Eishockey:Keine Ehrfurcht nötig

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"Jeder kann jeden schlagen": Die Olympia-Absenz der NHL-Profis hat für die deutschen Eishockeyspieler nicht nur Nachteile. Nach zwei Niederlagen und einem Sieg ist für das Team von Trainer Sturm noch der Einzug ins Viertelfinale möglich.

Von Johannes Aumüller

Leon Draisaitl ist dabei in Gangneung. Tom Kühnhackl ebenso. Und auch Philipp Grubauer und all die anderen deutschen Eishockey-Cracks aus der nordamerikanischen Profiliga NHL. Sie sind es natürlich nicht physisch, weil ihre Arbeitgeber sie bekanntlich nicht freigestellt haben für dieses olympische Turnier, sondern lieber zu Hause ihren Ligabetrieb durchziehen. Aber sie sind es in Form kleiner Zettel in der Kabine, an der Wand über der Kaffeemaschine sind diese aufgehangen worden, wie der Bundestrainer Marco Sturm berichtet. Als Erinnerung daran, dass das halbe Dutzend NHL-Spieler einen Anteil hat an der Qualifikation fürs Olympia-Turnier - und auch als kleine Motivationshilfe. "Es ist ein guter Kader da an der Wand", sagt Sturm schmunzelnd.

Aber der Kader, der dem Bundestrainer in Südkorea nicht nur in Schriftform, sondern auch physisch zur Verfügung steht, macht es auch nicht schlecht. Drei Spiele gab es bisher, und drei Mal präsentierte sich die Mannschaft des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) sehr ordentlich. Gegen die Favoriten aus Finnland (2:5) und Schweden (0:1) gab es zwar noch Niederlagen, aber am Sonntag gegen Norwegen zum Vorrundenabschluss ein 2:1 nach Penaltyschießen. Und bevor nun am Dienstag gegen die Schweiz das K.o.-Spiel um den Viertelfinal-Einzug ansteht, in dem erneut Schweden der Gegner wäre, hören sich Sturm und seine Mannschaft immer forscher an. "Es ist noch vieles drin", sagte etwa Angreifer Patrick Hager, der das einzige Tor in der regulären Spielzeit geschossen hatte. "Es sind keine Mannschaften da, vor denen wir in Ehrfurcht erstarren müssen."

„Diese Lockerheit bräuchten wir im Spiel auch“: Dominik Kahun verwandelt im Penaltyschießen gegen Norwegen beim entscheidenden Versuch. (Foto: David W. Cerny/Reuters)

Es ist ja ein besonderes olympisches Turnier, weil nicht nur Draisaitl & Co., sondern alle Top-Spieler der nordamerikanischen NHL kollektiv fehlen. Stürmer Hager sieht nur drei Mannschaften, die etwas herausragen; die deutschen Gruppengegner Schweden und Finnland sowie die russische Sbornaja, die sich am Samstag im ewig aufgeladenen Duell mit den USA an einem 4:0 berauschte. "Aber ansonsten sind alle auf Augenhöhe", findet er. Bundestrainer Sturm sieht das ähnlich. Es sei zwar durch die vielen Abwesenheiten schon ein bisschen anders, aber es gelte eben auch: "Jeder kann jeden schlagen."

Dass das für die Schweiz in jedem Fall stimmt, bewies das DEB-Team kurz vor dem Olympia-Turnier in seinem letzten Test, den es 2:1 gewann. Aber wenn es das wiederholen will, muss es gegenüber der Vorrunde vor allem eines verbessern: die Effektivität vor dem Tor. Nur drei Treffer hat es bisher erzielt, teils war es Pech, teils aber auch ein Abschlussproblem.

Gegen Norwegen hatten die Deutschen mehr als ein halbes Dutzend guter bis sehr guter Chancen. Aber sie trafen entweder nur den Pfosten (David Wolf, 26.) oder Norwegens Schlussmann Lars Haugen oder ganz woanders hin. Auch eine fünfminütige Überzahlsituation konnten sie nicht nutzen. Erst Hagers Tor in der 33. Minute brachte die Führung, die aber in einer kurzen Schwächephase der Deutschen Alexander Reichenberg (46.) zum 1:1 egalisierte.

Das Problem mit der Treffsicherheit änderte sich erst, als es nach dem 1:1 sowie einer torlosen Verlängerung ins Penaltyschießen ging. Da klappte auf einmal alles reibungslos. Erst nahm sich Patrick Hager die Scheibe und überwand den gegnerischen Torwart, dann Manuel Plachta und zum Schluss Dominik Kahun. Als sei Toreschießen die selbstverständlichste Sache der Welt für die deutsche Eishockey-Mannschaft. "Es stehen keine fünf Gegner im Weg, die Eismaschine zieht das Eis schön ab und du kannst dir in dieser Zeit deinen Plan zurechtlegen", sagte Hager grinsend zur plötzlichen Treffsicherheit. Und auch Bundestrainer Sturm schöpfte - ganz ohne Gegrinse - Hoffnung aus der erfolgreichen Penalty-Serie: "Da sind sie alle locker. Diese Lockerheit brauchen wir im Spiel auch."

Sturm hat auch feststellen können, dass sich ein vermeintlich großes Problem bisher als nicht so gravierend herausgestellt hat. Er war mit drei Schlussleuten ins Turnier gegangen, die in ihren Klubs allesamt nicht die Nummer eins sind. Aber bei Olympia läuft das: Der Ingolstädter Timo Pielmeier parierte gegen Schweden stark. Gegen Norwegen überzeugte der überraschend wieder ins Tor gerückte Danny aus den Birken (München) - nicht nur im Penaltyschießen, in dem er zwei Versuche hielt, sondern auch bei zwei norwegischen Großchancen. Wer am Dienstag im Tor stehen soll, ließ Sturm offen.

In jedem Fall war der Sieg gegen Norwegen für die Statistiker schon mal bemerkenswert. Es handelte sich dabei um den ersten deutschen Erfolg bei Olympischen Spielen seit 16 Jahren, als es in Salt Lake City gegen Lettland ein 4:1 gab - unter anderem mit Marco Sturm im Angriff und dem heutigen Vize-Kapitän Christian Ehrhoff als Verteidiger. Damals stand das DEB-Team auch zum bisher letzten Mal in einem olympischen Viertelfinale. Aber manch einer im deutschen Tross scheint aufgrund des ausgeglichenen Turnieres und der bisher gezeigten Leistungen davon zu träumen, dass es auch für die erste deutsche Medaille seit langer Zeit reichen könnte. Die bisher letzte gab es 1976 in Innsbruck.

© SZ vom 19.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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