Eishockey:13 Jahre Warten

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2012 noch fast insolvent, jetzt deutscher Meister: Beim EHC München träumen sie nach dem ersten Titel von einer Wiederholung - und hoffen, die Stadt als Eishockey-Standort zu etablieren.

Von C. Bernhard, J. Schnitzler, München

So eine Schirmmütze ist ein vielseitiges Bekleidungsstück. Man kann damit seine Augen vor gefährlicher UV-Strahlung schützen. Man kann darauf Titel präsentieren wie "Deutscher Meister 2016". Oder (wenn man sie mit dem Schild nach hinten aufsetzt) man kann verhindern, dass einem Bier in den Nacken läuft. Das ist natürlich alles Theorie. In der Wolfsburger Eis Arena war am Freitagabend kein Sonnenstrahl zu sehen, nur goldenes Konfetti lag in der Luft. Das Bier floss so reichlich, dass man wohl auch im Taucheranzug nass geworden wäre. Und so trug Don Jackson seine Mütze mit der Aufschrift "Deutscher Meister 2016" denn auch nur, weil alle Spieler, Mitarbeiter und Trainer des neuen deutschen Eishockey-Meister aus München so ein Käppi trugen. Und weil er unter dem Schirm seiner Mütze verbergen wollte, wie gerührt er war.

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(Foto: Eibner/imago)

"Das gibt dir einen Thrill": Die Münchner Eishockeyspieler feiern nach dem 5:3 gegen Wolfsburg ihren Titel.

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(Foto: Matthias Kern/Getty Images)

Der Moment, in dem die Meisterschaft sicher ist: München gewinnt die vierte Partie der Finalserie gegen Wolfsburg.

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(Foto: Matthias Kern/Getty Images)

Zweimal sieht es so aus, als hätte Wolfsburg noch eine Chance: Mark Voakes (l.) erzielt erst den 1:1-Ausgleich, später die Führung zum 3:2 (im Bild).

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(Foto: Matthias Kern/Getty Images)

Auch wenn sie das Spiel zwischenzeitlich verloren hatten, wie Maximilan Kastner (l.) sagt, München kommt zurück - wie hier mit Kastners 3:3.

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(Foto: Hermann Hay/dpa)

Den Schlusspunkt setzt Steve Pinizzotto (dreht rechts jubelnd ab), der das 5:3 für München erzielt.

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(Foto: Hermann Hay/dpa)

Die Finalserie ist damit entschieden, Münchens Toni Söderholm (mit Pokal) eröffnet den Meisterschaftsjubel.

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(Foto: Hermann Hay/dpa)

Und EHC-Torwart David Leggio feiert die erste Meisterschaft seiner Mannschaft mit einer Zigarre.

Zum sechsten Mal hat der 59-Jährige aus Minnesota nun die Meisterschaft in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) geholt, so oft wie kein anderer. Emotionen hat er dabei selten gezeigt. Doch nach dem 5:3 - dem vierten Sieg im vierten Finalspiel gegen die Grizzlys Wolfsburg, denen der EHC im vergangenen Jahr im Viertelfinale noch 0:4 unterlegen war - als am Freitagabend längst Zigarren verteilt wurden und der Eingang zur Münchner Kabine einem Bienenstock glich, in den Eishockeyspieler hineinschwirrten und Feierbiester heraus, war einer wie vom Erdboden verschluckt: Don Jackson, einsneunzig groß, war plötzlich verschwunden. Als er für das Siegerfoto wieder auftauchte, sagte er, das alles sei "sehr emotional", seine Wangen waren feucht: "Das sind Tränen der Freude, ganz klar."

Er behält die Fassung, auch beim Stemmen des Meisterpokals: Trainer Don Jackson beim abgeklärten Jubel. (Foto: Matthias Kern/Bongarts/Getty Images)

Während des Spiels hatte Jackson seine Hände in den Hosentaschen vergraben. Hinterher sagte er: Auch Titel Nummer sechs sei für ihn "speziell", und das sei "alles, was ich dazu sagen kann". Es ist ein Titel mit Ansage. Eishockey sei "ein toller Sport", aber eben auch ein Geschäft, in dem sich alles um Titel drehe. Was bei anderen großspurig klingt, klingt bei Jackson völlig selbstverständlich. Der Hüne aus Minnesota, der als Spieler an der Seite von Wayne Gretzky zwei Mal den Stanley Cup gewann und in seinen rund 20 Trainerjahren Meisterschaften gesammelt hat wie andere Bierdeckel, lässt sich Emotionen eher selten anmerken. Andere dafür umso mehr. Christian Winkler etwa hat in München 13 Jahre lang auf diesen Moment hingearbeitet. "Ich habe hier angefangen, da war der EHC in der Oberliga", erzählte er. "Dann waren wir tot. Und heute stehen wir hier. Das ist wie ein Traum." Ein Blick in Winklers playoffbärtiges Gesicht reichte, um zu verstehen, wie sehr ihn dieser Titel berührte. "Er arbeitet seit 13 Jahren so hart. Ich freue mich sehr für ihn. Jetzt ist auch er Meister", sagte Jackson.

Einige EHC-Profis hatten fast so lange wie Winkler auf ihren ersten DEL-Titel warten müssen. Kapitän Michael Wolf (596 DEL-Spiele), Yannic Seidenberg (755), Uli Maurer (528), Tobias Wörle (585) - sie alle stemmten erstmals den Silberpott in die Höhe. Wolf, 35, sprach von einer "Riesenlast", die von ihm abgefallen sei. Der Titel sei für ihn nicht das i-Tüpfelchen auf seiner Karriere - "das ist ein Ausrufezeichen!" Für Seidenberg und Maurer war es im dritten Endspiel-Anlauf der erste Triumph. Ihretwegen liefen Jackson sogar ein paar Tränchen über die Backe. "Jungs zu sehen, die zum ersten Mal einen Titel holen, das gibt dir einen Thrill." Noch im Dezember war der EHC lediglich Tabellen-Achter, Siege und Niederlagen wechselten sich ab. Jackson aber ließ die Kritik an sich abprallen. "Er verliert selten die Fassung", sagt Nationalstürmer Frank Mauer.

Was dieser erste Titel für den Klub, der 2012 vor der Insolvenz stand, ehe der österreichische Getränkeriese Red Bull ihn übernahm, bedeutet? "Das katapultiert den Stellenwert des Eishockeys in München nach oben", glaubt DEB-Präsident Franz Reindl. "Das ist keine Eintagsfliege, da ist richtig Dampf dahinter." Entscheidend für die weitere Entwicklung sei nun der Bau einer neuen Halle. "Ich kann nur hoffen, dass man das Projekt durchzieht", sagt Reindl. Das Projekt war zuletzt ins Stocken geraten, die Basketballer des FC Bayern sind ausgestiegen. "Eine neue Arena würde München auf ein neues Level heben", sagt DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke. Denn ein Eishockey-Standort ist München trotz dieses Titels, des insgesamt vierten für eine Münchner Mannschaft, noch nicht. In Mannheim, sagt Nationalspieler Mauer, der 2015 noch mit den Adlern den Titel holte, "in Mannheim leben die Leute für Eishockey. Das war alles einen Zacken schärfer."In München arbeiten die Verantwortlichen nun daran, die Meistermannschaft noch einen Zacken schärfer zu machen. In Brooks Macek (Iserlohn), Derek Joslin (Nürnberg) und Jon Matsumoto (Augsburg) gelten drei Zugänge als gewiss, weitere Namen kursieren. "Er hat ein Händchen für die Spieler", sagt Franz Reindl. Eine Mannschaft zu führen "mit so einer Kadertiefe", dafür brauche es "große Qualität". Jackson habe die Mannschaft "super geführt", sagt auch Uli Maurer, der oft nur Reservist war. "Aber ein Trainer ist auch immer nur so gut wie seine Spieler."

Uli Maurer, 31, einer der Spieler der nun offiziell besten Mannschaft der Liga, wechselt zur kommenden Saison nach Schwenningen, zum Tabellenletzten. Für München ist er nicht mehr gut genug.

© SZ vom 25.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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