Boxen:Stirn an Stirn

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Dass Felix Sturm gegen Fedor Tschudinow als erster Deutscher zum fünften Mal Weltmeister wird, verdankt er einer Eigenschaft, die er lange versteckt hat: seinem Kampfgeist.

Von Benedikt Warmbrunn, Oberhausen/München

Das Profiboxen ist auch ein Geschäft der Eitelkeiten, jeder Boxer inszeniert die eigene Geschichte, das fängt an mit dem Kampfnamen. Joe Frazier zum Beispiel nannte sich "Smokin'", weil er zuschlagen sollte, bis das Leder seiner Handschuhe qualmt. Thomas Hearns war der "Hitman", wegen seiner zahlreichen Knockouts, aber auch, weil er sich gerne kleidete wie ein Auftrags- mörder der Dreißigerjahre. Floyd Mayweather nannte sich zuletzt "Money", das war zwar richtig, niemand verdiente so viel wie er, es war daher aber auch etwas einfallslos.

Felix Sturm dagegen hat sich lange gegen einen Kampfnamen gewehrt, er fand das albern. Irgendwann merkte er aber, dass seine Leistungen im Ring an Erzählstoff verloren, er ließ sich dann kurz "Leonidas" rufen, wie der König der Spartaner. Das passte aber auch nicht wirklich, seine Zeiten als Herrscher des Mittelgewichts waren da schon vorbei. Erst jetzt, zum Ende seiner Karriere, hat er einen Bei- namen gefunden, der auch zu ihm passt. Sturm, 37, nennt sich jetzt schlicht "The Fighter". Und genau das ist er, in jüngeren Jahren bewundert für seine Technik, inzwischen: ein Kämpfer.

Ein Kämpfer, der sich jetzt sogar wieder Weltmeister nennen darf.

Am Samstagabend besiegte Sturm in Oberhausen den zuvorigen WBA-Weltmeister im Supermittelgewicht Fedor Tschudinow nach Punkten (114:114, 115:113, 115:113), es war ein enges, intensives Duell, das die Punktrichter genauso gut auch für den Russen hätten werten können; verloren zumindest hatte der Titelverteidiger nicht. Doch dass Sturm, der in den vergangenen Jahren oft uninspirierte, träge Leistungen gezeigt hatte, überhaupt mithalten konnte mit seinem neun Jahre jüngeren Gegner, das verdankte er seinem Kampfgeist, einer Eigenschaft, die er zuletzt lange versteckt hatte.

Anders als zum Beispiel bei seinem zuvorigen Auftritt im vergangenen Mai, als er im ersten Duell mit Tschudinow seltsam lethargisch, fast schon verschreckt gewirkt hatte, stand in Oberhausen wieder ein Felix Sturm im Ring, der wusste, was er machen musste, um zu gewinnen. Und der dabei auch bereit war, alle möglichen Schmerzen zu ignorieren. Von der ersten Runde an kämpfte Sturm aggressiver als zuletzt, er war beweglich, im Oberkörper, auf den Füßen, zudem zeigte er sein breites technisches Repertoire, er boxte mit der linken Hand, mit der rechten Hand, mit Geraden, mit Haken, aus allen möglichen Winkeln. Aber all das änderte wenig daran, dass er Tschudinow kaum beeindrucken konnte. Egal, wie Sturm schlug oder traf, der Russe boxte ungestört weiter, mit seinem weichen, regungslosen Gesicht eines Babys.

Tschudinows Leute zeigen dessen abgewetzte Handschuhe - für sie die des eigentlichen Gewinners

Sturm traf schon früh in diesem Duell mit seinem einstigen Spezialschlag, dem Aufwärtshaken, später erwischte er seinen Gegner auch mit einer schweren rechten Geraden. Doch die härteren Treffer gelangen dem Titelverteidiger. Der boxte sich langsam warm, erst konterte er nur kurz und trocken, in den mittleren Runden aber erhöhte Tschudinow die Frequenz. Über Sturms linken Rippen verfärbte sich die Haut bald rot, im Gesicht blutete er ab der siebten Runde, allerdings nach einem unabsichtlichen Kopfstoß. Doch der Herausforderer gab nicht auf, er stemmte sich gegen die Kraft des Jüngeren, immer wieder stand er mit diesem Stirn an Stirn, und beide verteilten Haken. "Respekt vor ihm, er ist ein starker Junge", sagte Sturm später, "das war ein knapper Kampf."

Vor diesem Rückkampf hatte Sturm offen darüber spekuliert, dass dieses Duell sein letztes sein könnte, das wiederholte er zunächst auch in der Nacht auf den Sonntag - doch das Urteil wurde so kontrovers diskutiert, dass der neue Weltmeister plötzlich anders klang. Tschudinows Leute hielten Sturm die abgenutzten Handschuhe ihres Mannes ins Gesicht, als wollten sie demonstrieren, dass diese nicht zu den Händen eines Verlierers gehören konnten. "Das Resultat ist nicht fair", sagte auch Tschudinow, "ich respektiere Felix, aber ich habe nicht verloren." Er forderte einen dritten Kampf, dann nicht mehr in Deutschland, sondern in Moskau. "Wenn ihr zahlt", sagte Sturm, wieder ganz kampfeslustig, "kommen wir. Kein Problem. Ich brauche mich für nichts zu schämen."

Zum fünften Mal ist Sturm nun Weltmeister geworden, so oft wie kein deutscher Boxer vor ihm - aufstellen konnte er diesen Rekord allerdings nur, weil er auch viermal einen Weltmeistertitel verloren hat. Er wird dennoch versuchen, diese historische Leistung für ein paar letzte lukrative Duelle zu nutzen - wobei ein dritter Kampf gegen den jungen, entschlossenen Tschudinow ausgesprochen riskant wäre. Wahrscheinlicher ist, dass doch noch das seit Jahren diskutierte Duell mit Arthur Abraham angesetzt wird, seinem großen deutschen Konkurrenten.

Dass es dazu wohl erst zum Ende beider Karrieren kommt, auch das passt zu diesem Geschäft der Eitelkeiten.

© SZ vom 22.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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