Doping in China:Ein einziger großer Betrug

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Die ehemalige Weltklassesprinterin Ines Geipel schreibt in ihrem Buch "No Limit" über die Doping-Nation China, Genmanipulation und die gedopte Gesellschaft.

Hans-Joachim Föller

Wenn sich demnächst in China die weltbesten Athleten messen, dann steht ein Hauptverlierer schon fest: der olympische Gedanke. Für Ines Geipel sind die Spiele in Peking ein einziger großer Betrug. Die Belege dafür hat sie in ihrem Buch "No Limit" zusammengetragen. Und diese sind überzeugend. So sei das Reich der Mitte nicht nur der größte Exporteur von oftmals noch unbekannten anabolen Steroiden und Wachstumshormonen, sondern es werde dort in kaum zu kontrollierenden Minilabors und an staatlichen Einrichtungen mit außerordentlichem finanziellen Aufwand systematisch an der Verbesserung von Dopingpraktiken geforscht. 99 Prozent der Steroide und etwa 80 Prozent der Wachstumshormone, die weltweit umgesetzt werden, kommen aus China. In keinem anderen Land werde das rote Blutkörperchen bildende Epo derzeit so günstig produziert. Zudem werden vor den chinesischen Eliteschulen massenweise das Muskelwachstum fördernde Myostatinblocker feilgeboten. Neutralen Kontrollen sind chinesische Spitzensportler entzogen, denn sie trainieren unter anderem in Militärbasen, zu denen internationale Tester keinen Zugang haben. Die Möglichkeiten für einen Missbrauch sind also beträchtlich.

Ines Geipel kennt die Welt des Leistungssports: sie war früher selbst eine Weltklassesprinterin. (Foto: Foto: dpa)

Die Verfasserin Geipel kennt die Welt des Leistungssports von innen. Die frühere Weltklassesprinterin hat ihre Rekorde streichen lassen, dazu gehört auch der bis heute gültige Weltrekord im 4x100- Meter-Lauf für Vereinsstaffeln, den sie mit der Staffel des SC Motor Jena im Jahr 1984 in Erfurt aufstellte, weil er im Zwangsdoping-System der ostdeutschen Diktatur zustande gekommen war. Heute lehrt Ines Geipel als Professorin Verssprache an der Berliner Schauspielschule Ernst Busch.

Der richtige Chemie-Cocktail

Was in ihrem Buch deutlich wird: Die Zukunft hat schon begonnen. Und die heißt Gendoping. Auch auf diesem Gebiet ist China führend. War das herkömmliche Doping eine Art Oberflächenphänomen, geht die Genmanipulation in die Tiefe. Wie tiefgreifend, das lässt sich am Modell einer Labormaus mit der Bezeichnung "He-Men" erläutern. He-Männer sind mit normalen Mäusen nur noch entfernt verwandt. Sie haben monströse Nacken, rasen und springen trotz niedriger Herzfrequenzen wild in den Käfigen herum, leben doppelt so lange wie andere Mäuse, sind vor Fettleibigkeit geschützt, sexbesessen und essen wesentlich mehr als ihr normalen Artgenossen.

Auf den Menschen angewandt könnte man mit diesen Methoden aus einem mittelmäßigen Athleten einen Spitzensportler machen. Dafür benötigte man lediglich die mit der richtigen DNA gefüllte Spritze. Es geht also nicht mehr um das sportliche Talent, sondern um den richtigen Chemie-Cocktail.

Die Tür zu dieser neuen Manipulations-Ära ist bereits aufgestoßen. Fachleute hegen keine Zweifel daran, dass die neuen Substanzen bereits am Menschen erprobt werden - auch bei den Olympischen Spielen in Peking. Die Gefahren werden im Angesicht von Ruhm und Erfolg ausgeblendet. Bekannt ist jedoch: Wer sich dafür als Versuchsobjekt zur Verfügung stellt, riskiert den Tod. Tests, mit denen sich diese Art von Doping zweifelsfrei nachweisen ließe, gibt es noch nicht.

"Schneller, Höher, Weiter!"

Einsichten, die unbequeme Konsequenzen nach sich ziehen könnten, sind auch im Sport unbeliebt. Ist die Annahme realistisch, dass sich Sportler solch unkalkulierbaren Risiken aussetzen würden? Der offizielle Sport will davon zumeist nichts wissen. Geipel ist jedoch überzeugt, "dass bei den neuen Substanzen kein Risiko gescheut wird". Denn: "Aus Erfahrung weiß man: Was möglich ist, wird auch gemacht."

Fast noch bedeutsamer ist eine andere Entwicklung, die die Autorin aufzeigt. Offenbar hat sich die Aufforderung des olympischen "Schneller, Höher, Weiter!" von der ursprünglichen Intention entfernt. Längst haben die Probleme des Leistungssports die Gesellschaft erreicht. Und das ist ein weiteres bemerkenswertes Themenfeld des Buches. Rund sieben Millionen Bundesbürger trainieren in 6500 Fitness-Studios für einen optimierten Körper. Davon konsumieren mehr als eine Million regelmäßig Dopingmittel. Doch ist die Welt des Sports nur ein Abbild der Gesellschaft. Im Zeitalter des globalen Wettbewerbs scheinen keine Grenzen mehr zu gelten. Schwäche oder Unvollkommenheit sind nicht erlaubt.

Da glaubt eine Studentin, ohne Aufputschmittel wie Ritalin keine Seminararbeiten mehr schreiben zu können, da stimuliert ein Börsianer sein Gehirn, um nur ja keine Bewegung auf den Finanzmärkten zu verpassen, da kommen auch Lkw-Fahrer ohne Doping nicht mehr aus. Weitere Beispiele ließen sich hinzufügen. No Limit? Gibt es keine Grenzen mehr? Dieses Buch stellt hartnäckig die richtigen Fragen und zeigt die ersten Umrisse einer Zukunft, die bereits begonnen hat.

Ines Geipel: "No Limit - Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft"; Klett-Cotta, Stuttgart 2008, 184 Seiten, 17,90 Euro

© SZ vom 30.07.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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