Deutsche U 21:Schillernder als die goldene Generation

Deutsche U 21: Davie Selke (li.): Starke Momente bei der EM

Davie Selke (li.): Starke Momente bei der EM

(Foto: AFP)
  • Die Werte der deutschen U 21 sind nach zwei EM-Spielen überragend.
  • Gegen das Team hat selbst die goldene Generation vor acht Jahren anfangs bloß matt geschimmert.
  • Die Anzeichen verdichten sich, dass die deutsche Mannschaft Europameister werden kann.

Von Ulrich Hartmann, Krakau

Wenn fremdsprachige Reporter neuerdings fragen, ob die deutschen Fußball-Junioren nach ihren deutlichen Auftaktsiegen nicht Europameister werden müssten, dann erzählt der U 21-Bundestrainer Stefan Kuntz von seiner Oma aus dem Saarland. Seine "Grandmother", plaudert er auf Englisch, habe immer gesagt: "Bub, schau' nicht zu weit in die Zukunft!"

Die Zukunft ist ein großes Wort, dabei richten sich die Visionen der deutschen Jung-Nationalspieler fürs Erste auf Freitag, den 30. Juni. Dann wird um 20.45 Uhr im Stadion Cracovia das Endspiel der U 21-EM angepfiffen, und dann würden die Deutschen schon gerne auf dem Platz stehen. Mit ihrem 2:0 gegen Tschechien und dem 3:0 am Mittwochabend gegen Dänemark haben sie sich für einen der zwei Final-Startplätze aufs Allernachdrücklichste empfohlen, und wenn der weitere Turnierverlauf auch nur einen Funken Anstand besitzt, dann verhindert er, dass Deutschland und Spanien, die beiden herausragenden Mannschaften des Turniers, bereits im Halbfinale aufeinandertreffen. Das wäre eine fiese Laune des Schicksals.

Die Werte sind nach zwei Spielen überragend

Gegen die aktuelle deutsche U 21 hat ja selbst die goldene Generation vor acht Jahren anfangs bloß matt geschimmert. Die Nachwuchsmannschaft, die mit den späteren Weltmeistern Manuel Neuer, Jérôme Boateng, Benedikt Höwedes, Mats Hummels, Sami Khedira und Mesut Özil 2009 in Schweden Europameister wurde, hatte sich damals durch die Gruppenphase gequält, schoss in drei Spielen bloß drei Tore und besiegte nur Finnland 2:0. Erst im Endspiel, beim 4:0 gegen England, zeigte das Team seine beste Leistung. Immerhin wussten da ultimativ alle, worauf es ankommt. Das unterschied sie von der ähnlich hoch gepriesenen U 21 vor zwei Jahren, die mit Spielern wie Marc-André ter Stegen, Matthias Ginter, Joshua Kimmich, Emre Can und Kevin Volland nach einer ebenfalls mauen Vorrunde im Halbfinale 0:5 gegen Portugal unterging.

Die gegenwärtige U 21 wirkt so souverän wie lange keine deutsche Mannschaft mehr bei einer Europameisterschaft. Ihre Werte sind nach zwei Spielen überragend: die zweitmeisten Tore nach den Spaniern, fünf Tore von fünf unterschiedlichen Torschützen (Max Meyer, Serge Gnabry, Davie Selke, Marc-Oliver Kempf, Nadiem Amiri), als einziges von zwölf Teams noch ohne Gegentreffer, die meisten Torschüsse (47), die meisten Eckbälle (15), die drittmeisten Pässe (950), die zweitwenigsten gelben Karten (3). Als Kuntz nach dem 3:0 gegen Dänemark gefragt wurde, was im dritten Spiel gegen Italien am Samstag jetzt noch zu verbessern sei, antwortete er: "So ganz viel fällt mir spontan nicht ein."

Sogar der nervöse Torwart wurde wieder aufgerichtet

Es wird also ums Mentale und Emotionale gehen bei dem Versuch, den zweiten EM-Titel bei der U 21 nach Deutschland zu holen. Juniorenteams sind sensibler und anfälliger als routinierte Teams, sie können auch innerhalb eines Spiels schnell mal die Orientierung verlieren, erst recht bei einem langen Turnier. Das hat der schwere Halbfinal-Unfall vor zwei Jahren gegen Portugal gezeigt. Kuntz und sein Team bemühen sich entsprechend um positive Emotionalität. "Vor dem Spiel gegen Dänemark habe ich den einen oder anderen trösten müssen", erzählt er, "Spieler, die noch nicht zum Einsatz gekommen sind und denen ich gesagt habe, sie sollen bitte auf die Mannschaft und uns Trainer vertrauen."

Die Mannschaft braucht gegen Italien nun noch ein Unentschieden, um ins Halbfinale einzuziehen, unter gewissen Umständen genügt sogar eine knappe Niederlage. Kuntz kennt kaum Gründe, seine Startelf im finalen Gruppenspiel erstmals zu verändern. Er böte dann zum dritten Mal dieselben elf Spieler auf. Das kannte man von U 21-Trainern schon anders. Uli Stielike veränderte bei der Heim-EM 2004 die Startelf jedes Mal mit dem Hinweis, es wollten doch alle mal spielen. Nach dem Vorrunden-Aus kam deshalb gar kein deutscher Spieler mehr zum Einsatz. Spieler, die damals einen möglichen EM-Titel verpassten: Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski, Thomas Hitzlsperger.

Vertrauen auf die 4-2-3-1-Formation

Kuntz hat bislang vieles richtig gemacht. Er vertraut einer 4-2-3-1-Formation, in der die Innenverteidiger Niklas Stark (Berlin) und Kempf (Freiburg) versiert die Bälle verteilen, in der die Außenverteidiger Jeremy Toljan (Hoffenheim) und Yannick Gerhardt (Wolfsburg) viel häufiger an der Grundlinie des Gegners präsent sind als an der eigenen - und in der Offensivspieler wie Meyer (Schalke), Gnabry (Bremen), Weiser (Berlin) und Selke (Leipzig) die gegnerische Defensive unermüdlich nach Freiräumen scannen. Sogar den im Auftaktspiel noch etwas nervösen Torwart Julian Pollersbeck haben Kuntz und Torwarttrainer Klaus Thomforde derart bearbeitet, dass er im zweiten Spiel vier herausragende Paraden vorführte und nun als einziger Torwart im Turnier noch keinen Gegentreffer hingenommen hat.

Die Anzeichen verdichten sich, dass die deutsche Mannschaft Europameister werden kann. Man muss den weisen Großmüttern im Saarland auch nicht immer alles glauben.

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