Eishockey:Von ganz unten nach ganz oben

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Pole Position verteidigt: Der Straubinger Sebastian Osterloh (vorne) verwehrt dem Berliner Marcel Noebels das Vorbeikommen. (Foto: Mario Stiehl/imago)

Der Trainer Larry Mitchell und der sportliche Leiter Jason Dunham haben die Straubing Tigers an die Tabellenspitze geführt. Im zehnten Jahr seiner DEL-Zugehörigkeit bleibt der kleine Verein trotzdem bodenständig.

Von Johannes Kirchmeier, Straubing

Jason Dunham lächelt, als er im Straubinger Eisstadion steht und den Eishockeyspielern beim Training zuschaut. Die Tigers sind Tabellenführer der Deutschen Eishockey Liga (DEL), ihr Sportlicher Leiter darf glücklich sein. Doch dann kracht es, ein Bruch. Plötzlich hat der 45-Jährige ein Problem. Denn im Straubinger Eishockey fällt auch eine gebrochene Plexiglasscheibe ins Aufgabengebiet des Sportlichen Leiters. Dunham tigert los, schwingt die erste Tür auf, dann die zweite, bevor er vor den Ersatzscheiben steht, keine passt. Als er bei der Stadt, dem Stadionbetreiber, anruft, murmelt er lachend: "Wir sind einfach ein kleiner Verein."

Wir sind einfach ein kleiner Verein - das ist es, was sie in Straubing seit Jahren sagen. Dunham hat es verinnerlicht, seit 2004 gehört er dem Klub an: erst als Spieler, dann als Co-Trainer, inzwischen als Sportlicher Leiter. Als er in Straubing ankam, spielte der Klub in der 2. Liga, Dunham hatte noch etwas mehr Haare auf dem inzwischen kahlen Kopf, das Stadion war auf einer Seite offen. "Seit wir in der DEL spielen, haben wir wohl alles umgebaut", sagt er. Die Tigers sind als letzter Klub in die DEL aufgestiegen, hinter ihnen wurde 2006 die Schranke zwischen erster und zweiter Liga geschlossen. Und mit ihr das Eisstadion am Pulverturm: Erst dichtete die Stadt die Ostseite mit einem Bretterverschlag ab, mittlerweile sind Geschäftsstelle und VIP-Bereich angebaut.

Den Aufstieg und den Verbleib in der DEL bezeichnen sie in Straubing als ihre größten Erfolge. Bloß nicht zu viel träumen und sich finanziell übernehmen - das hat die regionale Konkurrenz in Landshut und Regensburg gemacht. Beide Vereine spielen jetzt in der Oberliga. Die Straubinger feiern dagegen Jubiläum, ihr zehntes DEL-Jahr. Klar, die Tabellenführung ist eine Momentaufnahme und "ausgerechnet" im Sport ein oft verwendetes Wort. Aber dass ausgerechnet jetzt die Tigers mit einem der kleinsten Etats der Liga oben stehen, passt ihnen schon ganz gut.

Dunham, ein gebürtiger Kanadier, der in Deutschland zum Fußballfan wurde, vergleicht die Situation der Straubinger mit der des FC Augsburg in der Fußball-Bundesliga: "Der wünscht sich sicher das gleiche Geld wie Bayern. Aber trotzdem spielt er in derselben Liga gut mit." Und so wie der FCA muss Dunham aus wenig Geld viel machen. Im Dezember 2014 dachte er vielleicht an dieses Beispiel, als er Trainer Larry Mitchell verpflichtete, der sich kurz zuvor von den Augsburger Panthern getrennt hatte. Es ist Dunhams größter Coup: Mitchell übernahm den Tabellenletzten und machte aus der Verlierer-Truppe der vergangenen Saison, die bis zu zehn Spiele ohne Sieg blieb, Gewinner. Auch weil Dunham die Wünsche des Coaches erfüllt hat, oder wie er sagt: "Zuhören ist wahrscheinlich am wichtigsten in meinem Job. Wenn der Trainer oder die Spieler mit Vorschlägen kommen, höre ich mir die an." Vor der Saison bauten die Tigers den Kader um, holten zwölf Spieler. Mitchell brachte Vorschläge ein: Die Hälfte der Spieler kannte er bereits aus Augsburg, darunter ist mit Ryan Bayda der Topscorer der Liga.

Straubing ist eine kleine Stadt mit gerade einmal 45 000 Einwohnern. Aber knapp 5000 davon sehen sich jedes Wochenende ein Eishockey-Heimspiel an. Die Fans sind stolz auf ihre Mannschaft, "und wir auf die Fans", sagt Dunham. Die Anhänger gehören zu den lautesten der Liga. "Egal, ob mit dem Schreiner oder dem Bürgermeister, in Straubing redet man nur über Eishockey", sagt Dunham, "wie in Edmonton", wo er herkommt und einst die Legende Wayne Gretzky spielte. Eigentlich hätte Dunham die Immobilienfirma der Eltern übernehmen sollen. Doch mit 23 entschloss er sich für ein Abenteuer: Mit Rückflugticket (auf Anraten des Vaters) buchte er eine Reise nach Europa, um als Eishockeyspieler Geld zu verdienen. Er hat sich eingelebt, eine Bayerin geheiratet, sie haben zwei Kinder. In Niederbairisch mit englischem Akzent sagt er: "I lieb Bayern. I hob do baut und fühl mi' wohl. Des is' mei Heimat."

Mit seinen Tigers, die längst mehr als ein Arbeitgeber für Dunham sind, will er unbedingt die Playoffs erreichen. Und am besten ganz oben bleiben nach den beiden Spielen am Wochenende in Köln und zu Hause gegen Düsseldorf. Er schränkt aber ein: "Des is' einfach a affe und owe in da ganz'n Saison bei einem kleinen Verein." Oder außerhalb Niederbayerns gesagt: Wir sind einfach ein kleiner Verein, und bei dem geht es mal bergauf und dann wieder bergab.

© SZ vom 25.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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