Box-Weltmeister Wladimir Klitschko:Gedanklich schon in Amerika

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Jetzt fehlt nur noch der WBC-Gürtel: Wladimir Klitschko (Foto: AP)

Überraschend aktiv und ungewohnt emotional: Box-Weltmeister Wladimir Klitschko siegt gegen Kubrat Pulew in neuem Stil. Der Sauerland-Boxstall zeigt sich als schlechter Verlierer, doch Klitschko hat ohnehin etwas ganz anderes im Kopf.

Von Saskia Aleythe, Hamburg

Es gibt diverse Gründe, um kurz vor eins in der Nacht nicht mehr frisch auszusehen. Die allermeisten Menschen tun dies um diese Zeit nicht mehr, doch für Wladimir Klitschko gelten andere Gesetze. Munter und makellos sitzt der Ukrainer hinter seinen aufdrapierten Weltmeister-Gürteln, fast so, als würde er gerade für einen Werbespot posieren.

Ob er überhaupt Schläge abbekommen habe im Kampf zuvor, wird er gefragt. Der Hauch eines Schmunzelns legt sich auf sein Gesicht, er denkt nach. "Ich habe ein bisschen ein blaues Auge", sagt er. Klitschko ist ein höflicher Mensch.

Klitschko-Sieg in der Rundenkritik
:Verprügelt von einem "Mädchen"

Er nennt sich "Kobra", bezeichnete Wladimir Klitschko als "Mädchen" und wollte ihn durch den Ring scheuchen. Doch Kubrat Pulew bekommt vom Weltmeister von Beginn an Prügel - und geht zeitig K.o. Der Kampf in der Rundenkritik.

Von Saskia Aleythe

Kubrat Pulew ist da längst im Krankenhaus, in der fünften Runde hatte ihn der 38-Jährige final auf den Boden geschickt. Unterm linken Auge war längst ein Cut, dann prangte auch unter dem rechten eine riesige Delle. Verdacht auf Mittelgesichtsfraktur am rechten Jochbein und eine schwere Gehirnerschütterung - Ringarzt Stephan Bock verkündete die Bilanz des Abends aus medizinischer Sicht vom Podium aus. Dort war in dieser Nacht jede Menge Platz: Kein einziger Vertreter des unterlegenen Sauerland-Boxstalls stellte sich der Pressekonferenz.

"Traurig, dass sie das machen und schlechte Verlierer sind", kommentierte Klitschko-Manager Bernd Bönte. Noch im Ring hatte Pulew nach kurzer Regeneration wieder sprechen können und kund getan, Klitschko habe Glück gehabt, er selbst fordere beizeiten eine Revanche. "Wenn man so aussieht und mit einer Fraktur im Krankenhaus ist, da muss man nicht nach Ausreden suchen", sagte Bönte, "Wladimir und seine Vorstellung waren grandios".

Tatsächlich war das ein bemerkenswerter Abend, anders bemerkenswert als die vielen Abende, die Klitschko zuletzt mit Erfolgen hinter sich gebracht hatte. Dominant ist er seit Jahren, zumeist überfordert er seine Gegner - doch gegen Pulew hat Klitschko Qualitäten gezeigt, die in letzter Zeit kaum in seinem Repertoire aufgetaucht sind.

Kämpfe von Wladimir Klitschko sehen in der Regel so aus: Mit der linken Führhand hält er sich die meist kleineren Gegner vom Leib, wenn es doch mal zum Nahkampf kommt, stützt er sich mit dem Oberkörper auf sie - ist die Gelegenheit günstig, packt Klitschko seinen härtesten Schlag aus, der meistens zum K.o. führt. Das ist passives Boxen, nicht wirklich ansehnlich, aber höchst effizient. Zehn Jahre ist Klitschko schon ungeschlagen.

Gegen Pulew konnte er diese Taktik aber nicht strikt verfolgen: Der Bulgare war mit seinen vier Zentimetern weniger körperlich kaum unterlegen, ging beständig in den Nahkampf - und den musste Klitschko annehmen. "Manchmal muss man auch aktiver agieren, dem Gegner keinen Platz geben im Ring", erläuterte Klitschko, "deswegen gab es auch mehr Clinches, am Ende hat es sich gelohnt."

Bereits in der ersten Runde war Pulew zu Boden gegangen, sogar zweimal. Ein linker Haken hatte ihn am Kopf erwischt, dann drückte ihn Klitschko erneut mit links auf den Boden. "Ich war mir sicher, dass er nicht wieder aufsteht", sagte Klitschko zum ersten Niederschlag, "aber er hat weitergekämpft und Herz gezeigt". Standkraft und Mut, in die Offensive zu gehen, das machte den Herausforderer aus. Allerdings auch ein jämmerlich schwacher Schlag und eine grotesk offene Deckung. In der dritten Runde kam Pulew abermalls zu Fall, in der fünften dann endgültig.

Wladimir Klitschko ist ein Boxer mit Anstand, doch nach dem K.o. bahnte sich die Wut den Weg nach draußen: Er schickte ein paar ungewohnt rüde Gesten in Richtung von Pulew, garniert mit Worten, deren Bedeutung wohl sein Geheimnis bleiben. "Ich war ein bisschen emotional, dafür entschuldige ich mich", sagte Klitschko später.

Die Pulew-Truppe hatte Klitschko zuvor so provoziert wie schon lange kein Gegner mehr. "Er hat jeden Respekt vermissen lassen", fand Klitschko, "ich habe noch nie so eine Arroganz gesehen, die ein Gegner ausgestrahlt hat, dafür gibt es einen Preis, den hat er heute bezahlt." Pulew hatte zum ersten Mal einen WM-Kampf bestritten, Klitschko aber mit markigen Sprüchen belegt. Er kämpfe wie ein Mädchen, habe keinen Charakter - es waren Anschuldigungen, die Klitschko in Rage brachten.

Ungewohnt viele Emotionen und ein aktiver Boxstil: Zwei Faktoren, die vor allem beim amerikanischen Publikum gut ankommen. Ein Zufall ist es nicht, dass es nun diesen Klitschko gibt: Zum ersten Mal seit Jahren wurde der Kampf wieder vom Sender HBO live übertragen, zwei weitere Begegnungen in der Zukunft sind schon vertraglich vereinbart. "HBO hat ihn in den höchsten Tönen gelobt", berichtete Bönte stolz.

Der WBC-Gürtel ist das nächste Ziel

Klitschkos großes Ziel ist der Titel der WBC - den hatte Bruder Vitali mit seinem Karriereende abgegeben. Der Kanadier Bermane Stiverne schnappte ihn sich, er muss nun gegen Deontay Wilder aus den USA antreten, voraussichtlich Anfang 2015. Der Sieger könnte dann Klitschkos großer Gegner auf dem Weg zum letzten bedeutenden Titel werden - vermutlich in einer Arena in Amerika. Dazwischen wird es wohl noch einen anderen Kampf für den Ukrainer geben, den Gewinner aus dem Duell zwischen Dereck Chisora und Tyson Fury könnte sich Bönte vorstellen. Shannon Briggs, der am Ring in Hamburg erneut einen Titelkampf forderte, spiele aktuell keine Rolle.

Für Klitschko wird es nun ohnehin erstmal privat aufregend: Freundin Hayden Panettierre ist hochschwanger, der Ukrainer konnte den Abflug nach Amerika kaum erwarten. "Ich werde früh hinfliegen und auf das Baby warten", sagte er, "ich will auf keinen Fall verpassen, wie ein Mensch geboren wird". 38 Jahre habe er darauf gewartet, sagte er überschwänglich. Nachts um kurz vor eins noch frisch auszusehen - das wird in Zukunft auch für Wladimir Klitschko eine echte Herausforderung sein.

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