ende der Boxengasse ebenfalls Probleme gehabt hatte, die Farben Rot und Grün auseinanderzuhalten, auch.

Kein anderer Sport ist ähnlich gnadenlos. Formel-1-Piloten werden letztlich immer nur an den Zahlen gemessen, und die lauten: Hamilton - 70 WM-Zähler, Massa - 64. Räikkönen - 57. "Am Ende werden die Punkte zusammengezählt", sagt Räikkönen trotzig. Im vergangenen Jahr lag er zur gleichen Zeit 16Punkte hinter Hamilton und triumphierte nach der letzten Runde doch noch. Aber damals gab es ein großes Thema, das Räikkönens gelegentliche Ausrutscher überstrahlte: den Spionage-Skandal zwischen seinem alten Arbeitgeber McLaren und seinem neuen Ferrari.

"Eine Pille Extramotivation "

In diesem Jahr gibt es ein anderes großes Thema - und das führt dazu, dass bei Räikkönen im Moment ganz genau hingeschaut wird: Fernando Alonso hat die Nase voll von Renault und sucht einen neuen Arbeitgeber. Das Lieblingsziel des zweimaligen Weltmeisters? Ferrari. Eine Konstellation, die selbst bei Luca di Montezemolo, der sich oft von seinen Gefühlen leiten lässt, dazu führen dürfte, dass er sich von den Controllern einmal den Return on investment ausrechnen lässt.

Seriöse Schätzungen taxieren Massas Jahresgehalt auf zehn Millionen Dollar, Räikkönen soll 25 Millionen pro Jahr als Formel-1-Kilometergeld einstreichen. Welche Investition sich mehr lohnt, ist leicht zu kalkulieren. Räikkönens Kontrakt gilt noch bis Ende 2009. "Und bisher habe ich meine Verträge immer erfüllt", hat er kürzlich erst beschieden. Die Spekulationen, er sei des Rummels mit 28 schon überdrüssig, hat das allerdings nicht verstummen lassen. Und noch etwas fällt auf: Lange war es ruhig geworden um seine Feierfreude. Inzwischen jedoch findet sich kaum eine Motorsport-Homepage mehr, die aktuell nicht von Gerüchten zu berichten weiß, wann er wo angeblich zumindest nur bedingt fahrtauglich gewesen sein soll.

Geschickt gestreute Propaganda? Traurige Wahrheit? Fest steht, dass auf dem Mann aus Espoo in den nächsten Wochen ein gewaltiger Druck lastet. An diesem Sonntag steht das Rennen in Spa-Francorchamps an. Die letzten drei Rennen, die dort ausgetragen wurden, hat Räikkönen gewonnen. "Dort wirft er immer eine Pille Extramotivation ein", weiß Mercedes-Sportchef Norbert Haug aus gemeinsamer Zeit. Danach geht es auf das Autodromo Nazionale in Monza. Spätestens dann wird es mit der Symbolpolitik vorbei sein.

© SZ vom 04.09.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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