Deutschland bei der Volleyball-EM:An der russischen Seele genagt

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Russlands Maxim Zigalow (rechts) schmettert gegen den deutschen Block mit Denis Kaliberda (links). (Foto: dpa)
  • Deutschland gewinnt überraschend Silber bei der Volleyball-EM.
  • Im Finale heißt es am Ende 19:25, 25:20, 22:25, 25:17, 13:15 gegen Russland.
  • Trotzdem überwiegt der Stolz im deutschen Team.

Von Saskia Aleythe

Volleyball ist ein Sport des richtigen Timings, und weil Georg Grozer ein Meister seines Fachs ist, stimmte auch das am Sonntagabend in Krakau. Es war kurz nach 23 Uhr, 5:2 stand auf der Anzeige im fünften Satz gegen Russland, noch zehn Punkte fehlten den Deutschen zum historischen EM-Gold. Grozer hatte gerade in einem untypisch sanften Angriff den Ball übers Netz gehoben zum Punktgewinn, dann drehte er sich um zu seinen Kollegen und hielt inne. Er ging ein wenig in die Knie und bewegte seinen Körper wie ein chinesischer Kung-Fu-Kämpfer. Andächtig und zugleich ehrfurchteinflößend. Es passte wunderbar zu diesem Spiel.

Der chinesische Freudentanz wurde an diesem Abend nicht wieder vorgeführt, 13:15 ging der Tie-Break noch verloren, 2:3 nach Sätzen das Finale (19:25, 25:20, 22:25, 25:17, 13:15). Doch weil das historische EM-Gold durch historisches EM-Silber ersetzt werden konnte, schmerzte die knappe Niederlage nur kurz. Deutschland hatte sein erstes EM-Finale überhaupt gespielt und seine erste EM-Medaille überhaupt gewonnen, die vierte Medaille für die Männer nach WM-Gold der DDR 1970, Olympia-Silber der DDR 1972 und WM-Bronze 2014.

"Wer hätte das vor ein paar Wochen gedacht", meinte Sportdirektor Christian Dünnes, "ich bin superstolz auf die Spieler und den Staff." Als Grozer und Lukas Kampa und all die anderen Kollegen ihre Medaillen in Empfang nahmen, war die Freude schon wieder auf die Gesichter zurückgekehrt. "Das i-Tüpfelchen hat gefehlt", befand auch Außenangreifer Christian Fromm: "Wir können trotzdem auf uns stolz sein, gerade nach diesem Drama."

Wer wagte es, die Russen zu belästigen?

Dass sie Russland tatsächlich ärgern können, hätten vor diesem Finale Menschen mit großem Hang zum Risiko getippt. Es lief der zweite Satz in diesem Finale, 6:2 führten die Deutschen, nachdem sie den ersten verloren hatten, da rollte Russlands Trainer Sergej Schliapnikow zum ersten Mal genervt mit den Augen. Wer wagte es da, seine hochdekorierte Truppe mit Gegenwehr zu belästigen? Die Russen sind so ziemlich alles, was sich in internationalen Turnieren mit Rekord- und -Sieger kombinieren lässt, keinen einzigen Satz hatte das Team bei dieser EM verloren. Bis halt zu diesem Aufeinandertreffen im Finale mit den Deutschen.

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In ihrem ersten EM-Finale überhaupt lassen sich die deutschen Volleyballer kaum aufhalten und verlieren gegen Rekordsieger Russland erst im fünften Satz.

Wie sehr diese Gegenwehr an der russischen Seele nagte, merkte man im dritten Satz: Beide Teams hatten nun einen gewonnen, von einem 6:10-Rückstand hatten sich die Deutschen auf ein 12:12 herangearbeitet - und dann wurde es feucht auf dem Spielfeld. In der Auszeit flog energisch eine Flasche über den Boden, geworfen von einem russischen Athleten. Es folgten minutenlange Wischarbeiten, die dem Spielfluss nicht zuträglich waren, was geschulten Volleyball-Beobachtern als fiese Finte vorkam, um Zeit zu schinden.

Folglich kippte auch die Stimmung in der Halle: Die Fans in Krakau pfiffen fortan die Russen aus und feuerten Deutschland an. Schliapnikow begann, munter durchzuwechseln. Satz drei schnappten sich knapp die Russen, und dann zeigte der deutsche Kader, warum man sich durchaus für ihn begeistern konnte.

Nervosität hatte es bei ihnen im ganzen Turnier kaum gegeben, verlorene Moral oder nachlassenden Eifer sowieso nicht, im Halbfinale kämpfte man sich selbst nach zwei Matchbällen der Serben weiter. Dabei waren die Deutschen ein neu formiertes Team, mit neuem Trainer und neuer Spielweise. Der Italiener Andrea Giani hat das Team erst zu Jahresanfang von dem Belgier Vital Heynen übernommen, 2015 hatte er Slowenien zu EM-Silber geführt - und nun in Deutschland einen Weg eingeleitet, der zwischendurch auch mal schmerzte. Weil er ein Trainer ist, der das Risiko im Spiel liebt, bei ihm gilt das Prinzip Abrissbirne, immer volle Attacke. Vorgänger Heynen war eher ein Perfektionist, mit Hang zur Sicherheit. Die Mannschaft musste sich umstellen, den Mut zur Aggressivität finden. Die WM-Qualifikation verpasste man prompt, auch den Aufstieg in die Weltliga. An der Überzeugung, am eigenen System festzuhalten, änderte das nichts. Zum Glück, kann man nun sagen.

Diesen vierten Satz im Finale konnte man als Sinnbild für den Kader verstehen. Da hüpfte Georg Grozer, Spitzname Hammerschorsch, fast mit kindlicher Freude über das Feld. Seine Angriffe schlagen in der Regel mit der Wirkungskraft der Kopfnüsse von Bud Spencer ein, er kann Aufschläge mit einer Geschwindigkeit von 125 Stundenkilometern produzieren. Grozer ist 32 Jahre alt und ist in seiner langen Karriere schon Meister in vier Ländern geworden: Deutschland, Polen, Russland und kürzlich auch China. Aus der Nationalmannschaft war er eigentlich schon Anfang 2016 zurückgetreten und nur auf Wunsch von Gianis zurückgekehrt. Er wird wohl bald nicht mehr spielen.

Doch auch einer der sieben EM-Debütanten spielte sich plötzlich in den Vordergrund: Tobias Krick, 18 Jahre alt. Schüchtern wirkte er bisweilen, mit einer Frisur, die noch nicht weiß, wohin sie sich mal entwickeln will. Die Haare wippten, Krick punktete, mal mit cleveren Blocks, mal mit feinen Angriffen. Und dann jubelte auch er fast schon exzentrisch, 22:12 führte Deutschland zwischenzeitlich. Am Ende hatte Tobias Krick in diesem EM-Finale mit 14 Punkten die zweitbeste deutsche Ausbeute nach Grozer (27) zu verzeichnen. Auf dem Weg zum Kung-Fu-Kämpfer kein schlechter Start.

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