Belgien:Gelungener Bluff

Lesezeit: 3 min

Marc Wilmots erlebt eine wechselhafte, von extremer Kritik und großen Hoffnungen geprägte Zeit. Dass nun beim 3:0 über Irland Romelu Lukaku gleich zweimal trifft, bedeutet beiden viel.

Von Frank Hellmann, Bordeaux

In Deutschland wird gerne so getan, als sei Marc Wilmots in aktiven Zeiten nie etwas anderes als ein "Kampfschwein" auf Schalke gewesen. Tatsächlich hat er als einer der bekanntesten Eurofighter zwischen 1996 und 2000 und erneut von 2001 bis 2003 das königsblaue Trikot getragen. In Vergessenheit gerät oft der einjährige Abstecher zwischendrin zu Girondins Bordeaux. Als belgischer Nationaltrainer hat Wilmots nun nachträglich eine Liebeserklärung auf die Zwischenstation formuliert. "Ich habe mich in Bordeaux auf Anhieb verliebt. Vielleicht ist das bis heute eine der schönsten Städte Europas für mich", sagte er der Samstag-Ausgabe der französischen Zeitung "Sud Ouest" und streute neben seiner Vorliebe für den Wein der Region auch Erinnerungen seiner französischsprachigen Jugendzeit ein. "Bordeaux est donc content quand j'arrive!", beendete er das Gespräch: Bordeaux ist über meine Ankunft erfreut!

Der 47-Jährige ist der ursächliche Drahtzieher, dass ein EM-Mitfavorit sich 60 Kilometer entfernt vom Atlantik an der Garonne niedergelassen hat. Und seitdem der Wilmots-Mannschaft nun in Bordeaux ein zumindest in der zweiten Halbzeit überzeugendes 3:0 (0:0) gegen Irland gelang, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Aufenthalt nicht abrupt endet. Am Mittwoch genügt gegen limitierte Schweden in Nizza bereits ein Remis, und der Weltranglistenzweite wäre sicher Gruppenzweiter. Das muss beim Blick aufs Tableau nicht die schlechteste Lösung sein, denn das Achtelfinale in Toulouse könnte gegen Ungarn gehen, wenn die Magyaren die Gruppe F gewinnen. Ausgeschlossen ist dann ein Viertelfinale gegen Deutschland; gesetzt, der Weltmeister bleibt Gruppenerster.

Belgische Glücksgefühle: Trainer Marc Wilmots herzt den Doppeltorschützen Romelu Lukaku. (Foto: Emmanuel Dunand/AFP)

"Ich kann mit Kritik leben, aber manchmal wird nur kritisiert, um zu manipulieren", sagt Wilmots

Der Fußballlehrer Wilmots hätte also am Samstagabend gute Gründe gehabt, seinen inneren Frieden zu machen - und die lästige heimische, vor allem flämische Presse, mit der Wilmots in weiten Teilen über Kreuz liegt, hätte er einfach ins Leere laufen lassen können. Anfänglich hatte Wilmots sich auch beim Verhör im Stade Matmut-Atlantique in Gelassenheit versucht ("Wir gewinnen und verlieren zusammen"), doch dann genügte die Frage eines Journalisten, um ihm auf der Pressekonferenz die nächste Grundsatzschelte zu entlocken. "Ich kann mit Kritik leben, aber manchmal wird nur kritisiert, um zu manipulieren. Leute, die negativ sind, interessieren mich nicht. Leute, die kritisieren, werden nie ein glückliches Leben haben." Er wolle sich zukünftig mit Menschen umgeben, die positiv seien. "Ich möchte gesund bleiben und meine Kinder auf den richtigen Weg bringen." Da konnte einer nicht aus seiner Haut, und einiges klang danach, als sei er längst auf einer Art Abschiedstournee. Getreu dem Motto: Dann macht nach dem Turnier euren Mist doch alleine.

Wilmots argumentierte bei seiner Belehrung mit einem Faustpfand. Weniger der Kabinenbesuch von König Philippe, sondern die Solidaritätsbekundungen der Kicker spielten ihm da in die Karten: Doppeltorschütze Romelu Lukaku (48. und 70.) war nach seinem 1:0 demonstrativ zu seinem mit aufkrempelten Ärmeln am Spielfeldrand herumfuchtelnden Nationaltrainer gerannt. Der Mittelstürmer hatte der Öffentlichkeit zuvor als Streichkandidat gegolten, weil der 23-Jährige zuletzt beim Trainingsspiel nur bei den Reservisten mitmachte. "Da habe ich geblufft", richtete Wilmots im süffisanten Unterton den von ihm verachteten Medienvertretern aus, "meine Spieler waren über alles informiert." In besagter Einheit zu Täuschungszwecken setzte überdies der gegen Italien abgetauchte Kevin De Bruyne aus, der gegen Irland - genau wie Eden Hazard - sein gewaltiges Potenzial endlich gewinnbringend einsetzte. Beide glänzten als Vorbereiter für Lukaku, dessen Vater Roger zuvor öffentlich in Richtung Wilmots ausgerichtet hatte: "Romelu ist ein Typ, der sich von seinem Trainer respektiert fühlen muss."

Axel Witsel (links) wuchtet den Ball zum 2:0 ins Netz. (Foto: Georges Gobet/AFP)

Nun klappt es offenbar mit dem Vertrauensverhältnis der beiden. Im Grunde ging für den kritisierten Trainer fast alles auf. Der in die Startelf gerückte Rechtsverteidiger Thomas Meunier flankte beim 2:0 punktgenau auf Axel Witsel (61.), der mit seinem neuen Mittelfeldpartner Mousa Dembélé so stark auftrumpfte, dass Witsel als "Man of the match" ausgezeichnet wurde. Der Wuschelkopf fasste die turbulenten Tage bei den Roten Teufeln hernach recht pragmatisch zusammen: "Kritik ist ein Teil des Fußballs. Aber manchmal ändern sich die Dinge sehr schnell." Aus Hass wird rasch wieder Liebe. Umgekehrt gilt das natürlich auch: Sein Coach hat bei der EM jetzt binnen kürzester Zeit beide Stimmungslagen bedient.

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: