Berlin:Der eigene Feind

Lesezeit: 2 min

Hertha leidet an den Ansprüchen, die sie selbst geweckt hat.

Von Javier Cáceres, Berlin

Der Verlust ist ein peinigender Geselle, erst recht, wenn er sich bloß andeutet. Denn es ist alles andere als einfach, damit umzugehen, dass etwas, was man für greifbar hielt, ganz allmählich zu zerbröckeln droht, so wie Sand durch die Finger zu rinnen beginnt. Schon richtig, die Berliner Hertha steht auch nach dem 29. Spieltag noch auf dem dritten Tabellenplatz, das heißt: auf einem Platz, der zur Teilnahme an der Champions League berechtigt. Doch jetzt, da die Saison in ihre Schlusskurve einbiegt, verstärkt sich das Gefühl, dass Hertha dort nur noch auf Zeit steht und dass das bislang Erreichte, angefangen mit dem locker gesicherten Klassenverbleib, am Ende doch nach nichts schmecken könnte. Hertha sieht sich in den verbleibenden Saisonspielen - "fünf Endspiele", wie Salomon Kalou sagte, der Schütze zum 2:2 (78. Minute) - nicht nur fünf Mannschaften gegenüber. Sondern auch einem Phantasma namens Melancholie.

Das war einerseits absehbar. Andererseits: Hin und wieder schien Hertha in dieser Spielzeit genug Euphorie anzuhäufen, um aus Trägheit neue Siege zu erringen. Am Freitagabend kam Hertha aber gegen den abgeschlagenen Tabellenletzten Hannover 96, der zuletzt fünf Spiele in Serie verloren und Trainer Thomas Schaaf durch den U19-Coach Daniel Stendel ersetzt hatte, nur zu einem 2:2. Und konnte dabei von Glück reden.

Er könne den Begriff "Champions League" nicht mehr hören, klagte Herthas Trainer Pal Dardai anderntags, Hertha stehe nur so weit oben in der Tabelle, weil zu viele Teams zu oft gepatzt hätten. Platz fünf, sechs, sieben seien die Ziele, die realistisch seien. Da schwang ohne Frage der Wunsch mit, Druck von der Mannschaft zu nehmen, "die Situation da oben belastet die Jungs", sagte Dardai. Doch ob es hilft, die Saisonziele nach unten anzupassen?

"Egal, was passiert, wir haben schon etwas erreicht, und das lasse ich mir nicht schlecht reden", sagte Dardai, der sich vor allem daran stört, dass die Tabellensituation beim Berliner Publikum ästhetische Ansprüche weckt, die Hertha nicht immer erfüllen kann. Gegen eine personell und spielerisch revolutionierte Hannoveraner Mannschaft, die durch Artur Sobiech und Manuel Schmiedebach (18., 72.) zu Torerfolgen kam und überhaupt gefällig auftrat, vernahm Dardai Grollen von den Rängen. "Mittlerweile sind wir soweit, dass das Publikum bei einem Querpass beleidigt ist", sagte Dardai. Angesichts der anstehenden Aufgaben wiegt das fast schwerer als der Kieferhöhlenbruch von Vedad Ibisevic, der in der 3. Minute die Hertha-BSC-Führung erzielt hatte. Ibisevic wird nicht operiert, sondern konservativ behandelt, er will die letzten Saisonspiele und vor allem das Pokal-Halbfinale gegen Borussia Dortmund (20. April, 20.30 Uhr) nicht verpassen. Mit dem Zähne-Zusammenbeißen wird's eh' schwierig.

© SZ vom 11.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: