Doping:Material für die Verbände

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Antidoping-Kämpfer sammeln neue Beweise gegen die Sprinterin Marion Jones. Sogar ein IOC-Labor soll sie positiv getestet haben.

Thomas Kistner

Als Clemens Prokop vergangenen Mittwoch die ARD-Reportage "Blut und Spiele" sah, traute er seinen Augen nicht. Saß da wirklich Victor Conte, vorbestrafter Chef des kalifornischen Drogenumschlaglabors Balco, und hielt grinsend einen Medikationsplan für Marion Jones in die Kamera? In der Tat: Das Kürzel MJ zierte den oberen Rand des Kalenderblatts von 2001, und Conte, der wegen der Balco-Affäre eine Haftstrafe verbüßte, erklärte offen: "MJ steht für Marion Jones. Das ist meine Handschrift, das sind Abkürzungen für die Mittel, die sie bekommen hat" - darunter Epo, Insulin, Wachstumshormone und das nicht nachweisbare Designersteroid THG.

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Es gibt, abgesehen von einem Positivbefund, kein klareres Beweismittel für Dopingbetrug als das Bekentnnis des Beschaffers und Verabreichers, der zudem öffentlich seine polizeilich zertifizierten Dokumente präsentiert, Prokop, Chef des Deutschen Leichtathletik-Verbands, schickte sogleich ein Fax an Gabriel Dolle, Direktor der Abteilung Medizin und Antidoping des Weltverbands: Falls die IAAF an Contes Aussagen interessiert sei - "etwa, um einen juristischen Vorgang einzuleiten" - wolle er gern versuchen, eine Kopie der Aussage zu besorgen.

An allen Fronten Schweigen

Bisher aber herrscht, wie man es kennt im kompakten Schweigesystem Spitzensport, an allen Fronten Schweigen. In den USA hatte sich Marion Jones juristische Gefechte mit Conte geliefert, als sie in den Sog des Balco-Skandals geraten war. Sie wollte Conte Behauptungen untersagen lassen und erzählte selbst, nie bei ihm gewesen zu sein - am Ende verlief das Duell im Sande. Nachdem Conte seine Strafe verbüßt und das Mäntelchen nationaler Nächstenliebe über all die brisanten Athletennamen gebreitet worden war, wie das in den USA, in Spanien und sehr wahrscheinlich auch anderswo üblich ist, war die Akte Jones ins Archiv gerutscht. Ist ja die bequemste Lösung für den Sport und seine Sachwalter: Ist Jones nicht längst zurückgetreten? Doch, ist sie.

Und zudem pleite, weil das Superstar-Vermögen von Anwaltskosten aufgefressen wurde. Bliebe nur leider trotzdem zu klären, wie sauber ihre Medaillentriumphe von Sydney 2000 waren. Immerhin liegt Material in Hülle und Fülle gegen sie vor, darunter sogar ein Labor-Bericht, der ihr den sagenhaften Testosteron-Quotienten von 23,2 zuordnet. Die Obergrenze für Sportler liegt bei generösen 6 (statt beim natürlichen Wert von 0,5 - 1,5). Weil aber auf dem Papier mehrfach das Kürzel IOC auftaucht, vermutet - vor laufender Kamera - der russische Laborspezialist Victor Uralets, dass dieser Testbefund von einem beim Internationalen Olympischen Komitee akkreditierten Labor stammt. "Davon gehe ich aus", sagt der Mann, der sich wie kein zweiter in der Materie auskennt.

Uralets war zu Sowjetzeiten für die Ausreisekontrolle der kommunistischen Superamateure zuständig. Später leitete er in Kalifornien ein Labor, das laut Akten Vorab-Tests für Jones getätigt hatte: Eine Absicherung wie im Ostblock. Während der Spiele 2000 soll Jones Urin zu Uralets geschickt haben, weshalb Dopingexperte Werner Franke 2004 den Staatsanwalt in San Francisco mit Material für eine Strafanzeige versorgte: Uralets und Chef Barry Sampel hätten "US-Gesetze und ethische Regeln verletzt". Der Deutsche bezichtigte die Wissenschaftler der "Führung eines Labors zur Steroidbestimmung, um Dopingbefunde bei Athleten zu umgehen". Ins Bild dieses bizarr geschlossenen Sportkontrollsystems passt, dass Sample 1996 Chef des Dopinglabors bei den Spielen in Atlanta war.

Uralets also sagt, ein IOC-Labor habe Jones positiv getestet. Sanktionen gab es nie. Für das IOC müsste dies Anlass sein, Recherchen in seinen Labors anzustellen. Schon die Balco-Affäre belegte, dass Conte einen Informanten direkt im IOC-Labor von Los Angeles hatte, der ihn ständig über den neuesten Analysestand informierte. Im TV-Film geht Conte noch weiter: "Ich weiß von einem IOC-Labor in Europa, wo Athleten Vorab-Tests machen lassen können." Weil Franke ein solches sogar nennt - in Warschau -, und weil auch in der spanischen Fuentes-Affäre Ungereimtheiten um IOC-Labors auftauchen (die in Madrid gefundenen Blutbeutel wurden nicht im dortigen Labor, sondern umständlich nach Barcelona verbracht) - weil also immer mehr darauf hindeutet, dass eine Reihe edler IOC-Laboranten überall in der Welt "auf beiden Schultern tragen" (Franke), fällt die Schwerfälligkeit des IOC in den anhängenden Fällen von Medaillenaberkennungen zu Sydney (Jones, Telekom-Radler Ullrich, Klöden, Winokurow) und Athen '04 (Hamilton/ USA, Escobar/Spanien, spanische Bahnradler) auf.

Mit ihrem Glaubwürdigkeitsdefizit haben sich viele Verbände offenbar abgefunden; betrachtet man ihr Taktieren bei internen Untersuchungen genauer, erhält man ein Bild davon, was unter geistiger Mittäterschaft am Dopingsystem zu verstehen ist. Die Abhandlung der österreichischen Skisportler, die im Zuge einer Polizeirazzia bei den Turin-Spielen 2006 aufflogen, ging äußerst zügig über die Bühne und endete mit Höchststrafen, lebenslänglichem Olympia-Verbot. Aber es gab nach den Razzien vor den Kamera-Augen der Welt ja nur noch den Vorwärtsgang, sonst hätte das IOC demonstriert, dass Dopingbekämpfung im Kern nur mit staatlicher Hilfe funktioniert. Bei den wahren Helden des Weltsports aber, von Jones bis Ullrich, tun sich die olympischen Ermittler notorisch schwer. Mag Täter Conte noch so einladend mit Dopingpapieren vor der Kamera wedeln - das stört doch nur.

© SZ vom 14.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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