Formel 1:Eisiger Atem im Genick

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Undurchsichtig: Lewis Hamilton. (Foto: Dan Istitene/Getty)

Mercedes und die Angst vor weiteren unerklärlichen Defekten: Der Rennstall ist wieder so überlegen wie eh und je, nur mit vertauschten Rollen - ein Paradoxon.

Von Elmar Brümmer, Barcelona

Zehn Formel-1-Siege in Serie. Doppelerfolg für Nico Rosberg und Lewis Hamilton. Doppelführung in der Fahrer-Weltmeisterschaft. Spitzenreiter bei den Konstrukteuren. Die Bilanz des Mercedes-Rennstalls vor dem Europa-Auftakt mit dem Großen Preis von Spanien an diesem Wochenende liest sich wie ein Stenogramm des Erfolgs. Die übliche Überlegenheit, seit es Hybrid in der Königsklasse gibt. Aber der stärkere Antrieb in der Formel 1 sind manchmal die konspirativen Theorien. Zweimal der gleiche Schaden am Motor des Weltmeisters? Zwei Kurzschlüsse? Zweimal nacheinander keine ausführliche technische Erklärung? Kann das sein, beim besten Team von allen? Schon die Anzahl der Fragezeichen passt nicht zu Mercedes, passt nicht zu Lewis Hamilton. Deshalb mussten die Ausrufezeichen her: Sabotage! Daimler will einen deutschen Weltmeister, endlich! So fangen die großen Verschwörungen an, auf dem Boulevard und in den sozialen Medien, gipfelnd in der neuerlichen Sorge: Geht der technische Shitstorm beim Großen Preis von Spanien weiter?

Mercedes-Teamchef Toto Wolff spricht von einer "interessanten Aufgabe", wenn er Bilanz ziehen soll: "Auch wenn wir von den Platzierungen her kaum mehr verlangen können, war es bislang alles andere als eine Kaffeefahrt. Wir spüren den Atem unserer Gegner im Genick." Eine poetische Umschreibung des Österreichers für die Aufholjagd, die Ferrari betreibt, und für das Problem als Branchenführer: "Je länger das Reglement stabil bleibt, desto härter ist es, zusätzliche Performance zu finden. Wir gehen bis an die Grenzen, um sicherzustellen, dass wir konkurrenzfähig bleiben, quetschen jede Millisekunde aus dem Paket. Aber wenn man ans Limit geht, riskiert man ab einem gewissen Grad, dass man darüber hinausschießt."

Mit einem offenen Brief statt mit dem in der Formel 1 üblichen eisigen Schweigen begegnet Mercedes den Vorwürfen, man würde Hamilton bewusst schwächen. Darin ist von Frauen und Männern die Rede, die Blut, Schweiß und Tränen für den Rennsport geben. Das klingt wie ein Satz aus dem Motivationshandbuch, die Geste nach innen ist wichtiger als die nach außen. Es geht um die Gefühlslage des führenden Rennstalls, um die richtige Balance, die im Statement von Toto Wolff und Niki Lauda gipfelt: "Bei uns wird der Job nicht für den einen oder anderen Fahrer gemacht, sondern füreinander. Es gibt kein A- oder B-Team." Genau deshalb wurden auch Teile der Mechaniker-Crews über den Winter durchgewechselt, was allerdings nach der jüngsten Problemserie zu neuen Verschwörungstheorien führte.

Dass die Vorwürfe dem Weltmeisterteam bei aller Überlegenheit so nahegehen, sagt etwas aus über den hohen Anspruch und die enorme Anspannung, die Seelenlage des Teams. Es ist tatsächlich so etwas wie Angst zu spüren, die Angst vor sich selbst, vor weiteren unerklärlichen Defekten. Hamilton fährt jetzt schon mit dem vierten Turbolader und der vierten Energieeinheit - nach der fünften folgen Strafen; Rosberg ist noch mit der ersten unterwegs - obwohl auch er am Ende in Sotschi kurz vor dem Ausfall stand. Bei mangelnder Zuverlässigkeit muss umso gründlicher für Selbstsicherheit gesorgt werden. Mercedes intensiviert die Wartungsintervalle für die Seele.

Ein Paradoxon. Mercedes ist wieder so überlegen wie eh und je, nur eben mit vertauschten Rollen. Und der WM-Führende Nico Rosberg wehrt trotz insgesamt sieben Siegen in Serie jeglichen Kommentar zur Titelperspektive ab, obwohl er sich nichts sehnlicher wünscht. Er sagt auch in Barcelona so oft, dass er sich nur aufs nächste Rennen konzentrieren wolle, dass die Reporter zurückfragen: "Bekommen wir jetzt etwa immer nur die gleiche Aussage zu hören?"

Rosberg wehrt sogar die Annahme ab, dass es sich um die Chance seines Lebens handelt. Er hält sich bewusst bedeckt, auch wenn er jetzt ebenfalls einen persönlichen Fotografen im Tross mitschleppt. Denn noch ist es ja nicht zum richtigen Duell mit dem Rivalen Hamilton gekommen, über das sich der Deutsche als Champion definieren will. Nach dem Triumph in Sotschi, durch den er seinen Vorsprung vor dem Briten auf 43 Punkte ausbauen konnte, hatte er geunkt: "Ich genieße es, es wird aber nicht ewig so weitergehen."

Lewis Hamilton, der nach seiner Pannenserie allen Grund zur Unruhe haben sollte, ist erst einmal zum Festival der Geschwindigkeit nach Barbados entflogen. Im Gegenlicht der Karibik posierte er in Karatekämpfer-Stellung am Strand. Aber sonst gibt sich der Champion zahm. Nicht nur die fahrerischen Fähigkeiten des Titelverteidigers sind gefürchtet, auch sein politisches Geschick innerhalb eines Teams ist weltmeisterlich. Das gehört zur Angst bei Mercedes vor einer Fortsetzung der Pechsträhne. Hamilton hält sich einstweilen zurück und bittet seine insgesamt etwa zehn Millionen Follower in allen sozialen Medien: "Vertraut bitte alle in meine Mannschaft, so wie ich es tue. Das ist meine Familie, durch sie bin ich dreimal Weltmeister geworden. Verschwendet keinen Gedanken mehr daran, dass mein Team irgendwas gegen mich unternehmen würde. Ich vertraue diesen Jungs tausendprozentig."

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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