Eishockey:Erinnerungen an 1992

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Putin kommt zum Händeschütteln: Da die besten Spieler der Welt aus der NHL bei Olympia fehlen, sind die Weltmeister Pawel Dazjuk (rechts) und Ilja Kowaltschuk (links), die jeweils mehr als ein Jahrzehnt in der amerikanischen Profiliga spielten, gern gesehene Routiniers. (Foto: Grigory Dukor/AFP)

Die Abwesenheit der NHL-Spieler prägt das olympische Turnier: Russland ist favorisiert, Deutschland will sich beweisen, nachdem das Team vor vier Jahren in Sotschi gefehlt hatte.

Von Johannes Aumüller

Zumindest ein paar Abergläubische unter den russischen Fans sehen die Sache mit der fehlenden Nationalflagge inzwischen recht entspannt. Das hat mit ihren Erinnerungen an das olympische Eishockey-Turnier des Jahres 1992 zu tun. Es waren die ersten Winterspiele nach dem Ende der Sowjetunion, und elf in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) organisierte Nachfolgestaaten sowie Georgien traten als "Vereintes Team" an. Prägender Teil der Mannschaft waren russische Sportler, aber auf ihre nationalen Symbole mussten alle verzichten. Stattdessen waren bei ihren Auftritten zu sehen und zu hören: die olympische Hymne und die olympische Flagge - just wie jetzt in Pyeongchang. Und ausgerechnet dieses 92er-Turnier war das bisher letzte Mal, dass Akteure aus diesem Land, in dem Eishockey eine so bedeutende Rolle spielt, die olympische Goldmedaille gewannen.

Gleich sieben Spieler muss Bundestrainer Sturm ersetzen

Die Chancen, dass es 26 Jahre später wieder so kommt, sind nicht schlecht. Russland darf sich auf jeden Fall als Favorit fühlen in diesem Turnier, das vor allem von einem Faktor geprägt wird: dass viele der besten Spieler aus sportpolitischen Gründen fehlen. Wie schon vor anderen Olympischen Spielen hat es auch im vergangenen Jahr eine lange Kontroverse gegeben zwischen den Funktionären des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), den Bossen des Eishockey-Weltverbandes (IIHF) sowie den Verantwortlichen der nordamerikanischen Profiliga (NHL). Dort stehen die meisten Spitzenspieler unter Vertrag. Doch anders als bei allen anderen Spielen seit 1994 haben sie sich diesmal nicht einigen können. Die Olympia-Macher lockten zwar mit finanziellen Zusagen, aber die gingen den NHL-Vertretern nicht weit genug. Ein Agreement scheiterte, und selbst Spieler, die zwischendurch damit liebäugelten, den Klub einfach Klub sein zu lassen und stattdessen nach Südkorea zu fliegen, mussten das irgendwann sein lassen. Der Ärger darüber scheint bei den olympischen Verantwortlichen noch nicht verrauscht zu sein, so mancher spitze Kommentar von IOC-Präsident Thomas Bach in Richtung amerikanischer Profiklubs ist dieser Tage zu vernehmen.

In jedem Fall fehlen in den beiden Hallen zu Gangneung, in denen am Mittwoch das Turnier beginnt, fast allen Nationen die wichtigsten Spieler. Aber es gibt Mannschaften, die das stärker trifft, wie die USA, die in ihrer Not Akteure aus der zweiten deutschen Liga in den Kader beriefen. Und es gibt Mannschaften, die damit etwas besser zurechtkommen, etwa die Russen. Die Routiniers Pawel Dazjuk und Ilja Kowaltschuk, die jeweils mehr als ein Jahrzehnt in der NHL spielten und schon WM-Titel gewannen, führen die Sbornaja an, die bis auf zwei Ausnahmen aus Spielern der nationalen Vorzeige-Klubs SKA Sankt Petersburg und Dynamo Moskau besteht.

Dabei mixt sich aus Sicht der Turnier-Dramaturgie die Abwesenheit der Stars noch mit einem anderen Element: dem ungewöhnlichen Modus. Wie schon bei den vergangenen Olympia-Turnieren gibt es in der Vorrunde drei Vierergruppen, aber nach dieser Vorrunde scheidet zunächst niemand aus. Alle zwölf teilnehmenden Mannschaften ziehen in die K.-o.-Runde ein. Die besten vier qualifizieren sich direkt fürs Viertelfinale, die anderen bestreiten noch eine Zusatzpartie.

Die Deutschen, die erst am Donnerstag (4.10 Uhr MEZ) gegen Finnland das Turnier beginnen, zählen dabei zu den Mannschaften, denen die General-Absage aus Nordamerika überdurchschnittlich wehtut. Gleich sieben Spieler fehlen Bundestrainer Marco Sturm, etwa Angreifer Leon Draisaitl. Aber vor allem könnte es sich als schwerwiegend erweisen, dass für den Torhüter-Posten die NHL-Profis Thomas Greiss und Philipp Grubauer ausfallen. In Danny aus den Birken (München), Dennis Endras (Mannheim) und Timo Pielmeier (Ingolstadt) stehen nur drei Keeper zur Verfügung, die zuletzt nicht überzeugten und "die in ihren Vereinen nicht die klare Nummer eins sind", wie Sturm klagt.

Der Bundestrainer, frisch mit einem neuen Vertrag bis 2022 ausgestattet, hat sich dazu entschlossen, vor allem verdiente Routiniers zu berufen - und manche Entdeckung der laufenden Saison zu übersehen. Es sei "wichtiger, dass einer genau das spielt, was ich will", begründete er das. Seine Mannschaft bekommt es zunächst mit drei skandinavischen Teams zu tun (Finnland, Schweden, Norwegen), die der Spielweise seiner Mannschaft eigentlich nicht so gut liegen. Aber dem Modus sei Dank muss sich das ja nicht zwingend als schlimm erweisen.

"Wird kein Zuckerschlecken", sagt Torwart aus den Birken

Fürs deutsche Team ist es auch deswegen ein besonderes Turnier, weil es bei den vergangenen Spielen in Sotschi nicht dabei war. "Du bist nur eine Sportart, wenn du bei Olympia vertreten bist", sagt Verbandschef Franz Reindl: "Du bekommst hier eine ganz andere Plattform, diese Chance musst du nutzen." Sein Team hat dabei schon ein paar erfolgreiche Tage hinter sich in Pyeongchang. Gleich drei Mal war es bereits Gast, wenn im Skispringen und im Biathlon deutsche Athleten Goldmedaillen gewannen. Das ist im Eishockey natürlich ein vermessenes Ziel. Aber nach zuletzt zwei WM-Viertelfinals wäre ein Aus in K. o.-Runde eins schon unbefriedigend für viele. Torwart aus den Birken sagt: "Natürlich wird es kein Zuckerschlecken, aber ich glaube, dass wir mehr erreichen können, als die Leute vielleicht denken."

Auch für sie wäre es nicht verkehrt, würde es enden wie 1992. Damals wurde Deutschland Sechster - besser war es seitdem nicht mehr.

© SZ vom 14.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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