Eishockey:Im freien Fall

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Der ERC Ingolstadt kommt einfach nicht in Schwung. Die Partie am Sonntag gegen Wolfsburg beginnt der deutsche Eishockey-Meister von 2014 und Finalist der Vorsaison als Tabellenletzter der DEL.

Von Christian Bernhard, München

Neville Rautert erinnert sich noch gut an die Saison 2003/04, für den gebürtigen Kanadier war es seine letzte als Spieler im Trikot des ERC Ingolstadt. Rautert und der ERC erreichten damals unter dem legendären Trainer Ron Kennedy das Playoff-Halbfinale, nachdem sie im Oktober zwischenzeitlich noch Tabellenletzter gewesen waren. Rautert ist mittlerweile wieder beim ERC tätig, jetzt als Bindeglied zwischen Mannschaft und Verein. Am Freitagabend dürfte er gedanklich bis in jenen Oktober vor zwölf Jahren zurück katapultiert worden sein: Der aktuelle ERC Ingolstadt, Meister 2014 und Finalist 2015, ist seitdem Tabellenletzter der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Das 3:6 beim EHC München und der gleichzeitige 3:1-Erfolg der Schwenninger Wild Wings gegen Düsseldorf sorgten dafür, dass der ERC erstmals seit 2003 wieder am Tabellenende steht.

Die tiefe Ingolstädter Krise hat viele Ursachen: Kein DEL-Team hat weniger Tore erzielt als der ERC (26), der in den letzten Jahren für offensives und spektakuläres Eishockey stand. Die 39 Gegentore werden nur von Krefeld (42) überboten, zudem haben die Oberbayern als einzige Mannschaft der Liga auswärts noch nicht gewonnen (sechs Niederlagen). Das mit Abstand größte ERC-Problem ist derzeit aber das Unterzahlspiel. Die Quote von 67 Prozent ist unterirdisch, ebenso prekär sind die 19 Gegentreffer, die die Mannschaft von Trainer Emanuel Viveiros im Penalty-Killing bisher kassiert hat. Zum Vergleich: Die Teams mit dem zweitschlechtesten Wert mussten nur 13 Unterzahl-Gegentore hinnehmen.

In Unterzahl-Situationen viel zu lasch

In den Unterzahl-Situationen "müssen wir vor dem eigenen Kasten härter arbeiten", forderte Nationaltorhüter Timo Pielmeier am Freitagabend, nachdem er statistisch gesehen drei, eigentlich aber vier Unterzahl-Gegentore hinnehmen hatte müssen. Die ersten drei Münchner Treffer waren lupenreine Powerplay-Produkte, das vierte ging nur nicht als solches in die Statistik ein, da Kapitän Patrick Köppchen just in dem Moment, als Münchens Dominik Kahun zum zweiten Mal im Spiel erfolgreich war, aufs Eis zurück kam. Bei so vielen Gegentoren in Unterzahl "verlierst du gegen jeden Gegner", konstatierte Alexander Barta, der bei seinem ehemaligen Verein sein 600. DEL-Spiel absolvierte.

"Unser Unterzahlspiel war wirklich nicht gut", sagte Viveiros auf der Pressekonferenz und war damit noch sehr gnädig. Das schwache Auftreten mit einem Mann weniger auf dem Eis raubte dem ERC das bisschen Selbstvertrauen, das er sich dank der 2:0-Führung im Startdrittel nach den Toren von Tomas Kubalik (13.) und Thomas Greilinger (14.) erarbeitet hatte. Greilinger hatte die Ingolstädter mit seinem ligaweit führenden fünften Überzahltor der Saison noch einmal in Führung gebracht (30.), doch vier Münchner Tore in Serie besiegelten die achte Ingolstädter Niederlage im elften Ligaspiel der Saison.

"Eisballett" - die Fans spotten schon

So blieb neben Greilinger, der die ganze Saison über schon starke Leistungen zeigt, das Comeback von Brandon Buck der einzige Lichtblick im immer dunkler werdenden Ingolstädter Tunnel. Der Topscorer der vergangenen Saison stand nach siebenwöchiger Verletzungspause erstmals wieder auf DEL-Eis und war neben Greilinger gleich der auffälligste ERC-Angreifer war, obwohl sein Knie noch lange nicht bei 100 Prozent ist. Das spricht für Buck - aber auch gegen die anderen vermeintlichen Top-Spieler, von denen Ingolstadt auf dem Papier einige in seinen Reihen hat.

Petr Taticek, Patrick Köppchen und John Laliberte sind derzeit aber nur ein Schatten ihrer selbst, der im Sommer mit großen Vorschusslorbeeren empfangene Brian Lebler schleicht trotz seiner 1,91 Meter und 96 Kilogramm wie ein trauriges Kleinkind über das Eis. Kein Wunder, dass in Fankreisen immer häufiger der Begriff "Eisballett" die Runde macht. "Von einigen Schlüsselspielern erwarte ich mehr", betonte Viveiros, nachdem er in München immer wieder die nominell vierte Angriffsreihe um Thomas Pielmeier und Björn Barta aufs Eis geschickt hatte, die zumindest Energie brachte und Leidenschaft zeigte.

Viveiros, der vergangene Saison noch Co-Trainer beim ERC gewesen war, ist bewusst, dass die Mannschaft und er unter Druck stehen. Es gebe keinen Grund, "die Köpfe hängen zu lassen", sagte er, "aber der Profisport ist ein Ergebnisgeschäft." Nichts würde dem ERC besser tun als ein Sieg im Heimspiel am Sonntag (16.30 Uhr). Gegner Wolfsburg weckt allerdings keine guten Erinnerungen: Gegen die Niedersachsen verlor Ingolstadt die letzten sechs Heimspiele.

© SZ vom 18.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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