Basketball:König in neuer Rolle

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Immer mehr Dirigent statt Alleinunterhalter: LeBron James (l.) von den Cleveland Cavaliers, hier umringt von Torontos DeMarre Carroll (r.) und Bismack Biyombo. (Foto: Mark Blinch/AFP)

LeBron James erreicht zum sechsten Mal in Serie die NBA-Finals - auch deshalb, weil er sich merklich verändert hat.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

LeBron James hat ein neues Lieblingslied. Er hat es in dieser Saison als Verantwortlicher für die Musik in der Umkleidekabine der Cleveland Cavaliers hin und wieder aufgelegt - gerne in dem Moment, in dem nach Partien die Journalisten hereingelassen werden. Auch am vergangenen Mittwoch dröhnte dieser 44 Jahre alte Song von The O'Jays aus den Boxen. Er heißt "Back Stabbers" und enthält Textzeilen wie: "Sie lachen dir ins Gesicht, dabei wollen sie nur deinen Platz haben." Oder: "Ich wünschte, sie würden ihre Messer aus meinem Rücken ziehen." Oder: "Dreckige Bastarde."

Es braucht kein Studium der Psychologie, um diese Botschaft zu verstehen; die kapiert selbst ein Journalist und kann sie nach draußen tragen in die Welt: Die "Back Stabbers", das sind für James all jene, die seine grandiosen Leistungen in den vergangenen 13 Jahren nicht gebührend feiern. Da fühlt sich einer missverstanden, nicht genug gewürdigt von eben jenen Experten, die in dieser Saison zum ersten Mal in der Geschichte der nordamerikanischen Basketballliga NBA einen Akteur ohne Gegenstimme zum wertvollsten Spieler gewählt haben. Nur war das nicht er, LeBron James - sondern Stephen Curry, der kleine Zauberer aus Oakland, von dem sie nebenbei auch noch behaupten, dass er nicht nur der spektakulärste Akteur gewesen ist, sondern mit seiner Spielweise sogar die komplette Sportart revolutioniert hat.

James fühlt sich nicht genug respektiert

Dabei steht James nun, nach dem 113:87-Erfolg bei den Toronto Raptors am Freitagabend, zum sechsten Mal nacheinander in der NBA-Finalserie. Das hat seit exakt 50 Jahren niemand mehr geschafft - und überhaupt schafften das nur sieben Mitglieder der Boston Celtics, die in den 1960er Jahren die NBA so dominiert haben wie der FC Bayern derzeit die Bundesliga. Direkt nach der Partie beantwortete er routiniert die Fragen der Reporterin Doris Burke, er lobte seine Kollegen und die gegnerischen Fans. Dann fragte Burke nach eben dieser sechsten Finalserie hintereinander. James stockte, er kämpfte mit den Tränen, seine Stimme überschlug sich, als er sagte: "Ich dachte, dass ich jede Frage schon gehört habe - aber jetzt weiß ich nicht, was ich sagen soll. Das ist gerade sehr emotional für mich."

Dieser Moment nach dem Finale der Eastern Conference, dieses Lied in der Umkleidekabine und das Auftreten von James in diesen Playoffs verdeutlichen, dass es ihm um mehr geht als nur um den dritten Titel seiner Karriere und den ersten in seinem Heimat-Bundesstaat Ohio. James, 31, fühlt seine Laufbahn bislang nicht ausreichend respektiert - was zunächst einmal natürlich an ihm selbst liegt.

James ist einer, der sich bereits als der Auserwählte, der Größte aller Zeiten und als König bezeichnet hat. Der in seinem Tun mehr sieht als nur das Ziel, Basketballspiele zu gewinnen - seiner Rückkehr nach Cleveland 2014 etwa nach vier Jahren in Miami (mit vier Finalteilnahmen und zwei Titeln) maß er gesellschaftliche Bedeutung bei. Vor Kurzem hat er einen Vertrag mit dem Sportartikelhersteller Nike unterzeichnet, der bis an sein Lebensende gilt und ihm mehr als eine Milliarde Dollar einbringen dürfte. Natürlich wird so einer anders bewertet als einer, der hin und wieder einen Ball in den Korb wirft.

Was klappt besser: Team-Basketball oder Star-Basketball?

Die Wandlung von James begann vor exakt einem Jahr. James hatte mit den Cavaliers die Finalserie gegen die Golden State Warriors erreicht, zuvor jedoch hatten sich die prägenden Mitspieler Kevin Love und Kyrie Irving verletzt. Hätte man ein Bild dieser sechs Spiele zeichnen müssen, dann wäre es eines gewesen, auf dem James im Hulk-Kostüm die verbliebenen Kollegen auf seine kräftigen Schultern packt und dem Gegner wild entgegen stürmt. Natürlich wurde er für seine Herkules-Leistungen gelobt, dennoch hieß es am Ende: Guckt mal her, Team-Basketball setzt sich am Ende dann doch gegen den besten Einzelspieler der Welt durch.

"Seit Beginn meiner Karriere werde ich dazu aufgefordert, in engen Spielen die Initiative zu übernehmen", sagte er in dieser Woche: "Ich dachte lange Zeit, dass das bedeutet, in entscheidenden Momenten den Ball zu nehmen, selbst zum Korb zu ziehen und abzuschließen. Es kann aber auch andere Dinge bedeuten - vor allem jene, die hinterher in keiner Statistik vermerkt sind."

Sehr gut war ihm nicht mehr gut genug

James hat, wenn man so möchte, in dieser Saison die Initiative bei den Cavaliers ergriffen. Er war im Januar nicht unbeteiligt daran, dass Trainer David Blatt trotz der besten Bilanz der Eastern Conference durch Tyronn Lue ersetzt wurde. Sehr gut war nicht gut genug - genau das erklärte er auch Love und Irving, die nach guten Leistungen zu schnell zufrieden und nach schlechten Vorstellungen zu schnell verunsichert waren. "Er hat mich angestachelt, dann aber auch wieder beruhigt und gesagt, dass niemand immun ist gegen schwächere Phasen", sagt Love über James: "Er verhält sich so, dass man ihn keinesfalls enttäuschen möchte."

Persönlichen Statistiken zufolge (25,3 Punkte pro Partie, dazu 7,4 Rebounds und 6,8 Zuspiele) verläuft die Saison von James für dessen Verhältnisse durchschnittlich - was wieder einmal verdeutlicht, welch großer Quatsch solche Statistiken bei oberflächlicher Betrachtung sein können. James hat diese Mannschaft mit altruistischer Spielweise erneut ins NBA-Finale geführt, die Bilanz der Cavaliers in den Playoffs: zwölf Siege und nur zwei Niederlagen, als sie die Raptors nach 2:0-Führung ein wenig unterschätzten.

"Wir können noch besser spielen", sagte James nach der Partie, bei der er zum ersten Mal in dieser Runde mehr als 30 Punkte erzielt hatte: "Wir müssen beweisen, dass wir diesen Titel wirklich verdienen." Der Gegner wird gerade zwischen den Golden State Warriors und Oklahoma City Thunder ermittelt. "Ich freue mich, dass Kyrie und Kevin dann endlich dabei sein werden", sagt James. Er weiß, dass er diesmal kein Alleinunterhalter sein muss, sondern Dirigent eines funktionierenden Ensembles. In dieser Rolle gefällt er sich ziemlich gut - und nur ganz törichte "Back Stabber" werden behaupten, dass er darin derzeit nicht der Beste der Welt ist.

© SZ vom 29.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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