Berlin:Frei von Panik

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"Frag doch unsere blinden Stürmer": BSC-Torwart Thomas Kraft meinte damit auch den Kollegen Salomon Kalou. (Foto: imago)

Obwohl Hertha das Thema Abstieg nicht abhaken kann, geben sich die Verantwortlichen entspannt - bis auf Torwart Kraft.

Von JAVIER CÁCERES, Berlin

Es wird nun also doch etwas länger über das weitgehend überflüssige 0:0 gesprochen werden, das Hertha BSC und Eintracht Frankfurt rund 60 000 Menschen im Berliner Olympiastadion antaten; Thomas Kraft sei Dank. Denn in seinem Ärger sorgte der Torwart der Berliner für einen unerhört ehrlichen Einblick in das Seelenleben eines Bundesligaprofis, der seiner Abstiegsangst überdrüssig ist.

Warum die Hertha noch zittern müsse, wurde Kraft auf seinem Wege in die Kabine gefragt, und der Torwart formulierte eine Antwort, die Teil der Zitatensammlungen der laufenden Bundesligasaison sein wird. "Frag doch unsere blinden Stürmer", sagte Kraft.

Die Bemerkung galt vor allem dem vormaligen Champions-League-Sieger und Chelsea-Stürmer Salomon Kalou; wegen eines Auftritts aus der 57. Minute. Da vollbrachte es der freundliche Ivorer, den Ball ohne größere Not in die Hand des gegnerischen Torwarts zu lupfen. Es sei halt "nicht der Tag" gewesen, um ein Tor zu erzielen, befand Kalou. Doch nicht nur die lieben Kollegen fanden, dass die Schicksalhaftigkeit nur bedingt eine Rolle gespielt habe. Trainer Pal Dardai erkannte vielmehr auf Hochnäsigkeit und bemängelte, dass die Körpersprache der Lage nicht angemessen sei: "Wir haben Abstiegskampf, nicht Champions League." Manager Michael Preetz wiederum, einst sogar zu Nationalmannschaftsehren gekommener Bundesligastürmer, behauptete hinterher, er hätte in vergleichbarer Situation nicht zur Stilform des Hebers gegriffen, sondern lieber "seriös" abgeschlossen. Einladungen müsse man annehmen.

Andererseits weiß kaum jemand besser als die Berliner, dass man auch superpragmatisch scheitern kann. Kalou selbst hatte das in der ersten Halbzeit zwei Mal zur Aufführung gebracht, die japanische Offensivkraft Genki Haraguchi stand dem Ivorer in der 80. Minute in nichts nach. Der Ärger der Berliner über die Großzügigkeit der Arbeitskräfte aus Übersee war umso größer, als dass drei Torchancen in einem einzigen Spiel für Hertha-Verhältnisse weit wertvoller sind als für andere Menschen das Gold, das im Vatikan unter der Decke klebt.

Aufregung in der Kapitale? Am Sonntag waren 15 Fans am Trainingsplatz

Bloß: Dem Betriebsklima ist die Vergabe von drei schwarzen Punkten auf gelbem Grund natürlich eher abträglich. So gesehen, dürften Dardai und Preetz mit einiger Genugtuung registriert haben, dass ihr Blauhelmeinsatz Früchte trug: Torwart Kraft fand sich am Sonntagvormittag jedenfalls bereit, den verbalen Molotow-Cocktail auszutreten, den er mit seiner Mixed-Zone-Bemerkung in die Kabine geschleudert hatte. Er stellte sich nach dem Auslaufen den Journalisten, zieh sich selbst der Dummheit und behauptete, die Sache mit Kalou bereinigt zu haben. Er, Kraft, habe aus der Emotionalität heraus etwas gesagt, was er nun bei ruhendem Puls bereue - "das Thema ist erledigt." Eine Bestätigung Kalous für den auch von Dardai propagierten Friedensschluss ("Wir sind alle wieder Freunde") lag am Sonntag allerdings nicht vor.

Andererseits: Die paar Tage, die bis zum Saisonende fehlen, werden sie sich schon noch zusammenraufen - vorausgesetzt, sie erkennen, was für die Hertha auf dem Spiel steht. Der direkte Abstieg ist zwar rechnerisch möglich, aber kaum realistisch, der HSV müsste dafür schon 12 Tore auf Hertha gutmachen. Ein Abrutschen auf den Relegationsplatz ist bei einer nicht völlig absurden Konstellation von Resultaten aber noch drin. Überraschend ist, mit welchem Gleichmut die Kapitale der vor kurzem noch latent geretteten Hertha beiwohnt; sie ist seit sechs Spielen ohne Sieg. Am Sonntag waren 15 Fans am Trainingsplatz; am Samstag wurde das Stadion trotz Tausender Freikarten nicht voll.

Positiv betrachtet könnte man sagen, dass Berlin frei von Panik ist, auch die Mannschaft sei einigermaßen gelassen, versichert Dardai. Von Trainingslagern und Krisensitzungen hat er Abstand genommen, von Rechenübungen ebenfalls. Ihm genüge das Wissen, "dass wir alles in der eigenen Hand haben". Tatsächlich würde den Berlinern in Hoffenheim ein Punkt zum Klassenerhalt reichen. Und auch Dardai dürfte wissen, dass Hertha dafür nicht zwingend ein Tor schießen muss.

© SZ vom 18.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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