Boxen:Trommler gegen Tänzer

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„Drama-Show“: Gennadi Golowkin (r.) bei einem seiner 703 Schläge. (Foto: Joe Camporeale/Reuters)

Der Kampf zwischen dem Kasachen Gennadi Gennadjewitsch Golowkin und dem Mexikaner Saúl Álvarez war beste Werbung für den Sport. Und doch hinterließ auch dieser Kampf ein Geschmäckle. Das lag am Urteil der Punktrichter.

Von Benedikt Warmbrunn, Las Vegas/München

Gennadi Gennadjewitsch Golowkin ist kein Mann der unnötigen Worte. Auf seine Kämpfe bereitet er sich am liebsten am Big Bear Lake in den San Bernadino Mountains vor, es gibt dort viele Karpfen und Forellen, und es gibt wenige Menschen, mit denen man sprechen müsste. In der Nacht auf Sonntag jedoch blickten Millionen auf Golowkin - genannt: GGG - er hatte gerade einen spektakulären Kampf hinter sich, das erste Box-Duell seit Jahren, in dem das Getöse im Vorfeld nicht größer war als der Sport im Ring, und er, Golowkin, hatte häufiger und härter getroffen. Er hatte seinen Gegner, Saúl Álvarez, jedoch nicht zu Boden geschlagen. Nun lehnte Golowkin in einer Ringecke, zu hören war das Urteil der Punktrichter: 118:110 für Álvarez, 115:113 für Golowkin, 114:114. Unentschieden. Golowkin hob die Augenbrauen an. Mehr machte und sagte er erst einmal nicht.

In einer anderen Ringecke lehnte Álvarez, wegen seiner rötlichen Haare genannt Canelo, der Zimtige, auch er hatte das Urteil gehört. Auch er sagte nun nichts. Er schüttelte nur den Kopf.

Golowkin punktet mit der Härte seiner Schläge, Álvarez mit Finten und mit Eleganz

Die Boxbranche hatte dieses Duell im Mittelgewicht jahrelang herbeigesehnt, die Nacht in Las Vegas sollte nicht weniger als die Wiederauferstehung einer Sportart werden, nachdem zuletzt ja gerade die lautstark beworbenen Kämpfe im Ring oft Langeweile geboten hatten, zum Beispiel Ende August das Aufeinandertreffen von Floyd Mayweather und Mixed-Martial-Arts-Kämpfer Conor McGregor. Und im Ring selbst war dieser Kampf zwischen dem Kasachen Golowkin und dem Mexikaner Álvarez ja auch beste Werbung für das Boxen gewesen. Golowkin war der Mann für die harten Einzelschläge, immer wieder hatte er seinen Gegner in die Ringseile gedrängt. Álvarez war der Mann, der fintenreich den Schlägen auswich, der sich manchmal in die Ringseile zurückzog, der dann konterte. "Das war eine wahre Drama-Show", sagte Golowkin. Und doch hinterließ auch dieser Kampf ein Geschmäckle. Das lag am Urteil der Punktrichter.

Dass der Kampf mit einem Unentschieden gewertet wurde, war dabei noch nicht einmal der Skandal. Je nachdem, worauf die Punktrichter achten, können Wertungen abweichen. Der eine schaut auf Schläge wie die von Golowkin, die im Gesicht des Gegners Wirkung hinterlassen. Der andere schaut auf die Technik, auf Eleganz; das bot Álvarez. Dass die Punktrichterin Adalaide Byrd aber nur zwei Runden für Golowkin wertete, verärgerte nicht nur im Lager des Kasachen einige; es erweckte den Verdacht, dass wieder einmal der geschützt wurde, der für mehr Zuschauer und mehr Werbeeinnahmen steht. Der Kampf endete daher mit einer Debatte, die er nicht verdient hatte.

Zwölf Runden lang hatten sich die beiden Boxer keine Pause gegönnt, teilweise drückten sie sich gegenseitig Stirn an Stirn, Handschuh an Handschuh durch den Ring. Álvarez hatte in den ersten drei Runden die besseren Aktionen, mit seiner Körperbeherrschung eines Tänzers ließ er Golowkins Fäuste oft ins Leere fliegen, und in diese Lücke hinein setzte er dann seine Schläge, am liebsten einen ansatzlosen Aufwärtshaken. "Er hat mehr Kraft als andere Boxer, denen ich bisher gegenüber stand", sagte Álvarez, 27, später über seinen acht Jahre älteren Gegner: "Aber er ist nicht das Monster, von dem jeder spricht." Sagen konnte er das nur, weil er die mittleren sechs Runden überstanden hatte.

In diesen trommelte Golowkin unnachgiebig auf den Mexikaner ein, es waren auch schwere Treffer darunter, die eigentlich nur von einem Monster kommen können. Von den 703 Schlägen des Kasachen kamen 218 ins Ziel; Álvarez traf bei 169 von 505 Versuchen. In den letzten drei Runden verließen Golowkin allerdings die Kräfte, nun war es wieder Álvarez, der aktiver wurde, er tänzelte, er traf. Für Golowkin bedeutete das Urteil dann auch eine neue Erfahrung, seine 37 Kämpfe zuvor hatte er alle gewonnen. "Mein Fokus liegt auf den Gürteln, ich bin immer noch der Champion", sagte der WM-Titelträger der Verbände WBC, WBA und IBF.

Eine Rückkampfklausel war zwar nur für den Fall eines Golowkin-Sieges vereinbart, dennoch werden die beiden wohl in der ersten Jahreshälfte 2018 wieder aufeinander treffen. Zu verlockend sind die möglichen Einnahmen, und zu verlockend ist für beide die Aussicht, vielleicht beweisen zu können, dass sie nicht auf die Punktrichter angewiesen sind. Zu verlockend ist die Aussicht auf ein Ende, das keiner zusätzlichen Worte bedarf.

© SZ vom 18.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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