Eishockey:Altdeutsch war gestern

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Entscheidung kurz vor Schluss: Das deutsche Team (Bildmitte: Korbinian Holzer der Torschütze zum 3:2) bejubelt den Auftritt gegen die USA. (Foto: Maxim Zmeyev/Reuters)

Dank ihrer mutigen Spielweise steht die deutsche Auswahl nach dem Sieg gegen die USA im WM-Viertelfinale - und hat gute Prognosen.

Dem Siegtor voraus ging ein Akt von Selbstlosigkeit. Es kommt nicht häufig vor, dass sich Mannschaftssportler in entscheidenden Momenten aus dem Spiel nehmen. Das passiert höchstens dann, wenn sie verletzt oder mit ihrer Kraft am Ende sind. Der Eishockeyspieler Moritz Müller aber war noch fit, und er hat trotzdem erkannt, dass er besser sitzen bleibt. Eine knappe Minute vor dem Ende, als es sensationell 2:2 stand gegen die USA, als er für Korbinian Holzer aufs Eis laufen sollte, da blieb Müller auf der Bank. Moritz Müller saß, Holzer schoss - und traf zum noch sensationelleren 3:2-Sieg gegen die USA, womit die Auswahl des Deutschen Eishockeybundes schon vor den Montagsspielen fast sicher im WM-Viertelfinale stand. Den dritten Vorrunden-Platz sicherte sich die Auswahl dann mit einem 4:2 gegen Außenseiter Ungarn. Bundestrainer Marco Sturm war happy. Auf der Bank, erzählte er, hätten beim Coup gegen die USA alle geschmunzelt: "Der Mo hat sich selber ausgewechselt und damit ein glückliches Händchen gehabt." Die Aktion zeugt von Teamgeist und ist ein weiteres Detail in der Erklärung, warum die Deutschen nach schwachem Start bei der WM nun regelrecht auftrumpfen. Sie haben nach zwei Niederlagen vier Siege erzielt, sie hatten gegen die Großmacht Kanada, die im WM-Finale 2015 die Großmacht Russland 6:1 abgefertigt hatte, zwei Drittel lang ein Unentschieden gehalten. Und jetzt haben sie also mit den USA eine mittlere Macht des Eishockeys besiegt, womit wiederum das eigene Fernziel etwas erreichbarer erscheint. Nämlich selber wieder eine mittlere Macht zu werden, vielleicht bei Olympia 2018, vielleicht schon zur kommenden WM im eigenen Land.

"Das ist ein totaler Schub", erklärte Franz Reindl, der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes, "ein Viertelfinale zu erreichen, das ist etwas Besonderes - da steckt einem schon der Kloß ein bisschen im Hals." Die Deutschen befinden sich eigentlich auf einem Weg der kleinen Schritte. Es geht um die Teilnahme an den nächsten Spielen in Südkorea, um die Rückkehr in den Kreis der besten Eishockeynationen. Hilfreich dafür ist eine bessere Weltranglisten-Position, und das Minimalziel wiederum hierfür haben sie nun erreicht. Die DEB-Auswahl ist schon mal von Platz 13 aus nach oben geklettert, wo man letztlich landet, ist noch ungewiss.

Doch außer dem formalen Standing hat sich offenbar auch innerhalb des Teams vieles verbessert. Erkennbar ist ein frischer, furchtloserer Spielstil, ein Wechsel hinüber zu offensiverem Denken, der an die Wende im deutschen Fußball zu Beginn der Nullerjahre erinnert. Die Spielweise im Eishockey unter dem neuen Coach Marco Sturm ist nun deutlich attraktiver, als jene seiner Vorgänger Pat Cortina und Jakob Kölliker. "Wir spielen nicht mehr dieses altdeutsche Eishockey nach dem Motto: Hauptsache, die Scheibe raushauen, und vorne schauen wir mal", sagt Stürmer Philip Gogulla. Die DEB-Auswahl war genauso offensivstark wie bei ihrem bislang letzten WM-Viertelfinaleinzug vor fünf Jahren: "Wir haben gesehen, dass wir auch spielerisch etwas lösen können." Das sind Töne, die man von den sonst meist gegen den Abstieg spielenden Deutschen kaum gehört hat. Und Gogulla, Stürmer bei den Kölner Haien, sagte nach dem Coup gegen die USA auch: "Wir müssen uns vor niemandem verstecken. Wenn wir so spielen, sind wir schwer zu schlagen."

Wem diese Entwicklung zuzuschreiben ist, auf den weisen nun alle hin: Trainer-Neuling Sturm, 37. "Er erreicht die Spieler. Wir wissen genau, was er von uns will", sagte der Berliner Verteidiger Constantin Braun. Sturm bietet offenbar die richtige Mischung aus einfühlsamer Ansprache und natürlicher Autorität. Konkreter heißt dies, dass er zwar mit 1006 Spielen in der nordamerikanischen Profiliga NHL der angesehene deutsche Rekordhalter ist, dass er aber noch gut weiß, wie blockierend Druck für ein Talent wie Leon Draisaitl werden kann. Dem ist bislang nur ein Tor bei dieser WM gelungen. Sturm hat die etwas früh gelobte Parade-Angriffsreihe um Draisaitl also bald aufgelöst, aber er spricht dem 20-Jährigen Mut zu. "Auch wenn es mit den Punkten nicht so klappt, ist er enorm wichtig für uns", sagt der Trainer: "Er ist ein absoluter Gewinn."

Für die Effizienz im Angriff, aber auch für die Abgebrühtheit im gesamten Spiel sorgen derweil andere. Fünf NHL-Profis sind ja zur WM nach Russland gereist, was angesichts der langen und zehrenden Saison keine Selbstverständlichkeit war, was aber auch an der Persönlichkeit Sturms lag. Das Team wirkt zunehmend sicherer. Im Verwerten von Chancen lag nur Kanada vor den Deutschen. 18 Treffer hatte die DEB-Auswahl bis zum Spiel gegen Ungarn bereits erzielt. Die sehr wichtige Nummer 18, das 3:2 gegen die USA, gelang Korbinian Holzer unter freundlicher Beihilfe durch Unterlassen von Moritz Müller.

© SZ vom 17.05.2016 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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