Eishockey:Die Thermoskannen sterben aus

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Der ESV weiht Kaufbeurens neue Arena mit einem 1:0 in der DEL2 gegen Freiburg ein. Alles ist ein bisschen feiner geworden, vor allem ist es wärmer.

Von Maximilian Länge

Einmal noch, wenn auch nur für ein paar Minuten, mussten die Fans des ESV Kaufbeuren sich dann doch mit Freiluft-Sport zufrieden geben. Sonntagnachmittag, neun Grad Außentemperatur und Regen. Es sind zwar noch über zwei Stunden, bis in der überdachten Eissportarena das erste DEL2-Heimspiel überhaupt stattfinden wird, doch vor den zwei Eingangstüren haben sich bereits Menschentrauben gebildet. Dicht aneinander gedrängt versuchen sie, noch ein Stück Vordach als Regenschutz zu erwischen - und blicken rüber zum Fußballplatz neben der Arena, auf dem sich zwei Frauenmannschaften im kalten Nass sichtlich unmotiviert abmühen.

Dann ist Schluss. Der Schiedsrichter hat ein Einsehen und pfeift ab. An der Arena öffnen zeitgleich, um 16.25 Uhr, die Eingangstüren. Rund 100 Fans versuchen, sich gleichzeitig durch die einen Meter breiten Öffnungen zu zwängen, als wäre es ihre letzte Chance, ein Heimspiel des ESVK in der zweiten deutschen Eishockey-Liga zu sehen. Dabei ist es ihre erste Chance, eine von vielen in der neuen Heimat. Die Menschen in den gelb-roten, viel zu großen Trikots gehören zu den 3100, die einen Platz in der seit Wochen ausverkauften neuen Heimstätte der Kaufbeuren Buron Joker ergattert haben.

"Das Eis hat nun immer die gleiche Temperatur und die Glasscheiben laufen nicht an."

Einer von ihnen ist Thomas Dreher. Der 22-Jährige hatte schon im alten Eisstadion am Berliner Platz, das nur 150 Meter entfernt steht, einen Stehplatz. Dort, wo jetzt Einsturzgefahr herrscht, lag der Fanblock noch hinter den Sitzplätzen, weit weg vom Eis. Jetzt ist er ganz nah dran am Geschehen, nur gut fünf Meter trennen die Anhänger mit ihren Trommeln und Fahnen von der Spielfläche. Mehr Nähe ist nicht die einzige Neuerung, die der etwa 23 Millionen Euro teure Neubau bietet. An den Verpflegungsständen gibt es neben den Klassikern Bratwurst und Wienerle neuerdings Sandwiches, wahlweise mit Oliven und Feta, Schinken und Käse oder Kasseler und Kraut. Alles ist ein bisschen feiner geworden, das bestätigt auch der Blick nach oben. Statt den Leinwänden und Beamern, die am Berliner Platz die Zuschauer mit Informationen versorgten, hängt jetzt ein Videowürfel von der grauweißen, mit Stahlstreben durchzogenen Decke der Arena.

"Alles sackneu hier", sagt Ralf Holzmann, 58, "daran muss ich mich erst noch gewöhnen." Er geht in seine 31. Saison als Ordner beim ESVK, die Routine aber ist erstmal weg. Ein Zuschauer fragt, wohin er jetzt zum Rauchen gehen muss. Der Ordner hilft: Das sei nur noch im Außenbereich möglich. Man muss durch einen der beiden Haupteingänge, an denen gerade Hochbetrieb ist, nach draußen. So manch einen stellt die neue Arena noch vor Herausforderungen. Holzmann nicht. "Mein Job bleibt der gleiche", sagt er, "es wird sich nicht viel ändern."

Außer vielleicht, dass es ihm in seinem gelben Pullover etwas zu warm ist. In der alten Spielstätte war es deutlich kälter gewesen, weil sie teilweise offen ist. Bei Spielen im Winter pfiff der eisige Wind durch die Ränge. Vor 30 Jahren, findet Holzmann, habe die Temperatur noch keine Rolle gespielt. Heute tut sie es offenbar.

Nahezu jeder auf die neue Arena angesprochene Fan freut sich, dass es nun wärmer wird bei den Heimspielen der Kaufbeurer. Einer geht sogar soweit, die gestiegene Temperatur mit der Frauenquote in der Halle in Verbindung zu bringen. Auf Nachfrage bestätigen dieses Klischee fünf Besucherinnen - sie kämen zu den Spielen, weil es wärmer ist. Thermoskannen werden trotzdem noch vereinzelt gesichtet. Doch sie sind eine vom Aussterben bedrohte Gattung.

Am meisten freut sich wohl Johannes Schneider, 68, über die neue Arena. Er ist seit 1999 Eismeister beim ESVK, aktuell arbeitet er mit drei Kollegen und düst in den Drittelpausen mit dem Red Wolf LX übers Eis. Die computergesteuerte Eisbearbeitungsmaschine mit Elektromotor ist sein neuer Stolz. Und: "Im geschlossenen Stadion ist unsere Arbeit leichter", sagt Schneider: "Das Eis hat nun immer die gleiche Temperatur und die Glasscheiben laufen nicht an." Darüber hatten sich die Zuschauer im alten Stadion oft beschwert.

Eine halbe Stunde vor dem Spiel hören die Fans zum ersten Mal das ihnen vertraute Geräusch der gegen genau diese Scheiben und Banden krachenden Pucks. Die Spieler wärmen sich auf, das klingt so, wie es auch in anderen Hallen klingt. Und auch ansonsten hat sich zumindest aus der Eishockey-Perspektive nicht viel verändert. Die Fans singen, Eismeister Schneider dreht seine Runden, Ordner Holzmann ordnet, der Stadionsprecher schreit, die Spieler werfen sich in die Banden, die Schiedsrichter verteilen Zeitstrafen. Und am Ende gewinnt der ESVK ein enges Spiel gegen den EHC Freiburg mit 1:0.

Also auch in der neuen Heimat alles beim Alten? Nicht ganz, findet Joseph Lewis: "Die Stimmung haben wir schon so toll erwartet", sagt der 25 Jahre alte ESV-Stürmer - und zieht dann den Vergleich zur alten Halle: "Beim Spielen merkt man, das Eis ist komplett flach und die Scheibe kommt super schnell von der Bande weg, das müssen wir ausnutzen." Die Spieler sind froh, das Premierenspiel in der neuen Arena gewonnen zu haben. Jeder sei aufgeregt gewesen wegen der großen Euphorie. Jetzt, nach dem ersten Heimsieg, kämen alle ein bisschen runter.

Vorstand Kielhorn wünscht sich "50 bis 100 Jahre" in diesem "schmucken Schmuckkästchen"

Per Bürgerentscheid hatten die Kaufbeurer im Januar 2015 über den Neubau entschieden. Von 13 611 Wählern stimmten 60,01 Prozent für den Neubau. Eingeweiht wurde er am Wochenende mit einem Tag des offenen Stadions, einer Eiskunstlauf-Gala und der Eishockey-Heimpremiere. Der Sonntag geht als Tag der ersten Male in die Historie ein. Und mit ihm der Name von Christoph Kiefersauer, dem ersten Torschützen in der neuen Arena. Um 20.45 Uhr am Sonntag hallten erstmals die "Sieg"-Rufe der Heimfans durch die Ränge. "Es macht jedem Spaß, hier zu spielen", sagt ESV-Trainer Andreas Brockman, "es war perfekt heute". Karl-Heinz Kielhorn, der geschäftsführende Vorstand des Eissportvereins Kaufbeuren wünscht sich "50 bis 100 Jahre Eishockey" in diesem "schmucken Schmuckkästchen". Kästchen passt ganz gut, denn von einer handelsüblichen Fabrikhalle unterscheidet die neue Arena äußerlich nur die im Dunkeln leuchtende Fassade.

Was sagen eigentlich die unterlegenen Gäste aus Freiburg zum Schmuckkästchen? "Hier wird auf modern gemacht, mir gefällt Eishockey unter freiem Himmel besser", meint Wölfe-Fan Timo Kraus, 28. Trainer Leos Sulak sieht das anders: "Wir hätten auch gerne so ein neues Stadion."

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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