Eishockey:Aufruhr in der Galaxie

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Ein 32-Jähriger für eine 75-jährige Legende: Warum ein Wechsel auf dem Posten des General Managers in Toronto den Eishockeysport nachhaltig beeinflussen könnte. Die jüngere Generation geht andere Wege.

Von Kristian Kapp, Toronto

Einer der traditionsreichsten Klubs der National Hockey League: Die Toronto Maple Leafs. (Foto: Bruce Bennett/AFP)

Kyle Dubas für Lou Lamoriello. Die ­Toronto Maple Leafs haben kürzlich auf der Position des General Managers einen der bemerkenswertesten strategischen Wechsel im Eishockeysport präsentiert. Dubas ist 32, Lamoriello 75. Es ist ein Generationenwechsel, aber noch viel mehr. Lamoriello ist eine Legende im Eishockey Nordamerikas - und einer der letzten Vertreter der ganz alten Garde. Einer, der auch wegen militärisch anmutender Regeln für seine Profis in drei Spielzeiten in Toronto und vor allem den 29 Jahren zuvor bei den New Jersey Devils Kultstatus erlangte. "Lou's Rules" besagen unter anderem: keine langen Haare oder Gesichtsbehaarung (wirkt ungepflegt); möglichst keine sozialen Medien (bringt Unruhe); keine Rückennummern über 30 (die sind nur Stars vorbehalten), aber auch keine 13 - unter Lamoriello hätte der Schweizer NHL-Spieler Nico ­Hischier bei den Devils also auf seine (Un-) Glückszahl verzichten müssen.

Die Besitzer der NHL-Organisationen setzen größtenteils auf erfahrene General Managers. Aktuell sind über die Hälfte 50 oder älter, der Durchschnitt liegt bei 53 Jahren. Und sind sie knapp unter 50, dann sind es meistens ehemalige Spielerpersönlichkeiten.

Nun aber kommt Dubas.

Der neue General Manager der Maple Leafs ist nicht nur ungewöhnlich jung. Er hat auch nie Eishockey gespielt. Egal. In seinem kanadischen Heimatstädtchen Sault Sainte Marie übernahm er bei den Greyhounds, dem lokalen Juniorenteam, schon mit elf seinen ersten Posten - als Helfer des Materialwarts. Seinen damaligen Lebenstraum, General Manager der Greyhounds zu werden, erfüllte er sich 15 Jahre später. Weitere drei Jahre danach, 2014, klopfte Toronto an und holte Dubas als General Manager für sein Farmteam, das in der AHL spielt. Keine vier Jahre später ist er ganz oben angekommen.

Mit 32 Jahren schon Manager bei den Toronto Maple Leafs: Kyle Dubas. (Foto: Chris Young/AP)

Ein Freund von Big Data

Wie war dieser Aufstieg möglich? Einen Namen machte sich Dubas bereits als Verantwortlicher der Greyhounds, weil er für die Spielerbeurteilung riesige statistische Datenbanken anlegte und damit einer der Ersten im Eishockeybusiness war, die mit Daten-Analysen und ­Advanced Stats arbeiteten. Aus der Not sei dies geboren worden, sagt Dubas heute: "In Sault Sainte Marie suchten wir Wege, wie wir mit weniger Ressourcen als unsere Gegner Spieler beurteilen können. Wir hofften, von Data und Analytics profitieren zu können." Offenbar sei das kein falscher Weg gewesen, denn: "Heute arbeitet fast ­jedes NHL-Team mit Big Data."

Dubas' Verpflichtung befeuert in Nordamerika die große Diskussion unter den Eishockeyfans, die bezüglich Analytics immer noch zwei Lager bilden: die auf herkömmliche Statistiken wie Tore, Assists und Plus-Minus-Bilanzen schwörenden "Traditionalisten" und die von diesen als Nerds verunglimpften Zahlenfreaks und Verfechter der Advanced Stats, die vor allem auf die Kategorien Schüsse und Schussversuche basieren.

Dass Dubas zu Unrecht als reiner "Data Nerd" gilt, betonen alle Weg­gefährten im Junioren- und AHL-Team - Mannschaften, die Dubas sehr erfolgreich zusammenstellte. Er selbst habe aufgegeben, gegen diesen Ruf anzukämpfen, sagt Dubas. Er werde stets auf "Alter und Analytics" reduziert: "Das hat ein Eigenleben bekommen. Aber ich bin seit 20 Jahren im Eishockey, war schon mit 17 Scout."

Torontos Trainer gilt als Vertreter der alten Schule

Wie erfolgreich wird Dubas mit dem NHL-Team in ­Toronto, wo er einen Fünfjahresvertrag erhalten hat? Die Antwort könnte für den Eishockeysport wegweisend sein. Der Ansatz mit Analytics ist in der NHL zwar nicht neu, genauso wenig wie der Einsatz junger General Managers. John Chayka ist erst 28 und steigt in seine dritte Saison als GM der Arizona Coyotes. Auch er war nie Eishockeyprofi, auch er wird als "Data Nerd" abgestempelt. Und da gibt es noch die ­Edmonton Oilers, die vor drei Jahren einen Statistikblogger und ausgewiesenen Data-Freak als Berater holten.

Arizona und Edmonton gehörten ­zuletzt allerdings zu den erfolglosesten NHL-Teams. Der Blogger schreibt mittlerweile wieder für Sportmagazine, und Arizona ist als Team in der Wüste wohl das Gegenteil des typischen Hockeymarkts und für ein "Experiment" damit eher geeignet. Doch wenn nun ausgerechnet Toronto, das (selbst ernannte) Zentrum der Eishockey-Galaxie, Erfolg mit einem jungen "Data Nerd" haben sollte, dürfte das Signalwirkung haben.

Für Unterhaltung wird Dubas in ­Toronto so oder so sorgen. Medien und Fans spekulieren bereits gleichermaßen, wie die Arbeit des jungen GM mit dem mächtigen Headcoach Mike Babcock aussehen wird. Babcock, 2008 Stanley-Cup-Sieger mit Detroit und Kanadas Goldcoach bei den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver und 2014 in Sotschi, gilt als Old School; zu Advanced Stats ließ er sich auch schon so zitieren: "Einige ­Aspekte sind wertvoll. Aber wenn Sie ­Spieler ­basierend auf Schussversuchen verpflichten wollen? Dann sind Sie verrückt!"

© SZ vom 27.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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