Football: Super Bowl:Aus dem Schatten

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Aaron Rodgers, Spielmacher der Green Bay Packers, schreibt vor der Super Bowl seine persönliche Geschichte weiter mit dem Titel: Nichts im Leben läuft so, wie man es sich vorstellt.

Jürgen Schmieder

Dass er für diesen missratenen Spielzug am Ende auch noch gelobt werden würde, nein, damit hat Aaron Rodgers wirklich nicht gerechnet. "Ich habe nicht gut gespielt", sagte der 27-Jährige kleinlaut. "Mein Fehlwurf hätte diese Partie zum Schlechten wenden können." Der Spielmacher der Green Bay Packers hatte sich im Halbfinalspiel gegen die Chicago Bears eine Interception geleistet, Gegenspieler Brian Urlacher stürmte mit dem Ball auf die Endzone der Packers zu. Rodgers konnte ihn zu Boden bringen, es war kein spektakuläres Tackling, vielmehr rutschte Rodgers aus und bekam den Verteidiger der Bears gerade noch am Bein zu fassen.

Entscheidende Szene beim Spiel der Packers gegen die Chicago Bears: Aaron Rodgers stoppt Brian Urlacher. (Foto: REUTERS)

Während sich Rodgers für seinen Fehlwurf entschuldigte, priesen viele Experten, dass sein beherztes Eingreifen danach die wichtigste Aktion des gesamten Spiels gewesen sei und die Packers deshalb am kommenden Sonntag in der Super Bowl gegen die Pittsburgh Steelers antreten dürfen. In der New York Times etwa stand: "Er hat etwas getan, was nicht üblich ist für einen Quarterback. Mit solchen Aktionen wird er einer der Großen dieses Sports."

Sollte Rodgers diese Zeilen gelesen haben, dann wird er sie wohl ausgeschnitten und in den Ordner gelegt haben, auf dem steht: Nichts im Leben läuft so, wie man es sich vorstellt - die Geschichte von Aaron Rodgers.

"Ich wusste, dass er Talent hat", sagt sein Vater Ed. "Aber wer glaubt denn schon daran, dass sein eigenes Kind mal in der Super Bowl spielen wird?"

Aarons Rodgers stammt aus Chico, einer kleinen Stadt im nördlichen Kalifornien. Die meisten der 100.000 Einwohner arbeiten in Kliniken oder Schulen, als große Tugend gilt, gewöhnlich zu sein. Wer einmal nach Chico zieht, der geht meist nicht mehr weg, der setzt einen Haken unter sein Leben und bleibt in diesem beschaulichen und gemütlichen Ort.

Aaron Rodgers ging in Chico zur Schule und spielte Football für die Highschool-Mannschaft. Er war gut, aber nicht so gut, dass ihm die Elite-Universitäten ein Stipendium anbieten würden - nur die University of Illinois lockte ihn mit einem Probetraining. Rodgers lehnte ab und besuchte lieber das zweitklassige Butte College, das nur ein paar Meilen entfernt ist. Warum wegziehen, wo es daheim so schön ist?

Aarons Auftritte als Quarterback waren noch besser als seine herausragenden schulischen Leistungen, nach einem Jahr wurde die University of California auf ihn aufmerksam, zwei Jahre später galt er als Anwärter darauf, als erster Nachwuchsspieler des Jahres von einem NFL-Klub ausgewählt zu werden. Rodgers konnte eine große Karriere planen. Die San Francisco 49ers verpflichteten jedoch den Quarterback Alex Smith - und weil die anderen Klubs keinen Spielmacher benötigten, wurde Rodgers erst an 24. Stelle von den Green Bay Packers gewählt. Nichts läuft so, wie man es sich vorstellt.

Green Bay ist eine kleine Stadt in Wisconsin, die meisten der 100.000 Einwohner arbeiten in Papierfabriken oder als Fleischverpacker. Als große Tugend gilt, gewöhnlich zu sein. Wer einmal nach Green Bay zieht, der geht meist nicht mehr weg, der setzt einen Haken unter sein Leben und bleibt in diesem beschaulichen und eiskalten Ort. Die Packers sind nicht - wie alle anderen Profiklubs in den USA - Eigentum eines Einzelnen oder einer Investorengruppe, vielmehr teilen sich 112.015 Menschen 4,75 Millionen Aktien, wobei niemand mehr als 200.000 Anteile besitzen darf. Nur aufgrund dieser Vereinsstruktur können die Packers mithalten mit anderen Klubs, die in Metropolen angesiedelt sind.

Immer locker bleiben: Aaron Rodgers beim Medientag in Dallas. (Foto: REUTERS)

Rodgers größtes Problem damals: Der Spielmacher der Packers war Brett Favre, der in Green Bay seit dem Gewinn der Super Bowl im Jahr 1996 wie ein Heiliger verehrt wird - und der sich am Ende seiner Karriere einen Spaß daraus machte, zurückzutreten und den Rücktritt wenige Wochen später rückgängig zu machen. Drei Jahre lang war Rodgers Ersatzspieler, immer wieder gab es Gerüchte um Vereinswechsel. Doch Rodgers blieb.

"Sicher habe ich mir diese Jahre anders vorgestellt", sagt er später über die Zeit als Reservist. "Aber nach den negativen Überraschungen folgte dann eine positive, weil man sein Leben nicht planen kann." Im Jahr 2008 gab es dann den Paukenschlag: Die Packers verkündeten, dass Rodgers von nun an Stammspieler sein werde - selbst wenn Favre mal wieder verkünden würde, seine Karriere doch fortsetzen zu wollen. Favre wurde zu den New York Jets transferiert und Rodgers als neuer Quarterback vorgestellt. Es gab Proteste in Green Bay, beim Trainingsauftakt kam es zu Tumulten.

Doch Rodgers kann sich etablieren. Er ist der erste Spielmacher in der Geschichte der NFL, der in seinen ersten beiden Spielzeiten als Stammspieler mehr als 4000 Yards Raumgewinn durch Pässe schafft. Er spielt nahezu fehlerfrei, läuft trotz Verletzungen auf und führt die Packers 2009 und 2010 in die Playoffs.

Was den Menschen in Green Bay an Rodgers besonders gefällt, ist die Mischung aus Selbstbewusstsein und Bescheidenheit. Er weist schon mal einen Reporter zurecht, wenn er glaubt, ungerecht behandelt zu werden. Er gibt aber auch Fehler zu, ohne sie beschönigen zu wollen - wie den beim Spiel gegen Chicago.

"Er war schon als Kind so", sagt sein Vater Ed und verweist auf zwei Anekdoten aus Aarons Jugend. Als ihn der Direktor der Highschool in Chico fragte, was er dazu beitragen könne, die Schule besser zu machen, da antwortete Aaron: "Auf jeden Fall sind ihre Sportmannschaften nun besser als bisher." Und als sein Highschool-Trainer ihn nach einem Spiel lobte, bekam er von Aaron zu hören: "Sie sollten erst einmal meinen Bruder sehen, der ist viel besser als ich."

Am kommenden Sonntag hat Rodgers nun die Gelegenheit, endgültig aus dem Schatten seines Vorgängers Brett Favre zu treten. "Es ist ein unglaubliches Gefühl, nach all den schweren Zeiten in diesem Endspiel zu stehen", sagt Rodgers. Um das Finale zu gewinnen, braucht es eine herausragende Leistung von Rodgers, gilt die Defensive der Pittsburgh Steelers doch als beste der gesamten NFL. Strong Safety Troy Polamalu wurde gerade zum Verteidiger des Jahres gewählt, für nicht wenige Experten steht fest, dass sich Rodgers am sogenannten steel curtain die Zähne ausbeißen wird. Vielleicht sollte Rodgers diesen Experten mal den Ordner mit seiner Lebensgeschichte überreichen.

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