Brownlee-Brüder:"Ich hätte das auch für jeden anderen getan"

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Alistair Brownlee (links) hilft seinem Bruder Jonathan Brownlee über die Ziellinie. (Foto: Victor Ruiz/dpa)

Alistair Brownlee rettet seinen Bruder Jonathan im letzten Rennen um die Triathlon-Weltmeisterschaft vor dem Kollaps, schleppt ihn ins Ziel - kritisiert aber auch halb im Scherz den "Idiot".

Von Anna Dreher, Cozumel/München

Er war schon eine Weile so komisch gelaufen, als sei er nicht mehr ganz bei sich. Und spätestens jetzt war das nur noch entfernt mit Laufen verwandt, was Jonathan Brownlee zeigte. Er zog seine Beine unkoordiniert über den Asphalt und dann, 400 Meter vor dem Ziel, ging auch das nicht mehr. Dabei konnte er sich das jetzt auf keinen Fall erlauben. Brownlee musste nach diesen 1500 Metern Schwimmen, 40 Kilometern Radfahren und zehn Kilometern Laufen beim letzten Rennen der Triathlon-WM-Serie im mexikanischen Ort Cozumel Erster werden, um am WM-Führenden Mario Mola vorbeizuziehen und noch die Gesamtwertung zu gewinnen. Hinter ihm kamen sein Bruder Alistair und der Südafrikaner Henri Schoeman immer näher. Jonathan Brownlee war das irgendwann egal, er torkelte mit wirrem Gesichtsausdruck in der drückenden Hitze und kippte fast um. Sein Rennen war vorbei, das dachten alle - nur einer nicht.

Alistair Brownlee, 28, legte den Arm seines benommenen Bruders Jonathan, 26, über seine Schulter, fasste ihn an der Hüfte und zog ihn einfach mit. Der Jüngere hatte kaum noch Kraft, kippte immer noch fast nach hinten um, aber den schnellen Schritten seines älteren Bruders konnte er sich nicht entziehen. Erst als ihn dieser über die Ziellinie schubste, war er erlöst - von einem der wohl dramatischsten Endspurts in der Geschichte des Triathlonsports.

Alistair und Jonathan Brownlee haben schon viele Titel gewonnen, sie sind auch schon nach vielen Rennen gemeinsam auf das Podium geklettert - zuletzt bei den Olympischen Spielen in Rio. Auch dort gab es Szenen von ihnen, die im Gedächtnis geblieben sind: Auf dem letzten Kilometer setzte sich Alistair von seinem Bruder ab, gewann nach London 2012 zum zweiten Mal Gold und brach schließlich umschlungen mit dem Silbermedaillengewinner Jonathan hinter der Ziellinie zusammen.

Für Alistair Brownlee war seine Aktion eine Selbstverständlichkeit

Am Sonntag aber blieb Jonathans Platz auf dem Podest neben dem Sieger Schoeman (1:46:50 Stunden) - der bei Olympia hinter den Brüdern Bronze gewonnen hatte - und Alistair leer. Jonathan Brownlee wurde zur Überwachung ins Krankenhaus gebracht. Während sich unter anderen Umständen bei seinem Anblick eine andere Diagnose für so einen Kontrollverlust aufdrängt, war es in diesem Fall klar: Er habe einfach zu wenig getrunken, begründete Jonathan seinen Schwächeanfall. "So hatte ich die Saison nicht beenden wollen, aber ich habe alles gegeben. Danke Alistair, deine Loyalität ist unglaublich", twitterte er vom Krankenbett aus. Für Alistair Brownlee war seine viel beachtete (und regelkonforme) Aktion gar kein so großes Ding, sondern eine Selbstverständlichkeit. "Das war eine normale menschliche Reaktion meinem Bruder gegenüber, aber ich hätte das auch für jeden anderen getan", sagte er: "Wäre Jonathan vor der Ziellinie ohne ärztliche Betreuung umgekippt, hätte das sehr gefährlich sein können."

Nach seiner Hilfsaktion aus brüderlicher Nächstenliebe empfand der mehrmalige Weltmeister aber auch Gefühle der anderen Art: "Ich wünschte, dieser Idiot hätte sich sein Rennen einfach richtig eingeteilt und gewonnen. Er hätte die letzten zwei Kilometer joggen können." Zumindest Alistairs Saisonende hätte ja auch ganz anders aussehen können. Er hätte seinen jüngeren, taumelnden Bruder den Streckenposten anvertrauen und sich gegen Schoeman durchsetzen können. Wahrscheinlich hätte er dieses Duell und somit auch das Rennen gewonnen; so aber mussten die Brownlees anderen beim Jubeln zuschauen: Schoeman freute sich über den Tagessieg, der Spanier Mario Mola über seinen ersten WM-Titel - dank Jonathans zweitem Platz reichte ihm Rang fünf dazu.

Die Brownlee-Brüder werden jetzt erst einmal eine Pause einlegen, Ski fahren und diverse Hochzeiten besuchen. Sollte Alistair seinen Bruder dann wieder torkelnd sehen, dürfte er das aber wohl ziemlich unterhaltsam finden.

© SZ vom 20.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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