Boxen:Hieb gegen die Karriere

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Nicht aufgepasst in Runde elf: Marco Huck war eigentlich überlegen, doch dann traf ihn ein Schlag seines Gegners - und der technische K.o. (Foto: Elsa/AFP)

Nach dem auf traumatische Weise verlorenen WM-Titel stehen für Cruiser-Gewichtler Marco Huck die weiteren Pläne in Frage. Dennoch fordert einen Rückkampf.

Von Jürgen Schmieder, Newark/Los Angeles

Wer wissen möchte, wie ein Boxkampf unvergesslich werden kann, der sollte die Berichte über das Duell zwischen Harry Greb und Gene Tunney lesen: Bereits in der ersten Runde brach Greb die Nase seines Gegners zwei Mal und verpasste ihm zusätzlich eine klaffende Platzwunde über dem rechten Auge. Tunney jedoch gab nicht auf, er ließ sich 15 Runden lang lächelnd vom Ringrichter das Blut aus dem Gesicht wischen und hielt bis zum Ende durch. Greb gewann natürlich an diesem 23. Mai 1922, doch nur wegen Tunneys Beharrlichkeit wurde dieses Gefecht das erste, das vom Ring Magazine zum "Kampf des Jahres" erklärt wurde. Der Unterlegene war so gut, dass der Sieger über sich hinaus wachsen musste - so war das häufig bei den Kämpfen, die seitdem ausgezeichnet wurden: Max Schmeling gegen Joe Louis (1936). Rocky Marciano gegen Jersey Joe Walcott (1952). Marvin Hagler gegen Thomas Hearns (1985).

Das Duell zwischen Marco Huck und Krzysztof Glowacki am Freitagabend in Newark um die Cruisergewichts-Weltmeisterschaft des Verbandes WBO, es war ebenfalls ein unvergessliches. Genau so etwas hatte sich Huck gewünscht für seine 14. Titelverteidigung im Cruisergewicht, für seinen ersten Kampf seit der Trennung vom Sauerland-Boxstall und damit notwendigerweise auch von Trainer Ulli Wegner, für sein Vorboxen beim amerikanischen Publikum. Es war ein mitreißender, spannender, spektakulärer Kampf, bei dem Glowacki den mutigen Herausforderer mit erstaunlichen Nehmerfähigkeiten gab, der selbst nach einem deftigen Niederschlag in der sechsten Runde weiter forsch attackierte und Huck an seine Grenzen trieb.

Marco Huck wollte den Kritikern die "Mäuler stopfen" - nun muss er selbst Demut zeigen

Allerdings: Gegen Ende des elften Durchgangs, Huck führte zu diesem Zeitpunkt auf den Zetteln der Punktrichter knapp (96:93, 96:93 und 95:94), da hing nicht der polnische Herausforderer wehrlos in den Ringseilen wie ein Fliege im Spinnennetz, sondern der Titelverteidiger selbst. Huck sank dahin, Ringrichter Dave Fields bewahrte ihn durch Abbruch vor einer schlimmeren Bestrafung. Es war für Huck das schlimmstmögliche Ende eines bis dahin bestmöglichen Abends. "Ich habe einen Moment nicht aufgepasst, das hat den Kampf entschieden", sagt er einen Tag später: "Bis dahin war es eine gute Show." Er gilt nun als der Unterlegene, der den überraschenden Sieger an dessen Grenzen getrieben hatte. "In der sechsten Runde wusste ich noch nicht einmal, wo ich war - ich habe nur im Unterbewusstsein weitergemacht", sagte Glowacki danach.

"Ich muss da einige Mäuler stopfen", hatte Huck während der Vorbereitung in Las Vegas über all jene gesagt, die behaupteten, dass er sich nur unter der gestrengen Führung des kauzigen Wegner auf einen Kampf vorbereiten kann, dass ein eigener Boxstall und ein Trainingslager in der sündigen Stadt keine guten Ideen seien und dass die Gedanken an einen Kampf gegen Schwergewichts-Weltmeister Wladimir Klitschko ein Zeugnis für Größenwahn seien. Das Maul, das am Freitagabend gestopft wurde, es war das von Marco Huck. "Das tut mir unheimlich weh, ich leide mit ihm", sagte Wegner, als TV-Experte für einen Sender am Ring: "Das wird ganz, ganz schwer, da wieder rauszukommen." Freilich wird nach dieser Niederlage die komplette Karriereplanung Hucks in Frage gestellt. In vielen anderen Disziplinen muss der Besiegte eine Niederlage schnell verarbeiten, bestenfalls kann er sich bereits wenige Stunden oder Tage später rehabilitieren. Ein Boxer dagegen hat viel Zeit, er darf eigentlich nicht nachdenken, aber er muss nachdenken. Über sich. Über seine Karriere. Über sein Leben.

Ein Wechsel der Gewichtsklasse ist für Huck nach dieser Niederlage illusionär, auch Kämpfe gegen die anderen Cruisergewichts-Weltmeister Denis Lebedev (WBA) und Grogory Drodz (WBC) und Yoan Pablo Hernandez (IBF) sind eher unwahrscheinlich. Dabei hätte doch gerade Hernandez neben der sportlichen Relevanz zusätzliche Dramatik dadurch geliefert, dass er von Wegner trainiert und von Sauerland betreut wird - allein die Verhandlungen zwischen Sauerland und Huck würden eine wunderbare Reality-Show abgeben.

Ein Duell wird nicht dadurch unvergesslich, dass der eine den anderen aus dem Ring prügelt. Es wird auch nicht dadurch unvergesslich, dass einer nur ausweicht. Kein Mensch käme auf die Idee, eine der taktierenden Vorstellungen von Wladimir Klitschko oder Floyd Mayweather junior in die Liste der besten Kämpfe eines Jahres aufzunehmen. Für ein unvergessliches Duell muss der Sieger schon an seine Grenzen gehen, und der Unterlegene muss ihn dorthin treiben. Marco Huck war der Unterlegene bei diesem Kampf am Freitagabend, der in einigen Monaten vom Ring Magazine zum "Kampf des Jahres" erklärt werden könnte.

Genau deshalb muss sich Huck trotz der dritten Niederlage seiner Karriere nicht lange grämen. Er ist 30 Jahre alt, er kann seine Karriere neu planen. Er hat dem amerikanischen Publikum einen packenden Kampf gezeigt - und das liebt genau diese Dramatik: Der ein bisschen zu arrogante Held bekommt das Maul gestopft, er wird auf Normalgröße gestutzt, er steht geläutert auf und obsiegt am Ende trotz aller Widrigkeiten. Huck will deshalb noch einmal gegen den in nun 25 Profikämpfen unbesiegten Glowacki antreten: "Ich will unbedingt zeigen, dass ich der Bessere bin."

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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