Formel 1 in Kanada:Montreal muss mehr Bling Bling bekommen

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Formel-1-Strecke in Montreal: Schon schön, soll aber noch schöner werden (Foto: AFP)
  • Im aktuellen Rennkalender der Formel 1 folgt Montreal direkt auf Monte Carlo. Unterschiedlicher können zwei Stadtkurse und zwei Arten von Publikum nicht sein.
  • Nirgendwo wird härter gebremst, selten der Motor so strapaziert wie in Kanada. Die Begeisterung für den Motorsport ist in der ganzen Stadt zu spüren.
  • Für die neuen Betreiber der Formel 1 ist es aber mittlerweile zu unglamourös: Nach dem Rennen am Sonntag werden die Bagger anrücken, ein 30 Millionen teures Boxengebäude soll entstehen.
  • Das Rennen im Liveticker können Sie ab 20.10 Uhr hier verfolgen.

Von Elmar Brümmer, Montreal

Ein Grand-Prix-Sieger, der die dicke Daunenjacke über seinen Rennanzug ziehen muss, damit er die Podiumszeremonie ohne gesundheitliche Schäden übersteht: So hat an einem bitterkalten Herbsttag 1968 alles angefangen. Mit Montréal und der Formel 1 und mit der Karriere des Gilles Villeneuve. Der Große Preis von Kanada feiert Jubiläum, und er ist immer noch eines der ungewöhnlichsten Rennen im WM-Kalender. Vor allem auch deshalb, weil sich seit damals praktisch nichts verändert hat auf der Insel im Sankt-Lorenz-Strom: Die Piste ist ein Provisorium aus echter Rennstrecke und normalen Straßen. In den Reigen der schillernden neuen Renn-Metropolen im nahen und fernen Osten mag die größte Stadt der Provinz Quebec kaum passen. Bröckelnder Beton gegen Bling-Bling.

Im aktuellen Rennkalender folgt Montreal direkt auf Monte Carlo. Unterschiedlicher können zwei Stadtkurse, zwei Arten von Publikum nicht sein. Nirgendwo wird härter gebremst, selten der Motor so strapaziert wie in Kanada. Das permanente Stop & Go bedeutet ein Stakkato für die Rennfahrerfüße. Von Tempo 300 runter auf 80, und dann wieder Vollgas bis zum nächsten Haken.

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Auf dem Hochgeschwindigkeitskurs in Montréal fährt der Ferrari-Pilot die schnellste Runde. WM-Rivale Lewis Hamilton reiht sich erstaunlich weit hinten ein.

Der Kopf muss kühl bleiben, was angesichts der permanent lauernden Herausforderungen ähnlich schwer zu bewerkstelligen ist wie die Kühlung von Motor und Bremsen. Dazu die Ungewissheit von Wetter, Reifen und Streckenbelag, sogar die Kapriolen des Windes entscheiden hier mit. Und kurz vorm Zielstrich dann noch eine unverzeihliche Mauer nahe der Ideallinie, wegen der prominenten Unfallopfer Wall of Champions getauft. Die Randsteine müssen hingegen immer gnadenlos mit einbezogen werden: wo rohe Kräfte sinnvoll walten. Zum Vergnügen der 100 000 Zuschauer ist noch eine dritte Beschleunigungszone eingeführt worden. Action, das ist das Zauberwort für die Hardcore-Rennfans, die hier das Publikum stellen. Auf dieser Strecke ist das Überholen noch vergleichsweise unkompliziert möglich.

Die Begeisterung für den Motorsport ist in der ganzen Stadt zu spüren. Das hat nichts mit Lance Stroll zu tun, dem milliardenschweren Hinterbänkler im Williams-Rennwagen, dem als Kanadier drei Stahlrohrtribünen gewidmet sind. Montréal feiert den kurzen Sommer, feiert die internationalen Gäste, die Glanz versprechen, feiert sich selbst. Leben mit voller Beschleunigung. Das beruht auf Gegenseitigkeit, deshalb lieben die Fahrer die hiesige ungewöhnliche Mutprobe mit dem Rennwagen ja so sehr.

Die Verehrung aller vor oder hinter dem Fangzaun gilt Villeneuve: jenem ersten Sieger, der in seiner Heimat damals den glücklichsten Tag seines Rennfahrerlebens erlebte. Einem echten Draufgänger, der wohl nur deshalb nie Weltmeister im Ferrari wurde, weil er 1982 viel zu früh starb. "Salut Gilles" steht direkt hinter dem Zielstrich auf dem Asphalt. Sohn Jacques, der Weltmeister von 1997, wird diesen letzten Gruß am Sonntag überqueren - bei Showrunden im Rennwagen seines Vaters. Der unkonventionellste Rennfahrer der Neuzeit ist der zweite Liebling der Stadt. Noch so ein Charakterdarsteller, wenn auch umstritten.

Die Eigenwilligkeit der Kanadier in Verbindung mit der seit den Olympischen Sommerspielen 1976 notorisch klammen Stadtkasse hat dazu geführt, dass nie wirklich in die Rennstrecke investiert wurde. Das Casino, das umrundet wird, verbreitet zwar zunehmend Glamour, weil es immer weiter ausgebaut wird. Auch das Naherholungsgebiet ist hübsch hergerichtet. Aber die Formel-1-Teams hausen zwischen Containern, Pavillons und Toilettenhäuschen auf einem schmalen Asphaltstreifen direkt am ehemaligen Ruderbecken. Damit sich überhaupt noch etwas bewegen kann, wurden ein paar Pontons, also feste Schwimmkörper, angedockt. Die Königsklasse als schwimmendes Zeltlager, das hat schon was.

Aber mit Minimalismus, der erdet, kann der Hollywood-Manager Chase Carey - Nachfolger von Bernie Ecclestone als Formel-1-Zampano - wenig anfangen. Der Amerikaner will elektrisieren, übertriebene Nostalgie steht nicht im Business-Plan. Montréal hat den Vertrag als Veranstaltungsort 2015 noch von seinem Vorgänger verlängert bekommen, bis 2029. Bedingung: Fahrerlager, Boxengasse und VIP-Club müssen renoviert werden. Die Termintreue der örtlichen Behörden und Firmen ist ebenso wenig ausgeprägt wie ihre Entscheidungsfreudigkeit. Aber mit der Geduld von Liberty Media ist es jetzt vorbei: Wenn die improvisierten Anlagen in den nächsten Tagen abgebaut sind, rücken die Bagger an. Deshalb hat man auch das geplante Saisonfinale der Rennserie Formel E abgesagt, das im Juli hätte ausgetragen werden sollen.

Die Zeit drängt, denn die harten Winter lassen nur ein paar Monate Zeit für Tief- und Hochbau, ohne fertige Garagen wird kein Rennen möglich sein. Im Parc Jean Drapeau soll innerhalb von Jahresfrist Großes entstehen: ein gewaltiges, rundum verglastes Boxengebäude, das 5000 Ehrengästen, allen Teams und 500 Journalisten Platz in einem modernen Ambiente bietet. Umgerechnet 30 Millionen Euro kostet die nur einmal im Jahr genutzte Anlage, mittlerweile ein Drittel teurer als geplant. 20 Millionen steuert die Stadt bei, für den Rest kommt das Ministerium für Stadtentwicklung auf. Angesichts der Einnahmen, die die 100 000 Zuschauer jedes Jahr bringen, könnte sich die Investition lohnen für Montreal.

© SZ vom 10.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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