Basketball:Wie Straßenköter

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Mit einem Rebound entscheidet Argentiniens Manu Ginobili (r.) die Partie und wird damit zum Helden des Spiels. (Foto: Mark Ralston/AFP)

Die Rivalität zwischen Brasilianern und Argentiniern ist der Treibstoff der Spiele. Über ein denkwürdiges Duell, das einen argentinischen Helden hervorbringt.

Von Jürgen Schmieder

Es dauerte wahrlich nicht lange, dann war das mit der inszenierten Freundschaft auch schon wieder vorbei. Noch nicht einmal zwei Minuten waren gespielt bei der Basketballpartie zwischen Brasilien und Argentinien, da lagen zwei Akteure zwischen den Zuschauern hinter dem Korb und kämpften um den Ball wie zwei Straßenköter um einen leckeren Knochen. Das Publikum johlte, es jubelte, es verlangte nach mehr solcher Szenen. Dass die Mannschaften zuvor jeweils mit der Nationalflagge des Gegners in die Halle marschiert waren ("Damit Brasilianer Argentinier umarmen und Argentinier Brasilianer", wie Brasiliens Sportchef Luis Lima die angeordnete Aktion beschrieb), das war zwar eine nette Geste, letztlich aber so effektiv wie eine Mutter, die ihrem sechs Jahre alten Sohn einen Hammer in die Hand drückt und sagt: "Aber nichts kaputt machen, gell?"

Die sportliche, vor allem auf Fußball begründete Rivalität zwischen beiden Nationen ist bekannt - und auch die Tradition, dass sie auf den Tribünen bisweilen noch leidenschaftlicher gezeigt wird als auf dem Spielfeld. So ist das auch bei den Wettkämpfen in Rio, für die sich die Gastgeber vor allem dann begeistern, wenn entweder ein heimischer Akteur beteiligt ist oder einer aus Argentinien. Bei allen anderen Ereignissen verhalten sich die Brasilianer eher, sagen wir, ganz unbrasilianisch zurückhaltend. "Die Brasilianer lieben es, die Argentinier zu hassen. Und die Argentinier hassen es, die Brasilianer zu lieben", sagt der Soziologe Pablo Alabarces dazu.

Brasilianer jubeln für Argentiniens Kontrahenten

Es hatte zwischen den beiden Nationen bereits drei Begegnungen in Mannschaftssportarten gegeben vor diesem Basketballspiel: Die Argentinier gewannen beim Rugby (31:0), die Brasilianer beim Volleyball (3:0) und Beachvolleyball (2:0). Die Ergebnisse allerdings waren deutlich genug, dass es bei durchaus witzigen Schmähgesängen blieb. Die Argentinier stimmen das Liedchen Decime qué se siente mit der Textzeile "Maradona ist besser als Pelé" an, die Brasilianer kontern mit einem Countdown von 23 abwärts und einem Geburtstagsständchen - weil die Nachbarn im Fußball seit 23 Jahren auf einen Titel warten.

Es gibt drei Fan-Trends bei diesen Olympischen Spielen: Die Brasilianer feuern nicht nur ihre eigenen Sportler an, sie buhen auch fröhlich gegen deren Kontrahenten und jeden einzelnen Kampfrichter, der nicht stets die Bestnote gibt. Sie halten (wenn kein Brasilianer oder Argentinier dabei ist) stets zum Außenseiter, was etwa die deutschen Fußballer und Hockeyspieler recht schnell bemerkten. Und sie halten immer zum Gegner eines Argentiniers - das ist wichtiger als die Begeisterung für Außenseiter. Also: Wenn der Argentinier Juan Martin Del Potro gegen den weltbesten Tennisspieler Novak Djokovic kämpft, dann hält der Brasilianer zu Djokovic.

Die Basketballer liefern die packendsten Szenen der Spiele bislang

Das ist auch der Grund für die bislang einzige wirkliche unschöne Szene bei Olympia: Bei der Partie von Del Potro feuerte ein brasilianischer Fan dessen Gegner Joao Sousa (Portugal) an und fing sich dafür von einem argentinischen Anhänger eine Ohrfeige ein.

Nun also dieses Basketballspiel, bei dem es um den Einzug ins Viertelfinale und um das Vermeiden eines Duells mit den Amerikanern in dieser Runde ging. Es ging aber um viel mehr bei diesem Spiel, das die bislang packendsten und dramatischsten Momente bei diesen Olympischen Spielen lieferte und nicht nur den Zuschauern in der Halle noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Natürlich prügelt bei so einer Partie der eine den anderen nicht aus der Halle. Damit sich die Menschen auch in vielen Jahren noch daran erinnern und der Sieger Schmähgesänge auf den Verlierer komponieren darf, braucht es dramatische Momente wie jenen, als der Argentinier Manu Ginobili nach einer grandiosen Aufholjagd seiner Mannschaft verwarf, sein Kollege Andres Nocioni den Rebound packte, nach außen lief und 3,9 Sekunden vor dem Ende der regulären Spielzeit mit einem Drei-Punkte-Wurf ausglich.

Es war ein Duell, das am Ende einen Helden brauchte

Der Ball übrigens, er sprang drei Mal an den Ring und berührte gar das Plexiglas dahinter, bevor er einsah, dass so eine Partie nur in der Verlängerung entschieden werden darf. Dieser Ball, er wusste dann beim Wurf von Ginobili am Ende der ersten Zusatzzeit natürlich, dass er diesmal vom Ring nach außen prallen musste für eine zweite Verlängerung.

So ein Duell, es braucht am Ende einen Helden, den die Menschen irgendwann besingen werden als den, der besser ist als alle Einwohner des Nachbarlandes zusammen. Es war nicht Andres Nocioni, der acht von zwölf Drei-Punkte-Würfen versenkte. Es war Manu Ginobili, der 39 Jahre alte Aufbauspieler der San Antonio Spurs, der in seiner NBA-Karriere bislang gefühlte 0,0 Rebounds pro Partie schaffte (in Wirklichkeit waren es 4,2): Er holte sich drei Sekunden vor dem Ende einen Offensivrebound und versenkte nach dem Foul beide Freiwürfe zum 111:107-Endstand.

Es war eine grandiose, eine wahnsinnige, vor allem aber stets faire Partie. Der kleine Junge hämmerte fröhlich auf die Wand ein, doch er machte nichts kaputt. Ganz im Gegenteil: Er begeisterte jeden, der zusehen durfte bei diesem olympischen Ereignis, das in Erinnerung bleiben dürfte.

© SZ vom 14.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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