Formel 1 in Japan:Zwei Mann, ein Nervenspiel

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Titelfavorit Lewis Hamilton schadet sich mit einem gnadenlos überhasteten Manöver, dann patzt auch noch Massa beim Grand Prix.

Elmar Brümmer

Mercedes-Sportchef Norbert Haug kann das, was am Start eines Formel-1-Rennens in den Piloten vorgeht, sehr eindrücklich beschreiben: "Eine Gewehrkugel kommt auch nicht langsam aus dem Lauf."

Lewis Hamilton wird den Großen Preis von Japan so schnell nicht vergessen. (Foto: Foto: Reuters)

Das lässt sich treffend auf die Vorkommnisse in der ersten Kurve beim Großen Preis von Japan projizieren. Um im Bild zu bleiben, ist demnach festzustellen: Titelfavorit Lewis Hamilton hat sich mit einem gnadenlos überhasteten Manöver ins Knie geschossen.

Wie rote Tücher müssen die Ferrari von Kimi Räikkönen und Felipe Massa auf den Briten im Silberpfeil wirken, als sie an ihm vorbeiziehen wollen. Hamilton hat den Vorsatz, im drittletzten WM-Lauf sensibel vorzugehen ("Wir wollen doch alle heil durch Kurve eins"), offenbar auf der längsten Gerade der Formel 1 zurückgelassen.

Es raucht gewaltig, sein Teamkollege Heikki Kovalainen gerät in Gefahr, aber es knallt nicht. Die Gegner werden abgedrängt, auch Hamilton reitet mit Geschwindigkeitsüberschuss in der folgenden Schikane weit aus. Dahinter kommt es zu chaotischen Kettenreaktionen, Fernando Alonso mit dem Renault und Robert Kubica im BMW schlüpfen durch und machen später den Sieg unter sich aus.

Runde zwei, Kurve zehn, und wieder charakterisiert das schöne japanische Wörtchen "Harakiri" die Vorgehensweise im Titelrennen. Diesmal kommt die herzlose Attacke von Rot. Rechts und links sieht Hamilton Rot, Massa geht innen auf Kampflinie. Und schon hängt der Brasilianer in der Seite des Silberpfeils, dreht ihn um, Hamilton muss das ganze Feld passieren lassen, er steht gegen die Fahrtrichtung. Erst im 67. und letzten Umlauf kann er die Überrundung wettmachen.

Für Fernsehzuschauer, die erst ein paar Minuten nach sieben Uhr am Sonntagmorgen eingeschaltet haben, waren schon alle Dramen gelaufen. Als in der 17. Runde der erste Mercedes-Motorschaden seit zwei Jahren zu beklagen ist, und Heikki Kovalainen seinen dritten Platz kraftlos aufgeben muss, folgt der elektronische Strafbefehl. Auf den Bildschirmen an den Kommandozentralen leuchtet eine Boxendurchfahrtsstrafe für Hamilton wegen der rüden Fahrweise am Start auf. Bei Ferrari wird das mit gesenktem Kopf quittiert, dort weiß man, was folgen wird. Augenblicke später ist auch Massa in die Verkehrssünderkartei aufgenommen worden, für das Verursachen einer Kollision. Das gleiche Strafmaß - was natürlich umgehend zu Diskussionen führt.

Hamilton reklamiert für sich, keinen Vorteil gehabt und niemand berührt zu haben; Massa rühmt sein Manöver als "hart, aber fair". Salomonisch geurteilt ist es so: Bei beiden Aspiranten liegen die Nerven blank. Bei McLaren-Mercedes und Lewis Hamilton natürlich noch mehr: Die Sorge, erneut auf der Zielgeraden alles zu verlieren, steckt im Hinterkopf. 2007 hatte McLaren-Mercedes in Schanghai den Titel verspielt, auch damals hätte man nur auf Ankommen fahren müssen. Norbert Haug stemmt sich gegen jeglichen Aberglauben: "Ich denke nicht, dass wir verflucht sind. Im Vorjahr haben wir in Fuji gewonnen und danach war es nix, diesmal ist es vielleicht umgekehrt..."

Zunächst einmal ist aber auch die Führung in der Konstrukteurs-Wertung dahin. Die Aufarbeitung der Vorfälle verläuft ähnlich kontrovers wie das anfängliche Renngeschehen. Hamilton, ein echter Härtefall. Der 23-Jährige operiert an einem empfindlichen Limit zwischen Starr- und Leichtsinn. Vielleicht lässt sich das in diesem zugespitzten Titelrennen nicht vermeiden, aber die logische Abgeklärtheit, die er außerhalb des Cockpits an den Tag legt, wäre angebrachter. Mit vornehmer Zurückhaltung hätte er in Fuji keinesfalls mehr Punkte auf den Verfolger verloren - und der Stempel "Verkehrsrowdy" wäre blasser. Angeblich soll die übertriebene Härte, die ihm schon in Spa den sicheren Sieg kostete, beim nächsten Fahrerbriefing zur Sprache kommen. Auch Haug gibt zu: "Das war alles ein bisschen wild, alle Meisterschaftsanwärter haben Nerven gezeigt. Der Start war nicht im Sinne des Erfinders, Lewis hätte den Konter nicht unbedingt versuchen müssen."

RTL-Stimme Niki Lauda ist in seiner Analyse so gnadenlos wie Hamilton hinterm Steuer: "Das ist ein Wahnsinn, so etwas in der ersten Kurve zu machen, wenn man die WM gewinnen will. Ein vollkommen unnötiges Risiko!" Eine Bestrafung hat Lauda allerdings für überflüssig erachtet. "Rennfahrer sind dafür da, Rennen zu fahren", findet der dreimalige Meister. Doch die Linie der Streckenkommissare ist in diesem Jahr stur, und immer dann, wenn silberne Autos beteiligt sind, erscheint sie besonders kompromisslos.

Der Verkehrssünder gelobt keinesfalls Besserung: "Ich weiß gar nicht, für was ich bestraft worden bin", sagt Lewis Hamilton: "Meine Bremsen waren noch kalt. Für das Team tut es mir leid. Ich werde das wieder gutmachen. Aber deshalb werde ich am nächsten Sonntag wieder genauso fahren." Das Duell mit Massa gewinnt damit ordentlich an Fahrt. Ob er mit dem Brasilianer über den Crash reden wird? Antwort Hamilton: "Nein. Ich werde ihn im nächsten Rennen einfach schlagen."

© SZ vom 13.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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