Bremen:Häuptling

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Thomas Delaney hat weniger als ein Prozent der Neymar-Ablöse gekostet. Doch für Werder ist der Däne ein Schlüsselspieler - im Pokal sogar als Kapitän.

Von Jörg Marwedel

Diese Woche hat sich Werder-Trainer Alexander Nouri im Interview mit der Kreiszeitung Syke einen kleinen Scherz erlaubt. Wo er denn kürzlich hingeflogen sei, als man ihn mit Manager Frank Baumann am Hamburger Flughafen gesehen habe? "Wir waren in Paris, um Neymar umzustimmen", flunkerte er, um sogleich wieder echten Bremer Realismus zu zeigen: "Die Neymars von der Weser sind Delaney und Gondorf." Wobei Jérôme Gondorf, der Zugang von Bundesliga-Absteiger Darmstadt 98, eher der Helfer der Mittelfeldchefs Thomas Delaney und Zlatko Junuzovic ist. Und wenn man am Weserstadion das riesige Plakat entdeckt mit Thomas Delaney im Mittelpunkt, dann weiß man, an wem die Hoffnungen des SV Werder in der neuen Saison besonders hängen: an dem Dänen mit den irischen und amerikanischen Vorfahren.

Gleich zwei große Werderaner, an denen sich die Kollegen aufrichten konnten, muss Delaney als Häuptling jetzt quasi ersetzen: Kapitän Clemens Fritz, 36, der nach elf Jahren im Rauten-Trikot seine Karriere beendete - und Claudio Pizarro, 38, der nach insgesamt acht Jahren im grün-weißen Dress und 104 Bundesliga-Toren offenbar nicht mehr gut genug sein soll für die erste Liga.

Auch diese beiden Idole hatten allerdings nicht verhindern können, dass die Bremer seit 2011 ihren Ruf als Pokalspezialisten (nach dem FC Bayern sind sie mit sechs Erfolgen Zweiter in der DFB-Pokalsieger-Liste) verloren haben. Seit dem bisher letzten Finale, das sie 2010 gegen die Bayern 0:4 verloren, sind die Bremer viermal in der ersten Runde gegen Drittligisten ausgeschieden - zuletzt im vergangenen Jahr bei den Sportfreunden Lotte.

Jetzt wartet am Samstagabend wieder so ein gefährlicher Außenseiter: Zweitliga-Absteiger Würzburger Kickers. Das Spiel wird in Offenbach ausgetragen, weil die Würzburger Stadtverwaltung aus Lärmschutzgründen kein Spiel im Stadion genehmigt, das nach 19.30 Uhr beginnt. Der DFB lehnte eine Vorverlegung ab.

Der frühere Kopenhagener gilt als größter Transfer-Coup seit Özil und De Bruyne

Umso mehr hoffen die Bremer jetzt auf den Naturburschen mit der lockigen Haarpracht. Erst im Januar war Delaney für zwei Millionen Euro vom FC Kopenhagen gekommen. Das ist nicht einmal ein Prozent von jenen 222 Millionen, die Paris St. Germain für Neymar an den FC Barcelona löhnen muss. Mancher Experte sieht Delaney, 26, daher schon als größten Werder-Transfercoup seit Mesut Özil (2008) und der Leihe von Kevin De Bruyne (2012). Und weil gegen Würzburg zwei wichtige Antreiber, Junuzovic (verletzt) und Fin Bartels (gesperrt), fehlen, wird es womöglich noch mehr darauf ankommen, dass Delaney erneut vorlebt, immer 100 Prozent zu geben. So hatte Kollege Max Kruse den Linksfuß beschrieben und angefügt: "So einen haben wir gebraucht."

Es war auf jeden Fall außergewöhnlich, wie schnell der mit Champions-League- Erfahrung ausgestattete Stratege das Bremer Spiel von hinten heraus bestimmte. Zwischen einem und sechs Monaten hatte er selbst sich zum Eingewöhnen gegeben - es reichte eine einzige Partie. Schon beim Bundesliga-Einstand im Januar (1:2 gegen Dortmund) war Delaney trotz der Niederlage der Gewinner und deutete an, was sein Kopenhagener Trainer Stale Solbakken prophezeit hatte: "Er ist ein Spieler, der Werder prägen wird." Schon beim ersten Training hatte Manager Baumann gesehen, "dass er ein Führungsspieler ist".

Inzwischen beschreibt Baumann Delaney so: Er sei ein Antreiber, immer aktiv und sehr aggressiv - also genau "ein Typ für eine solche Challenge" wie den DFB- Pokal, die ja mit nur sieben Siegen zu einem großen Titel führen kann.

Der "Aggressive Leader" Delaney hat es bereits zum Vizekapitän gebracht, obwohl er, wie er selbst kritisiert, "noch zu wenig Deutsch spricht", um etwa mit Schiedsrichtern zu kommunizieren. In Würzburg wird er sich die Binde von Junuzovic überstreifen, es sei es für ihn "natürlich, diese Rolle anzunehmen", sagte er. Sicher ist, dass der zugängliche Delaney sich in Bremen wohlfühlt. Es sei "ein bisschen wie Dänemark", flachst er, einschließlich des Wetters.

Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass Thomas Delaney dauerhaft ein neuer Clemens Fritz wird. Auch er hat den Traum, irgendwann in England zu spielen. Wenn er gewollt hätte, könnte er schon dort sein, merkte er neulich an. Aber die Bundesliga schien ihm der bessere Weg zur fußballerischen Weiterentwicklung zu sein.

Auf der Insel haben sie ihn längst auf dem Schirm. Im November 2016, als er noch gar nicht in Bremen war, bot Everton den Bremern sechs Millionen Euro. Zuletzt wollte Aufsteiger Brighton and Hove Albion ihn loseisen. "Das kann ich immer noch machen", sagt Delaney, das sei derzeit nicht in seinem Kopf. Ein bisschen bangen die Bremer Fans trotzdem. Sie können es kaum erwarten, bis am 31. August das Transferfenster schließt. Erst dann wissen sie, ob ihre besten Spieler, Max Kruse und Thomas Delaney, wirklich bleiben.

© SZ vom 11.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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