Eishockey:Iron Mike und Leistenbruch

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Mit mutigen Ankündigung und vielen neuen Spielern starten die fünf bayerischen Vereine in die neue Saison - Ein Blick in die Glaskugel.

Von C. Bernhard, C. Leischwitz und J. Schnitzler

Die Liga ist noch enger und ausgeglichener geworden, sicher, und leichte Gegner gibt es nicht mehr. Gähn. Aber was, wenn es so wäre? Die Deutsche Eishockey Liga (DEL) geht an diesem Freitag in ihre 22. Spielzeit, und was sagt Geschäftsführer Gernot Tripcke? "Es klingt zwar abgedroschen, aber die Liga ist noch enger und ausgeglichener geworden." Dafür, dass es nicht langweilig wird, stehen allein 40 bayerische Derbys. Was die fünf DEL-Klubs aus dem Freistaat von der Saison erwarten: ein Blick in die Glaskugel.

Noch vor dem Eröffnungsbully haben sich die Augsburger Panther den ersten Titel gesichert. Augsburg? Das Team, das zuletzt von Platz zwei bis Platz zwölf durchgereicht wurde? Gut, es war nur bei der "1. DEL Stars & Skills Competition", einer Art Topfschlagen auf Schlittschuhen, aber immerhin: Drew LeBlanc, Zugang von den Rockford Ice Hogs aus der American Hockey League (AHL), siegte in der Kategorie "Hände". Die gute Nachricht: Niemand dribbelt so schnell um Tische, Betten und Schränke wie der Kanadier. Die schlechte: In der DEL werden dem Techniker weder Tische noch Betten auf dem Eis begegnen. Dafür umso mehr Schränke. Dennoch ist der Mittelstürmer für den neuen AEV-Trainer Mike Stewart ein Hoffnungsträger: "Ich glaube, er kann unser Powerplay führen." Stewart weiß, dass er in Augsburg nach der Ära Larry Mitchell aus Spielern ein Team formen muss, deren Verpflichtung anderen, reicheren Klubs zu riskant gewesen wäre. LeBlanc etwa galt im College als hochbegabt. In der NHL brachte es der 26-Jährige aber gerade einmal auf zwei Spiele für die Chicago Blackhawks, ehe er die beiden vergangenen Jahre in der AHL versank. Evan Oberg zog sich in Portland (AHL) eine langwierige Verletzung zu und verpasste einen Großteil der Saison, Torhüter Jeff Deslauriers, 31, ein NHL-Veteran, kam in der osteuropäischen KHL für Riga gerade einmal auf 13 Einsätze. Für Stewart, dessen größter Erfolg als Trainer der DEL2-Titel 2014 mit Bremerhaven ist, mehr eine Herausforderung als ein Risiko: "Man sieht, warum er in der NHL war. Er wird für uns eine große Rolle spielen." Der Austrokanadier Stewart, einst ein kompromissloser Verteidiger (Spitzname "Iron Mike"), setzt auf eine Trotzreaktion, einen Jetzt-erst-recht-Effekt. Er sagt: "Mich interessiert die Vergangenheit nicht." Ganz im Sinn des Vereins, der die Reset-Taste drückte und alles auf Anfang stellte: Trainerteam, Fitness- und Mentalcoach, Ernährungsberatung - alles neu bei den Panthern. 16 Spieler mussten gehen, 15 neue kamen, darunter der langjährige AHL-Topscorer Mark Mancari, 30, aus San Antonio. Der hielt lange den Rekord für den härtesten Schuss der Liga: 165 km/h. Bei der "DEL Skills Competition" wäre er damit Zweiter geworden, immerhin.

Der neue Lieblingsschüler von Trainer Emanuel Viveiros: Brian Lebler (1,91 Meter, 96 Kilo, 45 Tore in Österreich) soll für Ingolstadt fleißig treffen. (Foto: imago/foto2press)

"Wir hätten keine besseren Gegner haben können", sagt Emanuel Viveiros. Die so genannte Vorbereitung hat der ERC Ingolstadt in der Champions Hockey League (CHL) abgeleistet, und dort haben die Panther gegen Mannschaften von europäischem Rang und Namen eine beachtliche Frühform gezeigt. Die nun zum nationalen Ligastart in eine Hochform münden könnte. Aufgrund der Reisen nach Schweden und Schottland dürfte sich die Anreise nach Hamburg wie ein Ausflug anfühlen. Was Viveiros erwartet, ist klar: "Wir fahren nach Hamburg und werden sofort laufen. Das ist unser Stil." Fleißig und aggressiv soll der Meister von 2014 sein, so wurde der ERC zur erfolgreichsten bayerischen Mannschaft. Viveiros, vom Co-Trainer zum Chef aufgestiegen, will nicht viel am Stil seines Vorgängers Larry Huras ändern, nur etwas spektakulärer spielen lassen. Deshalb hat man auch berüchtigt fleißig-aggressive Spieler wie Jeffrey Szwez (1,91 Meter, 96 Kilo, lockere Fäuste) durch Spieler wie Brian Lebler (1,91 Meter, 96 Kilo, 45 Tore in Österreich) ersetzt.

Die Sommerpause hat Martin Jiranek gut getan. Der 45-Jährige, vergangene Saison Cheftrainer und Sportdirektor der Nürnberg Ice Tigers, konnte sich komplett der Kaderplanung widmen - und er hat diese Zeit genutzt. In Kurtis Foster, David Steckel und Brandon Segal kommen drei erfahrene NHL-Spieler zu den Franken, in Colin Fraser gar ein zweimaliger Stanley-Cup-Sieger. Zuletzt konnte Jiranek auch noch Matt Murley für den verletzten Steven Reinprecht gewinnen. Doch all die Importe, die Nürnberg - neben dem neuen Cheftrainer Rob Wilson - zu einer Spitzenmannschaft machen sollen, bringen auch einen Nachteil mit sich: Das Ausländerkontingent ist fast erschöpft, und nun fällt in Torwart Jochen Reimer (Hüft-OP) ein Schlüsselspieler monatelang aus. Weil kurzfristig aus Deutschland kaum adäquater Ersatz kommen dürfte, könnte öfters ein teurer Einkauf auf der Tribüne sitzen.

Beim Thema Saisonziel drucksen Trainer oft herum, selbst Top-Leute umgehen gerne das M-Wort. Don Jackson hat damit keine Probleme. "Unser Ziel ist es, Meister zu werden", sagt der Trainer des EHC München. Die beiden jüngsten Playoff-Auftritte endeten übel: 0:4 hieß es zuletzt im Viertelfinale gegen Wolfsburg, im Jahr zuvor war schon in den Pre-Playoffs Schluss. Die Konsequenz ist, dass der neue Kader noch mehr auf den kurzfristigen Erfolg ausgelegt ist. "Leadership" war das Zauberwort. Profis wie Toni Söderholm, Keith Aucoin oder Jason Jaffray bringen viel Erfahrung mit, sind aber auch schon 37, 36 und 34 Jahre alt. Der erste Eindruck ist gut, der EHC spazierte mit vier Siegen in vier Spielen förmlich durch die Champions-League-Vorrunde. Von allen Seiten ist zu hören, dass die Stimmung im Team prächtig sei. Noch ein frühes Playoff-Aus wäre im dritten Jahr unter dem Red-Bull-Label Gift.

Frischen Schwung versprechen sich die Straubing Tigers von Larry Mitchell, und das nicht nur, weil der Trainer seit diesem Sommer eine neue Hüfte hat. Der 48-Jährige ließ sich auch von einem Leistenbruch nicht stoppen, um nur ja rechtzeitig zum Trainingsauftakt auf dem Eis zu stehen. Mit einer Mannschaft, die er fünf Tage nach seinem Abschied aus Augsburg kurz vor Weihnachten übernahm und immerhin noch vom letzten auf den vorletzten Platz führte. Und die er nun - im Rahmen der Straubinger Möglichkeiten - nach seinen Wünschen umgestalten durfte. Das Ziel: erstmals nach 2013 wieder die Playoffs erreichen. "Wenn man hundert Leute fragt, werden 90 sagen, dass Krefeld, Augsburg, Schwenningen und Straubing die Plätze elf bis 14 belegen", sagt Mitchell. Fragte man dieselben 100 Leute, würden 101 davon antworten, dass Mitchell sich damit nicht abfinden will. Er habe in der Vorbereitung "viele gute Ansätze gesehen, die Systeme sitzen größtenteils und die Chemie in den Reihen stimmt". Das erste Testspiel (1:5) sei zwar das schlechteste gewesen, "leider gegen Augsburg"; danach habe sich die Mannschaft aber gesteigert, sagt Mitchell, vom neuen Goalie Matt Climie (Chicago Wolves/AHL) bis Mittelstürmer Steve Zalewski (Tampere): "Was er macht, hat Hand und Fuß." Vor allem Mirko Höfflin, Leihgabe aus Mannheim, und Ersatztorwart Dustin Strahlmeier, beide 23, überraschten positiv. Und auch die kritisch beäugten Zugänge aus Augsburg deuteten an, warum Mitchell sie gegen einige Bedenken - Ryan Bayda und Mike Connolly etwa waren lange verletzt - nach Straubing lotste. Ein Klub wie Straubing müsse eben Risiken eingehen, sagt Mitchell: "Sonst bekommst du solche Spieler nicht." Das Pech bleibt den Tigers allerdings treu: Blaine Down fällt mit gebrochener Kniescheibe rund sechs Wochen aus.

© SZ vom 11.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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