EHC München:Die Unterzahl-Meister

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Mit der Selbstsicherheit des Champions dreht der EHC München ein verloren geglaubtes Spiel gegen die Iserlohn Roosters. Und hinterlässt einen ratlosen gegnerischen Trainer.

Von Christian Bernhard, München

So ganz genau wusste Jari Pasanen am Freitagabend nicht, wie er das soeben zu Ende gegangene Eishockey-Spiel einordnen sollte. Eigentlich habe seine Mannschaft vieles gut gemacht, sagte der Trainer der Iserlohn Roosters im Presseraum der Münchner Olympia-Eishalle. Eigentlich. Doch dann waren da diese letzten acht Spielminuten, in denen die Sauerländer einen 3:1-Vorsprung aus der Hand gaben und am Ende zuschauen mussten, wie der EHC Red Bull München seinen 4:3-Sieg bejubelte, Pasanen rätselte noch ein bisschen darüber. Was er im Presseraum aber wusste, war: "Bei Fünf gegen Vier hatten wir heute ein sehr schweres Leben."

Mit dieser Erkenntnis stehen die Roosters in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) nicht alleine da. Der EHC, der die Tabelle mit 35 Zählern anführt, zermürbt regelrecht seine Gegner in Unterzahl. 17 Ligaspiele hat der amtierende Meister in dieser Saison bisher absolviert, erst fünfmal kassierte er in Unterzahl einen Gegentreffer - Ligaspitze. Das liegt keinesfalls daran, dass er besonders diszipliniert auftritt. Die 64 Situationen, in denen er mit mindestens einem Mann weniger ran musste, werden ligaweit nur von zwei Teams getoppt. Die Quintessenz daraus ist: München hat die mit Abstand beste Unterzahl-Quote der Liga, beeindruckende 92,2 Prozent stehen da.

Was ist das Geheimnis des Münchner Unterzahlspiels? Pasanen sagt: "Sie lassen dich vielleicht ins Drittel reinkommen, machen dann aber sofort Druck. Sehr viel Druck." Seine Mannschaft bekam am Freitag fünfmal die Möglichkeit, Überzahl zu spielen, dreimal alleine in den ersten zwölf Spielminuten. Doch es war nichts zu machen. Im Gegenteil. Den 3:3-Ausgleichstreffer durch Keith Aucoin erzielte München, als Iserlohn einen Mann mehr auf dem Eis hatte. Der Meister läuft den in Überzahl spielenden Gegner hoch stehend sehr aggressiv an und lässt ihm so kaum Luft zum Atmen. "Wir versuchen, sehr viel Druck auf den Gegner auszuüben, und wollen ihn so zu Fehlern zwingen", erklärt Kapitän Michael Wolf, einer der verlässlichsten EHC-Unterzahlspieler. Ziel ist es, den Kontrahenten gar nicht in die Überzahlformation vor dem eigenen Tor kommen zu lassen.

Im vergangenen Jahr war die starke Unterzahl-Einheit der Grundstein zum Meistertitel

Das gelingt dem EHC oft, manchmal entsteht sogar der Eindruck, dass die Gegner in ihren Überzahlsituationen nicht wirklich das Bestreben haben, ins Münchner Drittel zu kommen - besorgt darüber, in einen Konter zu laufen. "Wenn du so spielst, brauchst du intelligente Spieler", betont Pasanen, "und die haben sie." Münchens Unterzahl-Auftreten sei etwas riskant, "aber mit einer guten Mannschaft kannst du auch ein bisschen Risiko eingehen". EHC-Trainer Don Jackson muss bei der Frage nach dem Rezept für ein gutes Unterzahlspiel keine Sekunde nachdenken.

"Druck", sagt er, "der Schlüssel ist Druck." Der ehemalige Verteidiger, der zusammen mit Wayne Gretzky den Stanley Cup gewonnen hat, legt seit jeher großen Wert auf das penalty killing. "Egal wo er war, sein Unterzahlspiel war immer gut", betont Stürmer Mads Christensen, der vor seiner Münchner Zeit bereits vier Jahre in Berlin unter Jackson gespielt hat. Das System ist verinnerlicht, jeder der in Unterzahl auf dem Eis stehe, "weiß, was er zu tun hat", unterstreicht Wolf. Schon in der vergangenen Saison hatte der EHC sowohl in der Hauptrunde als auch in den Playoffs die beste Unterzahlquote, am Ende hielt er den Meisterpokal in die Höhe.

Unterstützung bekommt Jackson in diesem Bereich von seinem Co-Trainer Matt McIlvane. Der 31-Jährige ist beim EHC für die special teams, sprich das Über- und Unterzahlspiel zuständig. "Don legt viel Wert auf das Unterzahlspiel, aber auch Matt macht sehr viel mit uns", sagt Wolf. "Wir sprechen vor dem Spiel extrem viel darüber, das hilft uns natürlich weiter." Und dann kommt auch noch das Selbstvertrauen des Meisters dazu: Angreifer Maximilian Kastner, der auch zur Münchner Elite-Unterzahleinheit gehört, sagte im Oktober: "Wir wissen, dass wir ein perfektes..." Dann unterbrach er kurz und fuhr fort: "Perfekt ist übertrieben, aber ein sehr gutes Unterzahlspiel haben." Wolf berichtet, dass es "die ganze Mannschaft pusht, wenn wir in Unterzahl wenig abgeben und zum Teil fast keine Schüsse aufs Tor bekommen".

Arbeitslos ist das Münchner Trainerteam ob des exzellenten Unterzahlspiels aber noch lange nicht: Das EHC-Überzahlspiel ist mit einer Quote von 12,7 Prozent das schwächste der Liga.

© SZ vom 13.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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