Boxen:Jetzt auch mit Hose

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Kann böse gucken: Bernard Hopkins mit Mundschutz. (Foto: Matt Rourke/AP)

Gefängnis, WM-Titel, Nestbeschmutzer, netter Onkel: Boxer Bernard Hopkins, 51, hat einen spektakulären Wandel hinter sich.

Von Jürgen Schmieder

Bernard Hopkins lächelt, so wie nur Menschen lächeln, die es ganz gut getroffen haben im Leben. Er soll über den letzten Boxkampf seiner Karriere sprechen, gegen Joe Smith am Samstag im Forum von Los Angeles, doch Hopkins philosophiert lieber über das Leben, das Universum und den ganzen Rest. "Ein Mensch kann nicht gleichzeitig nach hinten und nach vorne schauen", sagt er etwa. Oder: "Wer eine Pistole hat, aber keine Patronen, der kann die Pistole auch in den Müll werfen." Oder: "Ich konnte mir lange Zeit keine Hosen leisten, in die meine WM-Gürtel gepasst hätten."

Hopkins, 51, wirkt auf der Pressekonferenz am Mittwoch wie der Onkel auf der Hochzeitsfeier, der es sich irgendwann an der Bar gemütlich macht und den juvenilen Gästen ein paar Anekdoten und Weisheiten schenkt. Selbst der 24 Jahre jüngere und in 23 Profikämpfen erst ein Mal besiegte Kontrahent hört brav zu, weil ihm Hopkins gleich zu Beginn mitteilt: "Du darfst eines nicht vergessen, mein Junge: Bei meinem ersten Profikampf war Ronald Reagan der Präsident und du noch nicht einmal geboren." So ein Satz kann schlimmer schmerzen als ein Leberhaken.

Die Geschichte aus dem Ghetto von Philadelphia etwa: saufende Mutter, drogensüchtiger Vater. Erster Schnaps im Alter von elf Jahren, kurz darauf der erste Joint. Erster Raubüberfall mit 13, erste Stichwunde mit 14, Gefängnis mit 17. Einer wie Hopkins stirbt entweder schon als Teenager oder verbringt den Großteil seines Lebens hinter Gittern. Als er nach knapp fünf Jahren aus dem Gefängnis entlassen wird, ruft ihm der Wärter zu: "Bis in spätestens sechs Monaten!" Hopkins wird nie zurückkehren.

Er krempelt dieses Leben, das es bis dahin wirklich nicht gut mit ihm gemeint hat, komplett um: keine Straftaten mehr, kein Alkohol, keine Zigaretten, keine Drogen, nicht mal mehr Zucker. "Es ist leider so, dass einem eine harte Jugend später im Leben hilft", sagt er nun: "Ich habe gelernt, wie man überlebt." Beim Boxen überlebt der, der möglichst wenige Treffer einsteckt. Im Ring ist Hopkins ein technisch versierter Stratege, der geschickt ausweicht und seine Gegner so lange - bisweilen auch mit schmutzigen Tricks - bearbeitet, bis die nicht mehr ausweichen können. Nach einer Niederlage im ersten Profikampf gewinnt er 21 Duelle nacheinander.

Seine Geschichte vom Aufstieg enthält freilich auch ein Kapitel darüber, wie Profiboxer von Beratern betrogen werden. Hopkins verliert 1993 den Titelkampf im Mittelgewicht gegen Roy Jones junior, von der vereinbarten Kampfbörse, einer Million Dollar, bekommt er von seinem damaligen Manager Butch Lewis nur 70 000 Dollar ausbezahlt. Er verklagt Lewis, vermarktet sich selbst, wird zwei Jahre später Weltmeister und verteidigt diesen Titel 20 Mal nacheinander. Er nennt sich selbst "The Executioner", den Scharfrichter. Alle anderen nennen ihn Alien. Außenseiter.

Sie wissen nicht so recht, was sie mit einem anfangen sollen, der innerhalb des Rings nicht besonders spektakulär agiert und abseits davon als nörgelnder und klagewütiger Nestbeschmutzer auffällt. Beim Preisboxen wird nicht reich, wer oft gewinnt, sondern wer mit aufregenden Geschichten die Massen elektrisiert. Hopkins ist gefürchtet, aber nicht geliebt. Er bekommt Titel, aber kaum Geld. Er hat Gürtel, aber keine Hosen.

Früher war er Nestbeschmutzer, heute ist er der nette Onkel

Das alles ändert sich im Jahr 2004. Oscar de la Hoya, den die Boxwelt "Golden Boy" nennt, wechselt ins Mittelgewicht und initiiert einen Kampf gegen Hopkins, in dem es um sämtliche bedeutende Titel geht - und der dem Goldjungen 30 Millionen einbringt. Dem Alien immerhin zehn. Hopkins schickt de la Hoya in den Ringstaub, da ist er auch schon 39. Nach dem Kampf kauft er sich in de la Hoyas Vermarktungsfirma ein.

Das Leben meint es nun sehr gut mit Hopkins. Aus dem Querulanten wird der witzige Onkel, der 2010 den Rückkampf gegen Jones gewinnt, vier Jahre später der älteste Weltmeister in der Geschichte des Boxens wird und während der Rundenpause beim Sieg gegen Jean Pascal ein paar Liegestütze einstreut. So einem hören die Leute gerne zu, für diese Art der Unterhaltung bezahlen sie - und so einer darf auch darüber hinwegsehen, dass er auch ein paar Kämpfe verloren hat, zuletzt vor zwei Jahren gegen den Russen Sergeij Kowaljow.

Es geht am Samstag nur um die bedeutungslose internationale Halbschwergewicht-Meisterschaft des Verbandes WBC, doch Titel sind beim Preisboxen heutzutage ohnehin völlig egal. Die Leute wollen sehen, wie sich der aufgrund seiner asketischen Lebensführung noch immer äußerst geschmeidige Hopkins gegen den talentierten Aufsteiger schlägt. "Ich werde bald 52 Jahre alt, habe mehr als 60 Profikämpfe absolviert und bringe noch immer einen geraden Satz heraus - darauf bin ich am meisten stolz", sagt Hopkins.

Anders als der Onkel auf der Hochzeitsfeier weiß Hopkins sogar ziemlich genau, wann er aufhören muss. Er erzählt tolle Geschichten aus einem beeindruckenden Leben, dann sagt er: "Ich gehe jetzt heim!" Er umarmt seinen Freund und Manager de la Hoya und streckt seinem Gegner Smith die Hand entgegen. Es ist weniger ein Gruß als vielmehr die Aufforderung des Herrchens an den Hund, ihm doch bitte schön die Pfote zu reichen.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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