Eishockey:Unter Hochdruck

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Bruder Dennis, 37, hat zwar einen NHL-Titel (2011). Aber Yannic Seidenberg, 34, 161 Länderspiele, ist der Erste in der Familie mit einer olympischen Medaille – und saß auf dem Flug nach Pyeongchang neben Lindsey Vonn. (Foto: Sebastian Widmann/Getty)

Wie sehr auch in der DEL die Profis an ihre mentalen Grenzen stoßen, offenbart Yannic Seidenberg. Er lässt sich seit langem von einem Mentaltrainer helfen.

Von Johannes Schnitzler, München

Crunchtime. #Geilste Zeit. Wochen der Wahrheit. Namen und Hashtags für die an diesem Mittwoch beginnenden Playoffs in der Deutschen Eishockey Liga gibt es viele. Mit den Viertelfinals brechen jene sechs Wochen an, die darüber entscheiden, ob eine Saison erfolgreich war oder zum Vergessen. Die Vorrunde: Makulatur. Nach 52 Spielen beginnt die Saison wieder bei Null, noch so ein Stehsatz. Es ist: der pure Leistungsdruck.

Seit Fußball-Weltmeister Per Mertesacker in einem Interview davon erzählte, wie er selbst bei der Heim-WM 2006, dem sogenannten "Sommermärchen", unter dem Druck zu leiden hatte, ist das Thema auch im Eishockey aktuell. Danny aus den Birken, Torhüter beim deutschen Meister EHC Red Bull München, sagte am Montag vor der Wiederauflage des Duells mit dem Tabellenneunten Bremerhaven: "Ich kann es mir gut vorstellen, dass im Profigeschäft viele mit diesem Druck kämpfen."

Ein früherer Tennisprofi half Yannic Seidenberg, eine schwere Phase zu überwinden

Vor einem Jahr, ebenfalls bei einer Heim-WM, stand aus den Birken selbst in der Kritik, wegen seiner Leistung und wegen einer unbedachten Äußerung einem Journalisten gegenüber. "Als Profi hast du selbstverständlich immer Druck", sagt der 33-Jährige: "Wenn es bei einem Profi nicht so läuft, kommt dieser negative Druck auf." In "dieser extremen Auswirkung" wie Mertesacker habe er die Belastungen eines Lebens als Berufssportler aber nie wahrgenommen: "Ich bin auch eher der ruhigere, relaxtere Typ", sagt aus den Birken. Für den Nationaltorhüter lief es in den vergangenen zwei Jahren: deutscher Meister, Olympia-Silbermedaillengewinner, bester Goalie des Turniers. "Aber selbstbewusst war ich eigentlich immer schon", sagt er. Yannic Seidenberg, aus den Birkens Mannschaftskollege in München und beim Nationalteam, spricht dagegen offen darüber, dass er seit Jahren die Hilfe eines persönlichen Mentaltrainers in Anspruch nimmt.

Auch Seidenberg hat eine imposante Vita vorzuweisen: zweimal Meister mit München, Rekordspieler des EHC in der DEL, "wertvollster Spieler" der Playoffs 2017, Olympia-Silber. Als er 2015 wegen einer schweren Knieverletzung monatelang pausieren musste, habe er aber "nicht mehr gewusst, ob ich weiter spielen kann". Die Sorgen färbten auf das Privatleben ab. "Das war eine schwierige Zeit, auch für meine Familie", sagt der Vater von drei Kindern. Damals habe er sich "verzweifelt" an Chris Hamilton gewendet. Der ehemalige Tennisprofi genießt in der Branche einen exzellenten Ruf. "Er kann einen nach Niederlagen aufbauen und hört zu", sagt etwa Nationalspieler Christian Ehrhoff von den Kölner Haien. Hamilton hörte auch Seidenberg zu - und nahm ihm die Ängste. Seitdem arbeiten die beiden einmal pro Woche miteinander, mit großem Erfolg. Am vergangenen Samstag wurde Seidenberg als "Verteidiger des Jahres" in der DEL ausgezeichnet - und das, obwohl der 34-Jährige bis zur vergangenen Saison als Stürmer spielte.

Neben einem "Riesendank" an Hamilton sprach Seidenberg dafür auch seinen Münchner Trainern, Don Jackson und dessen Assistenten Matt McIlvane, seine Verbundenheit aus "für das Vertrauen, das sie mir schenken". Er sei unsicher gewesen, "ob das so funktioniert, wie die beiden sich das vorstellen", als sie ihm eröffneten, künftig als Verteidiger mit ihm zu planen. In der vergangenen Saison hatte er ein paar Wochen in der Defensive ausgeholfen, und das so überzeugend, dass Jackson an der Idee Gefallen fand. Was wiederum für den Psychologen Jackson spricht, mit sieben Titeln der erfolgreichste Trainer der DEL-Geschichte. "Don Jackson ist eine Hausnummer im deutschen Eishockey", sagt Bremerhavens Coach Thomas Popiesch. "Er hat immer mit Top-Mannschaften den Titel geholt. Aber ich habe große Achtung davor, wie er seine Mannschaften führt." Auch Jackson, 61, kann zuhören.

Popiesch, mit dem kleinsten Budget zum zweiten Mal im zweiten DEL-Jahr mit Bremerhaven im Viertelfinale, trägt seit Samstag übrigens das Prädikat "Trainer des Jahres" - ein Titel, der Jackson bislang verwehrt blieb. Aber das ist eine andere Geschichte.

© SZ vom 14.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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