Boxen:Der Felsbrocken rollt weiter

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Ex-Weltmeister Firar Arslan war einer der härtesten Boxer. Nun nimmt er einen letzten Anlauf auf den Titel.

Von Benedikt Warmbrunn

Boxer lassen sich die Nase platt schlagen, sie bekommen Blumenkohlohren, sie brechen sich Kiefer, Jochbein, Rippen. Sie kämpfen gegen die Schmerzen, mit den Schmerzen, für die Schmerzen; der Körper wird zum Werkzeug ihres Willens. Aber sind Boxer auch eitel?

"Natürlich geht es auch um Eitelkeiten", sagt Firat Arslan, Boxer, gebrochene Nase, mehrfach gebrochener Kiefer, mehrfach gebrochene Rippen, Kreislaufkollaps nach einem Kampf.

Arslan sitzt in einem Restaurant am Langwieder See, er bestellt eine Fleischsuppe ohne Fleisch, ein Steak mit Kartoffeln ohne Soße, dazu eine Portion Tafelspitz ohne Soße. Drei Tage nach diesem Abendessen kämpft er wieder, "und ich möchte austrainiert aussehen". Drei Tage noch, dann beginnt die letzte Phase seiner Karriere, und in dieser Phase geht es jetzt auch darum: gut auszusehen.

Firat Arslan ist 44 Jahre alt, er war Weltmeister, zumindest zwei Kämpfe lang. Er hat sich einen Ruf erarbeitet als einer der härtesten Gegner im Cruisergewicht, vielleicht sogar als einer der härtesten Gegner im Profiboxen überhaupt: ein Mann, der auf seine Kontrahenten zurollt wie ein Felsbrocken, wer ihm zu nah kommt, wird überrollt. Arslan könnte aufhören, er hätte dann eine Karriere beendet, die ihm niemand zugetraut hatte.

An diesem Samstag aber boxt Arslan in der Halle des ASV Dachau gegen den ungarischen Kampfschulenbesitzer Gyula Bozai, 41, es geht auch um seine Eitelkeit, darum, sich vor allen zu beweisen. Es geht um alles, weil es immer um alles ging, wenn Firat Arslan geboxt hat.

Arslan sagt, er möchte der älteste Weltmeister im Cruisergewicht werden, dazu der älteste europäische Weltmeister überhaupt. Er weiß, dass das nur Träume sind. Aber bisher sind all seine Träume wahr geworden. Weil er dafür gekämpft hat, mit einem Willen, der stabiler ist als jeder Kiefer. "Ich sehe mich als ein Vorbild für viele Jugendliche", sagt Arslan, "weil ich zeige, was sich mit harter Arbeit erreichen lässt."

Als er ein Kind war, wurde Arslan gehänselt, wegen seiner türkischen Herkunft. Als er ein Jugendlicher war, hat sich Arslan oft geprügelt. Er wollte dazugehören, er wollte den Respekt der anderen. Er wurde gefürchtet, doch er gehörte weiter nicht dazu. Als er ein junger Mann war, 18 Jahre alt, fing Arslan an zu boxen. Er fand, was er so lange gesucht hatte: einen Weg, um bemerkt zu werden.

Sein Wille ist stärker als jeder Kiefer

Arslan trainierte im Kleintierzüchterheim, in Squashhallen, in Kellergängen, die so eng waren, dass er nur vorwärts oder rückwärts laufen konnte, dass er nur eine Taktik lernte: den rollenden Felsbrocken. Wenn ihn Boxmanager für einen Kampf engagierten, buchten sie ihn als vermeintlichen Verlierer, sie wollten, dass ihre technisch stärkeren Boxer einen spektakulären Sieg gegen einen harten Herausforderer feiern. So wie 2005, als das Hamburger Universum-Team Arslan als Gegner für das Cruisergewichtstalent Alexander Petkovic buchte. Arslan gewann durch technischen Knockout in der siebten Runde. Petkovics Karriere verlor an Schwung, heute veranstaltet er Boxabende in München und Umgebung - unter anderem die am Samstag. Arslans Karriere fing mit diesem Sieg erst so richtig an.

Er bekam einen Vertrag bei Universum, er musste nicht mehr in Squashhallen trainieren, er wurde Weltmeister. Arslan war ganz oben. Er verlor den Titel, er hatte einen Fahrradunfall, er kollabierte bei einem Kampf, völlig dehydriert. Arslan war wieder unten, keine zweieinhalb Jahre später. Er machte ein paar kleinere Kämpfe, dann buchte ihn das Berliner Sauerland-Team für einen Kampf gegen Weltmeister Marco Huck. Sie buchten ihn als Verlierer. Arslan verlor, allerdings fast nur in den Augen der Punktrichter. Er bekam einen Rückkampf, wurde ausgeknockt, das erste Mal in seiner Karriere. Ein paar Monate später buchte Sauerland ihn für einen Kampf gegen Weltmeister Yoan Pablo Hernandez, sie buchten ihn als Verlierer. Wieder verlor Arslan, und wieder war es umstritten. "Hätte ich gegen Huck oder Hernandez gewonnen, hätte ich wahrscheinlich aufgehört", sagt Arslan. Aber er wollte sich seine Träume nicht von ein paar Punktrichtern verwehren lassen.

Mit dem Kampf gegen Bozai in Dachau, sagt Arslan, beginne "der letzte Anlauf". Er will danach mit zwei, drei Kämpfen auf sich aufmerksam machen, er will ein harter Gegner sei, und er will dabei gut aussehen, nicht wie ein gealterter Boxer. Dann will er wieder um eine WM boxen, am liebsten gegen Hernandez. "Wenn dieser Anlauf scheitert, lasse ich es. Egal, ob es gerecht oder ungerecht war."

Arslan wurden die Knochen gebrochen, er wurde betrogen, er hat so lange die hässlichen Seiten der Branche gespürt, dass ihn die Erinnerung an die kurze schöne Zeit weiter antreibt. Es ist Eitelkeit, weil er weiß, dass fast niemand gegen sich selbst so hart ist wie er. Es ist ein Streben nach Gerechtigkeit und Anerkennung. Es ist ein Kampf, jeden Tag, seit 25 Jahren, und Arslan kann ihn nicht beenden, noch nicht. Er sagt aber: "Auch ich habe meine Grenzen."

Die Kellnerin bringt die Fleischsuppe ohne Fleisch. Draußen wird es langsam dunkel.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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