Boxen:Geschichte eines Geduldigen

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Er sieht gut aus, ist sehr höflich, clever - und kann ziemlich gut boxen: Toni Kraft bringt die Voraussetzungen mit, um irgendwann ein Großer zu werden. (Foto: Stefan Bösl/imago)

Toni Kraft gewinnt die Juniorenweltmeisterschaft im Halbschwergewicht.

Von Benedikt Warmbrunn

Er sieht den Schlag von links kommen, er sieht den nächsten von rechts kommen, noch einen von unten, er sieht viele auf einmal auf sich zukommen, zu viele, um allen auszuweichen, also hält Toni Kraft seinen Kopf hin, die Miene unbewegt, er steht das jetzt durch. Und dann, nachdem er den letzten Schlag hat kommen sehen, schlägt Kraft zurück, mit links, mit rechts, von unten, es sind viele Schläge, zu viele für Abdallah Paziwapazi, er kann fast keinem ausweichen. Immer weiter schlägt Kraft, die Miene unbewegt, er wirkt, als müsse er auch das nur durchstehen, so lange, bis Paziwapazi umfällt. Paziwapazi fällt nicht.

In Unterschleißheim steigen einige Geschichten in den Ring

Kraft, 23, ist ein geduldiger Boxer, aber Geduld ist keine Eigenschaft, die einen Boxer berühmt macht. Boxer müssen eine Geschichte erzählen, sonst interessiert sich niemand für sie. Am Samstagabend in Unterschleißheim steigen einige Geschichten in den Ring, für die sich die Zuschauer begeistern. Christina Hammer zum Beispiel, die sich "Lady" nennt, weil sie die Wucht und Härte des Boxens verbinden will mit ihrer Weiblichkeit. Howik Bebraham, der sich "Der Löwe" nennt, er will der Anführer sein, mächtig, anmutig. Oder James Kraft, der jüngere Bruder von Toni, der sich seit Neuestem "007" nennt, was etwas albern ist, aber darum geht es ihm ja: Er will die Zuschauer unterhalten.

Toni Kraft dagegen hat keinen Kampfnamen, er ist einfach nur: Toni Kraft.

Es ist zunächst einmal eine gute Sache, Toni Kraft zu sein. Er sieht gut aus, ist sehr höflich, clever, er kann ziemlich gut boxen. Aber der fehlende Kampfname bedeutet auch, dass er noch nicht weiß, welche Geschichte er mit seinen Kämpfen erzählen will. Er sucht sich noch.

Am Samstag ist Kraft der letzte Boxer des Abends, es ist nach Mitternacht, als er den Ring betritt. Zuvor hat James, 19, geboxt, nach eineinhalb Minuten in der zweiten Runde hing sein Gegner, Adil Rusidi, in den Seilen. James Kraft jubelte im Nähmaschinengalopp, es war ja auch: gute Unterhaltung. Als nächstes boxte Bebraham, 25, auch er beendete den Kampf in der zweiten Runde, nach mehreren Kombinationen zu Kopf und Körper traf er Milos Janjanin mit einem Leberhaken. Bebraham hatte gezeigt, dass er das Auge für eine große Karriere hat, die Schnelligkeit, die Vielseitigkeit, er hatte gezeigt, dass er ein mächtiger Boxer werden könnte.

Den bedeutendsten Kampf hatte Hammer, 26. Sie, die Weltmeisterin des Verbandes WBO im Mittelgewicht, trat an gegen Kali Reis, die Weltmeisterin der WBC. Hammer führte den Kampf überlegen, leichtfüßig, mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie gewann, und trotz ihrer Wucht und Härte verlor sie nie die Eleganz.

Als die drei anderen Hauptdarsteller im Team von Alexander Petkovic und Nadine Rasche ihre Geschichte weitererzählt haben, bleibt allein Toni Kraft. Er boxt gegen Paziwapazi aus Tanzania um die Juniorenweltmeisterschaft der WBC im Halbschwergewicht, es ist ein Titel, der für wichtigere Meisterschaften qualifiziert. Kraft trifft gleich zu Beginn mit ein paar kräftigen Schlägen, aber sie schrecken Paziwapazi nicht ab. Dieser merkt, dass Kraft seine Stärken nur schüchtern einsetzt, also hampelt er frech herum. Er kann sich das erlauben, weil Kraft oft klammert, so gibt er seinem Gegner immer wieder Zeit für ein paar Faxen. Aber er nimmt sich selbst die Zeit für seinen eigenen Auftritt.

Erst in der siebten Runde trifft Paziwapazi Kraft ein paar Mal, es könnten die Sekunden sein, durch die der Kampf kippt. Aber in diesen Sekunden erinnert sich Kraft daran, was für ein Boxer in ihm steckt, einer, der präzise schlagen kann, der den Gegner auf dem falschen Fuß erwischt, der clever ist. Er schlägt zurück.

"Ich muss ihn heute loben", sagt sein Bruder James Kraft

Über zehn Runden, sagt Kraft nach seinem Punktsieg, sei das eine "ganz ordentliche Leistung" gewesen. Sein Bruder James sagt: "Ich muss ihn heute loben." Es bleibt weiterhin ein solider Auftritt - nicht zu vergleichen zum Beispiel mit dem von Bebraham, der sagte: "Nächstes Jahr steht was ganz Großes an, aber ich darf es nicht sagen, sonst ist mein Trainer sauer." Doch es gehört nicht viel Fantasie dazu, um herauszuhören, dass er dann um einen Titel boxen könnte, der noch wichtiger ist als der des Juniorenweltmeisters.

Toni Kraft hat nichts angekündigt, es wäre nicht sein Stil, Großes zu sprechen, bevor er Großes geleistet hat. Aber er wird geduldig auf seine Chance warten, und wenn alles so läuft wie bisher, dann wird Toni Kraft seine Geschichte schon noch finden.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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