Davis Cup:Becker knufft Struff

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Erleichtert: Jan-Lennard Struff nimmt nach seinem Fünfsatzsieg den Dank von Boris Becker entgegen. (Foto: Armando Franca/AP)

Die deutsche Mannschaft besteht in Portugal den Härtetest und schafft den Klassenverbleib in der Weltgruppe.

Von Gerald Kleffmann, Lissabon/München

Ein Aufschlag, dann war es passiert. Jan-Lennard Struff servierte hart, João Sousa returnierte den Ball, der so hoch zurückflog, dass Struff ahnte: Der fliegt ins Aus hinter die Grundlinie. Da ließ der Profi den Schläger fallen, riss die Arme hoch, und noch ehe er dem Gegner die Hand schüttelte, eilte er zu Teamchef Michael Kohlmann und ließ sich drücken. Dann folgten alle anderen, inklusive Boris Becker. Der hochrangige Funktionär des Deutschen Tennis-Bundes (DTB), der sich nun "Head of Men's Tennis" nennt, stieg auf ein kleines Geländer und knuffte Struff. Sein erster Einsatz im neuen Amt war gelungen. Das ließ sich auch in Beckers Gesicht ablesen.

Nach 3:13 Stunden, nach einem körperlich und mental forderndem Duell im Clube de Ténis do Jamor in Oeiras bei Lissabon hatte sich Struff an diesem Sonntag 6:0, 6:7 (3), 3:6, 7:6 (6), 6:4 durchgesetzt. Er hatte dabei einen Matchball abgewehrt, bei 4:5 im vierten Satz, mit einem Volley direkt nach dem Aufschlag. Viel war 2016 über Philipp Kohlschreiber und die Brüder Alexander und Mischa Zverev diskutiert worden, da sie im damaligen Abstiegskampf gegen Polen fehlten. Auch diesmal waren sie nicht dabei, weil ihnen dieser Auftritt nicht in die Planung passte. Dabei hatten sie dem DTB dieses Abstiegsduell ja quasi eingebrockt mit der Pleite gegen die ersatzgeschwächten Belgier in der ersten Runde. Umso bemerkenswerter ist, dass nun zum zweiten Mal binnen zwölf Monaten der unscheinbare Struff das Davis-Cup-Team rettete. Portugal ist jetzt abgestiegen nach der 2:3-Niederlage; das letzte bedeutungslose Einzel gewann João Domingues 6:3, 7:6 (8) gegen Yannick Hanfmann. Die Mannschaft des DTB darf 2018 zum 14. Mal in Serie in der Weltgruppe antreten. Statt vielen unbequemen Fragen begegnen zu müssen, kann der DTB nun in Ruhe die Zukunft planen. "Ich bin wahnsinnig happy, das war ein extrem hartes Match", sagte Struff dem Sport-Informations-Dienst und lobte: "Boris ist definitiv eine Bereicherung. Er ist solch ein Champion mit unglaublich viel Erfahrung. Boris steht immer bereit, wir können ihn viel fragen. Auch wenn Kohle mein Ansprechpartner auf dem Platz ist, es tut gut, wenn ich rausgucke und da sitzt Boris mit dem Team." Kohlmann machte im Moment des Jubels klar, dass der Einsatz hoch war. "Ich freue mich für die Jungs und mein Team. Ein Abstieg wäre fatal gewesen", sagte der frühere Profi, der sich beim DTB als B-Kader-Trainer hauptsächlich um Jungprofis kümmert, nun aber klammheimlich wieder eine heikle Davis-Cup-Mission bewältigt hat. Mit einem Abstieg wäre es gut möglich gewesen, dass Kohlmann das Mandat als Teamchef entzogen worden wäre, sein Vertrag ist ja noch nicht verlängert. Nun stehen seine Chancen gut, wobei es beim DTB immer Überraschungen geben kann, wie zuletzt auch die Installierung Beckers eine war. "Nach Portugal setzt man sich zusammen, dann analysieren wir alles", hatte DTB-Vizepräsident Dirk Hordorff in der vergangenen Woche gesagt, "auch Boris Becker wird in die Entscheidung einbezogen sein." In Portugal hatte es so ausgesehen, als sei da ohne die drei erfolgreichsten Einzelspieler eine Einheit entstanden. Becker unterstützte immer wieder klatschend jede Partie der deutschen Akteure und war mit Kohlmann im Austausch bei den Match-Vorbereitungen.

In jedem Fall werden die Verantwortlichen neben Kohlmanns Arbeit auch Struff würdigen müssen. Ohne zu lamentieren, baute er sich nach seiner Niederlage am Freitag gegen den Weltranglisten-107. Pedro Sousa auf (Cedrik-Marcel Stebe hatte zuvor João Sousa, den einzigen Portugiesen in den Top 100, 4:6, 6:3, 6:3, 6:0 besiegt), rackerte sich mit Tim Pütz, seinem Doppelpartner beim Bundesligisten Blau- Weiß Halle, zum 6:2, 4:6, 6:7 (7), 6:4, 6:4-Erfolg - und hielt dem Druck stand, als Führungsspieler den dritten Punkt holen zu müssen. Am Sonntag spielte er, wie es den Fähigkeiten eines Weltranglisten-54. entspricht. Am Freitag war er zu einem Weltranglisten-200. mutiert, der sich das sture Grundlinienspiel seines Gegners aufzwingen ließ. Offenbar haben da taktische Gespräche im Hintergrund viel bewirkt.

Schon an diesem Mittwoch wird ausgelost, gegen wen das DTB-Team in der ersten Runde antritt (2. bis 4. Februar). Ob die Zverev-Brüder sowie Kohlschreiber dann Lust haben, wird vom Spielort und Belag abhängen. Und wie weit sie bei den Australian Open vorstoßen. Die deutschen Profis von Lissabon haben sich jedenfalls empfohlen, dass sie verlässlich bereitstehen. Auch ein anderer könnte ein Faktor werden. "Wir werden uns mit Dustin Brown hinsetzen und schauen, ob Bereitschaft auf beiden Seiten besteht", sagte Kohlmann der SZ. Brown, 105. der Weltrangliste, hatte 2016 auf eine Teilnahme beim Abstiegsduell mit Polen verzichtet und bei einem Challenger in Stettin gespielt. Der DTB entschloss damals, eine Saison lang auf Brown zu verzichten - während Mischa Zverev für das gleiche Vorgehen nicht sanktioniert wurde.

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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