Eishockey:Aufbauarbeit in Augsburg

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"Man kann die Spieler nicht aus der Kiste zaubern": Eishockey-Bundestrainer Marco Sturm muss beim Deutschland Cup lernen, dass auch für ihn die Zahl der Talente begrenzt ist.

Von Johannes Schnitzler, Augsburg

Korbinian Abeltshauser und Jon Matsumoto passten sich beim Aufwärmen die Scheiben zu, hin und her, wie sie das täglich bei ihrem Klub tun. Abeltshauser und Matsumoto spielen in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) beim EHC Red Bull München. Am Sonntag trafen sie als Gegner beim Deutschland Cup in Augsburg aufeinander, Verteidiger Abeltshauser im deutschen Adler-Trikot, Matsumoto mit dem kanadischen Ahornblatt auf der Brust. Es dürfte ihre einzige derartige Begegnung gewesen sein. Matsumoto war einer von sieben DEL-Profis, die Kanadas Chefcoach Dave King in sein überwiegend mit Routiniers aus der russischen KHL besetztes Aufgebot berufen hatte, Abeltshauser, 24, einer von drei Debütanten im überwiegend mit international unerfahrenen DEL-Spielern besetzten Aufgebot von Bundestrainer Marco Sturm. Für den Ausgang des Turniers hatte die Partie keine Bedeutung mehr, die Slowakei hatte sich am Nachmittag mit einem 4:1 gegen die Schweiz den Sieg geschnappt. Frei von Erfolgsdruck kombinierten sich die Kanadier zu einem nicht übermäßig schmerzhaften 3:1 (3:0, 0:0, 0:1)-Erfolg. Den Ehrentreffer erzielte Thomas Greilinger (46.). Titelverteidiger Deutschland belegte Platz drei. Für Bundestrainer Marco Sturm war das Turnier das Scharnier zwischen der erfolgreichen Olympia-Qualifikation in Riga und der Heim-WM im kommenden Mai in Köln. Die Olympia-Qualifikation im September war noch unter Mithilfe von sieben NHL-Profis gelungen. Ob und wie viele Sturm davon im Mai zur Verfügung hat, weiß er noch nicht. Also nahm er in Augsburg einen Stein - und warf ihn. Der Stein, das waren die neuen Spieler, die Sturm ins kalte Wasser schmiss. Der Bundestrainer, seit etwas mehr als einem Jahr im Amt, wollte sehen, welche Kreise sie ziehen. Und er hat festgestellt: Der Kreis ist eng. Er hat keine 50 oder 60 Spieler von internationalem Format, sondern 30, vielleicht 35. "Das ist Deutschland, das ist leider so", sagt Sturm, "aber irgendwo muss man anfangen." Beim 1:3 gegen die Slowakei, ein Team im Umbruch, hatte Sturm den letzten Willen bei seinen Spielern vermisst. Am Samstag nach dem 3:2-Sieg gegen die Schweiz sagte er: "Heute haben die Spieler alles rausgeholt." Seine Erkenntnisse aus diesem Turnier hatte der Bundestrainer schnell sortiert. "Es waren viele Neue dabei und ein bisschen Unsicherheit. Auf die Jungs sind in den Tagen hier sehr viele Informationen zugekommen."

Justin Krueger, Profi in der Schweiz beim SC Bern, sagte, unter Sturm werde "viel Systemarbeit" verrichtet, viel taktische Arbeit abseits der Eisfläche. Aber die Arbeit beginnt sich auszuzahlen. Die anderen Nationen hatten zwar auch nicht ihre Top-Teams in Augsburg. "Aber die Schweiz hat viele Topspieler dabei, das ist ein guter Gegner", sagte Krueger. Umso wichtiger sei der Sieg gegen die Eidgenossen gewesen, meinte Sturm. Es sei nicht leicht für die Mannschaft zu lesen, sie sei die zweite Garde: "Darum war dieses Ergebnis wichtig." Weil es ihre Arbeit bestätigte. Die Schweiz blieb in Augsburg ohne Punktgewinn.

"Das Niveau hier ist höher als in der DEL", sagte Sturm. Das ist eine der Lektionen, die die Neuen lernen müssen. Wo, wenn nicht in Augsburg, wann, wenn nicht jetzt? Konrad Abeltshauser sprach nach seiner Premiere von "Gänsehaut pur". Diese Begeisterung gefällt Sturm. Abeltshauser und Maximilian Kastner, der andere Münchner Neuling, seien nervös gewesen, aber sie hätten "sehr solide" gespielt. "Die Jungen haben sich hier gezeigt", fand Felix Schütz, mit 29 einer der Erfahrensten im Team. Sein Geld verdient der Mittelstürmer in Schweden, er kann den internationalen Vergleich ziehen. Schütz sagt: "Man kann die Spieler nicht aus der Kiste zaubern. Nachwuchsarbeit dauert zehn, zwanzig Jahre." Es ist ungefähr so, als wollte man eine brasilianische Rinderfarm auf einen CO₂-neutralen Betrieb für vegane Kost umstellen. Das braucht Zeit. "Es war ein Jahr harte Arbeit, um so weit zu kommen, wie wir es in Riga waren", sagt Sturm. Dort schaffte sein Team gegen Japan, Österreich und Lettland die Qualifikation für die Winterspiele 2018. "Vielleicht dauert es jetzt wieder ein Jahr", meinte Sturm - bis die Basis breiter ist, bis der Stein, den er geworfen hat, weitere Kreise zieht.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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