Boxen:Weltmännisch in der Provinz

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Die deutschen Amateurbox-Meisterschaft in Straubing leben von einer gemütlichen Atmosphäre.

Von Johannes Kirchmeier

Die Schule hat in Bayern in dieser Woche angefangen, eigentlich wäre die Dreifachturnhalle des Johannes-Turmair-Gymnasiums in Straubing nach den Ferien also wieder das Revier sportelnder Jugendlicher. Doch die Sportgeräte sind behängt, weggesperrt oder hochgezogen. An den Kletterwänden hängen die deutsche, die bayerische und die Straubinger Fahne, die Tore befinden sich im Geräteraum und die Basketballkörbe fügen sich nahtlos in die Dachkonstruktion ein. In der Halle ist es dunkel, nur etwas Licht schafft es durch die heruntergelassenen Jalousien. Die Schüler, die eigentlich sporteln sollten, sitzen in Freistunden auf den Tribünen und schauen auf die Hallenmitte.

Dort steht, von 16 Strahlern erleuchtet, ein Boxring. Der Boxring, in dem seit Dienstag die deutschen Meisterschaften im Amateurboxen stattfinden. Und in dem an diesem Samstagabend (ab 17 Uhr, auch im Livestream unter www.box-sport-verband.de) die Finals in den zehn Gewichtsklassen steigen.

Fragt man den Präsidenten des Deutschen Box-Verbands (DBV) Jürgen Kyas, wieso ausgerechnet in der niederbayerischen 45 000-Einwohner-Stadt Straubing die deutschen Titelkämpfe stattfinden, runzelt der Dreitagebartträger mit Goldkettchen am Hals die Stirn. "Es gibt selten Städte, die so am Boxsport interessiert sind, wir haben ja fast schon ein Heimspiel hier", sagt er am Donnerstag, dem Tag der Viertelfinals. "Ich höre auch nie Klagen der Boxer wegen einer weiten Anreise aus Norddeutschland. Die freuen sich hierherzukommen."

400 Menschen sind für die Meisterschaften in die Gäubodenstadt gereist. Es ist, auch wenn es schon die zwölfte von bisher 93 Auflagen in Straubing ist, ein großes Event für die kleine Stadt. Die könnte die Teams gar nicht alle beherbergen. Das Umland hilft aus. "Es ist alles voll bei uns", sagt Hans Buchmeier, der Präsident des Boxclub Straubing. Sein Lächeln verrät, wie sehr ihm das gefällt.

Neben Buchmeier wärmen sich ein paar Boxer auf - sie sprinten, üben beim Schattenboxen oder Seilspringen. Eine Schulturnhalle ist klein. Wieder ein paar Meter weiter, direkt am Ring, stehen vier Boxer des Bundesstützpunkts Berlin wie die Daltons nebeneinander, bei 1,60 Meter beginnt die Reihe, bei 1,90 Meter hört sie auf. Nur beweglicher sind die Berliner: Sie gehen mit einem Kollegen im Ring mit, hüpfen auf dem Hallenboden und schreien Anweisungen: "Führhand", "Stabil bleiben" und "Geh drauf".

Die norddeutschen Teilnehmer betreten mit dem Ausflug nach Ostbayern Neuland - das wird auch auf der Speisekarte klar: "Fleischpflanzerl" steht da drauf. Das müssen die Damen am Essensstand, von dem der Leberkäs-, Wienerwürstel- und Essiggeruch durch die Halle zieht, erst einmal erklären. "Frikadellen", "Bulletten" oder "Fleischküchle" werden die Hackfleisch-Klößchen im Rest des Landes ja genannt, ein typisch deutsches Gericht - also prädestiniert für deutsche Meisterschaften - sind sie trotzdem. Und schmecken tun sie überall gleich.

Bei den Einzügen der Kämpfer geben sich die Straubinger weltmännischer. Charlie Puth trällert "See you again" aus den Boxen, Stromae "Alors on danse", die Lost Frequencies "Are you with me". Am Donnerstagabend bestreitet dann der Lokalmatador Edgar Walth, 24, seinen ersten Kampf - und beendet abrupt das Chart-Geplätscher. Beim Bantamgewichtler drehen die Veranstalter die Lautstärke richtig hoch, werfen die Nebelmaschine an, durch die Halle flitzen bunte Lichter aus den 16 Strahlern über dem Ring: Rammsteins "Sonne", die Lichtshow und eine klatschende Halle begleiten Walth von der Umkleidekabine zum Kampfplatz. Nach drei lockeren Runden darf der Ringsprecher "das Urtall", wie er "das Urteil" stets in schönstem Niederbayerisch ausspricht, verkünden: "Edgar Walth siegt nach Punkten."

Die Fans sind glücklich, ihr Favorit bleibt im Rennen. Walth ist in Straubing aufgewachsen, boxt für den BC in der Bundesliga. Die Stadt ist auf dem Weg, Box-Bundesstützpunkt für den süddeutschen Raum zu werden. Im Rahmen der deutschen Meisterschaften hat der BC dafür gemeinsam mit dem Straubinger Volleyball-Team FTSV und dem Eishockey-Team EHC ein Sportinternat eröffnet, in das vier Boxer eingezogen sind. "Da reden wir aber von Sportlern für Olympia 2020 oder 2024", sagt DBV-Präsident Kyas.

Jetzt zählen erst einmal die Olympischen Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro. Die deutschen Meister erhalten sich ihre Chance darauf, die Final-Verlierer sind wohl aus dem Rennen. Die Finals werden die Boxer vor 1200 Zuschauern in der vollen Turnhalle austragen, oder wie Kyas sagt: "Wie die Heringe sitzen die Zuschauer auf der Tribüne." Zumindest war es im vergangenen Jahr so. Damals fanden die deutschen Meisterschaften bereits in Straubing statt. Genauso wie auch wieder 2016. "Dann hat es sich aber mal wieder jemand anderes verdient", sagt Hans Buchmeier. "Es ist ja auch viel Arbeit für uns." Im Gespräch ist für 2017 unter anderem Köln. Es wäre der Gegenentwurf zur niederbayerischen Gemütlichkeit in Straubing.

© SZ vom 19.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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