DFB-Affäre:Aufatmen ja, Entwarnung nein

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Eine jüngst geöffnete Datei zum Skandalfunktionär Jack Warner bringt den Frankfurter Ermittlern in der Affäre um die WM 2006 keine Erkenntnisse. Doch das muss nicht heißen, dass der Inhalt für die Affäre ohne Belang ist.

Von J. Aumüller, T. Kistner, Frankfurt/München

Ein Erdbeben war zu befürchten, nun aber gab es erst einmal Entwarnung für den Deutschen Fußball-Bund (DFB), dessen Affäre um die WM 2006 noch so viele Aufklärungslücken birgt. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft teilte mit, dass die Inhalte einer mysteriösen und erst kürzlich von ihr entschlüsselten Jack-Warner-Datei "hier keine neuen Erkenntnisse" erbracht hätten.

Seit Wochen symbolisiert diese Datei den offenkundig sehr dosierten Aufklärungseifer des DFB in einem Teil der Affäre. Kurz nach deren Beginn im November 2015 hatten der Verband und die von ihm mit Untersuchungen beauftragte Kanzlei Freshfields das Dokument "Komplex Jack Warner" vorliegen. Autor war der inzwischen entlassene Vize-Generalsekretär Stefan Hans, der Ablageordner trug den Titel "Erdbeben". Nach vergeblichen, schließlich eingestellten Öffnungsversuchen übergab der DFB die Datei aber erst ein Jahr später an die Staatsanwaltschaft. Die Behörde knackte sie dann binnen 24 Tagen. Und befand jetzt: keine neuen Erkenntnisse - für ihr Verfahren.

Das muss nicht heißen, dass die Datei für alle Bereiche der vielschichtigen Affäre ohne Belang ist. Die Frankfurter ermitteln seit gut einem Jahr in einem engen Feld: wegen Verdacht auf Steuerhinterziehung; eine Zahlung des damaligen WM-Organisationskomitees über 6,7 Millionen Euro war fälschlich als Betriebsausgabe geltend gemacht worden. Die Transaktion im April 2005 war als Beitrag zu einer Gala des Weltverbands Fifa deklariert, diente aber in Wahrheit der Rückzahlung eines von Ex-Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus gewährten Darlehens aus dem Jahr 2002. Dessen Geld war in Katar im Dunstkreis des obskuren Fifa-Funktionärs Mohammed bin Hammam gelandet - mit bis heute ungeklärtem Zweck. War es ein nachträglicher Lohn für WM-Voten, stand es im Kontext der Wiederwahl von Sepp Blatter als Fifa-Boss? In beiden Fällen könnte Warner, der Namensgeber der Datei, unter den Profiteuren sein.

Die Frankfurter Behörde muss klären, worum es bei den 6,7 Millionen Euro ging. Erkenntnisse darüber hinaus aber dürfen in ihre Ermittlungen nicht einfließen. Deshalb bleiben bei der Datei drei Möglichkeiten. Erstens: Sie enthält gar nichts Neues. Zweitens: Sie birgt Informationen, die für andere Verfahren interessant sein könnten, speziell für die Schweizer Bundesanwaltschaft. Die befasst sich, anders als Frankfurt, mit dem ganzen Fifa-Korruptionskomplex, insbesondere mit Warner. Drittens: Die Datei enthält Informationen, die nicht strafrechtlich, wohl aber für DFB-interne Belange relevant sind. Datei-Autor Hans gilt als akribischer Chronist von Vorgängen; interne Abläufe rund um den Ausbruch der Affäre könnten durch seine Notizen in ein anderes Licht geraten.

Hans war im Sommer 2015 im Archiv unterwegs, irgendwann bekam er einen Vertrag zu Gesicht, den Warner und die deutschen WM-Werber nur vier Tage vor der Turnier-Vergabe signiert hatten - und der dem Mann aus Trinidad millionenschwere Leistungen zusicherte. Wann Hans diese Kenntnis erhielt bzw. wen er darüber wann informierte, ist Teil eines Arbeitsgerichtsverfahrens um Hans' fristlose Kündigung - das der DFB in erster Instanz verlor. Die Datei legte der Ex-Funktionär jedenfalls zu einem Zeitpunkt an, als seine Kündigung schon absehbar war. Hans äußert sich zur Datei nicht.

Der DFB hat stets betont, wie sehr ihm daran gelegen sei, den Inhalt zu erfahren. Nun hat er die Chance, sehr bald an dieses Wissen zu gelangen. Zwar erhielt er noch kein Akteneinsichtsrecht, weil die Ermittlungen noch laufen. Jedoch erklärte die Staatsanwaltschaft jüngst auf Anfrage, sie habe dem DFB bzw. Freshfields frühzeitig mitgeteilt, diese könnten in die bei einer Razzia vor Jahresfrist sichergestellten Unterlagen Einblick nehmen, soweit das nicht die laufende Ermittlung gefährde.

Die Datei tut das erklärtermaßen also nicht. Befragt, ob sich der DFB nun sofort darum bemühe, reagierte der für Rechtsfragen zuständige DFB-Vize Rainer Koch am Freitag ausweichend. Sobald der Antrag auf Akteneinsicht positiv beschieden sei, würde der Verband gerne die Inhalte ansehen. Die DFB-Anwälte seien im steten Dialog mit der Behörde. Gäbe es morgen Akteneinsicht, würde ihn das freuen.

Eine gewisse Zurückhaltung knüpft an die Linie an, wie der DFB mit der Datei bisher umging. Nach dem internen Fund des Dokumentes hatte er erst einmal selbst drei Monate lang daran herumgedoktert. Schließlich gab er die Sache wegen des drohenden Zeit- und Kostenaufwands auf.

Das war vor Präsentation des Freshfields-Reports am 4. März, weshalb der weitere Umgang merkwürdig erscheint. Die Brisanz der Figur Warner war zu der Zeit ja längst unübersehbar: Das Auftauchen eines Vertrags mit dem Skandalfunktionär hatte den vormaligen DFB-Chef Wolfgang Niersbach das Amt gekostet, der Umgang mit der Sache zu Hans' Rauswurf geführt. Monatelang wurde eine Warner-Datei bearbeitet. Zugleich war seit Anfang 2016 bekannt, dass Warner auch im Kontext der WM-Affäre ganz oben auf der Prioritätenliste von FBI und Schweizer Bundesermittlern stand. Dennoch war die verschlossene Datei "Komplex Jack Warner" im Report nur eine Fußnote, der Sachverhalt selbst fand keine Erwähnung.

Auch auf ein im Berliner Sportausschuss erfolgtes Angebot, der DFB könne im Kontext der Dateiöffnung das Bundesinnenministerium um Hilfe bitten, ging der Verband nicht ein. Es sei richtig gewesen, "keine Verbandsgelder für die kostspielige Entschlüsselung auszugeben, sondern die Auswertung der Staatsanwaltschaft zu überlassen", findet jetzt der DFB. Was nicht erklärt, warum er diese erst nach einem Jahr und erst nach konkreten Medienanfragen direkt auf die Datei hingewiesen hat.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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