EM-Titel der U21:DFB-Talente stecken im Erfolgskorsett

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Überzeugt im EM-Finale: Mitchell Weiser (Foto: Getty Images)

Der EM-Titel für die U21 weist auf eine erstaunliche Entwicklung hin: Deutsche Fußballer müssen nicht mehr die Allerbesten sein, um am Ende die Besten sein zu können. Der Talente-Ausbildung sei Dank.

Kommentar von Sebastian Fischer

Mitchell Weiser war erst der Fußballer im Tanga, dann war er der mit dem "Swag". Jetzt ist er der goldene Torschütze - und das mit einem Kopfballtor, obwohl er doch nie Kopfballtore erzielt. Besser als am Mittelfeldspieler Weiser, 23, von Hertha BSC, dessen Start in eine Profikarriere ein beschwerlicher war, lässt sich die Entwicklung nicht beschreiben, die der Triumph der deutschen U21-Europameister zeigt. Es ist nämlich so: Deutsche Fußballer im Jahr 2017 müssen nicht unbedingt die Allerbesten sein, um die Besten sein zu können.

Zur Erinnerung: Der Spieler Weiser wechselte einst aus Köln zum FC Bayern, wo er aber nie so richtig zur Geltung kam. Er fiel vor allem auf einem leicht bekleideten Foto auf, das er gemeinsam mit David Alaba aufnahm und wurde (wenn er mehr anzog als besagten Tanga) mit engen Hosen voller Nieten und schreiend bunten Schuhen zur Kultfigur der Facebook-Seite "Fußballer, die den Swag aufdrehen". Aber Fußball? Erst später bei Hertha BSC wurde sein Talent offensichtlich - und seine taktische Ausbildung, die er aller Extravaganz zum Trotz genossen und vertieft hat. Diese Ausbildung lässt deutsche Fußballer im Jahr 2017 glänzen. Das hat das Finale von Krakau gezeigt wie lange kein Spiel vorher.

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Nun wäre es falsch und ungerecht, den Weisers, Toljans und Pollersbecks ihr Talent kleinzureden. Sie sind allesamt herausragende Fußballer. Und doch werden Kämpfer wie etwa Kapitän Maximilian Arnold aus Wolfsburg, einer der eifrigsten Gelbe-Karten-Sammler der Bundesliga, nun auf dem Transfermarkt zurecht nicht höher gehandelt werden als Künstler wie der herausragende Saúl Niguez, der nun einen neun Jahre gültigen Vertrag bei Atlético Madrid besitzt. Aber Saúl hat für Spanien nicht den Unterschied gemacht im Finale. Den Unterschied machten am Freitag elf leidenschaftlich fußballspielende junge Männer - und deren Hunderte ehemalige Trainer, die Nachwuchsinternate, deren Leiter und ihre früher mal belächelten Konzepte.

Die Mannschaft kommt ohne die besten Talente und den besten Trainer aus

Deutschland spielte taktisch hervorragend. Wer in einer beliebigen Minute des Spiels das Bild eingefroren hätte, der hätte zwei Viererreihen gesehen, die sich perfekt den Raum aufteilten, die ihn abmaßen wie ein Spießbürger seinen Schrebergarten. Sie verschoben im richtigen Zeitpunkt zur Ballseite, sicherten im richtigen Abstand ihre Mitspieler ab, wie eine programmierte Maschine. Nirgends war Raum für spanische Tricks. Bei eigenem Ballbesitz griffen die Deutschen schnell und gradlinig an, ohne Umwege und Kompromisse. Es passt in dieses Bild, dass Deutschlands größte Talente gar nicht in Polen spielten, sondern am Sonntag im Confed-Cup-Finale für die A-Nationalmannschaft. Es passt auch, dass der für die U21 verantwortliche Trainer Stefan Kuntz gar nicht mal als so herausragend begabter Trainer gilt. Es scheint gerade ziemlich egal zu sein, wen der DFB aus seinem riesigen Fundus aufstellt. Alle sind ziemlich schwer zu schlagen, taktischem Wissen und taktischer Disziplin sei Dank.

2009, bei den U-21-Europameistern, die 2014 zu Weltmeistern wurden, hatten gerade die ersten Generationen die modernisierte, für die WM 2006 reformierte Fußball-Ausbildung durchlaufen. Inzwischen hat der deutsche Fußball ein Korsett erschaffen, das eine breite Masse an talentierten Fußballern immer früher von den Amateurklubs weg auf die Internate lockt und für die Spitze ausbildet. Oliver Bierhoff hat dieses Korsett jüngst hinterfragt, im Interview mit dem Hamburger Abendblatt sagte er: "Wir haben sehr viele ähnliche Spielertypen, zu wenig Vielfalt in der Ausgestaltung der Persönlichkeiten. Wir sind zu systemverhaftet und haben dabei individuelle Stärken wie Dribbling, Kopfballspiel oder Abwehrverhalten vernachlässigt." Das können ein paar junge Franzosen oder Spanier inzwischen wieder besser als die besten deutschen Talente.

Doch der Erfolg von Krakau zeigt auch die Vorteile der Systemverhaftung. So kann eine deutsche Mannschaft auch mal eine spanische schlagen, die den einschlägigen Marktwertberechnungen zufolge doppelt so viel wert ist. Dass Kreativität deshalb nicht verboten ist, das beweist ja Mitchell Weiser. Das entscheidende 1:0 war erst das zweite Kopfballtor seiner Karriere.

© SZ vom 02.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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