Basketball:Endlich angekommen

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Schnell und groß war Leon Radosevic früh – und dribbeln kann Bambergs Center heute auch. (Foto: Louisa Gouliamaki/AFP)

Leon Radosevic floh als Kind vor dem Balkankrieg und war als Basketballprofi lange auf der Suche nach einer Heimat - bis er nach Bamberg wechselte.

Von Matthias Schmid

Leon Radosevic kommt ein paar Minuten zu spät. Er war vorher noch beim Zahnarzt. Das dauert meistens länger, als einem lieb sein kann. Er setzt sich in der Arena auf einen Stuhl, wo während der Spiele von Brose Bamberg normalerweise die Journalisten Platz nehmen. Der Basketballer schafft es gar nicht, seine Jacke auszuziehen, weil er gleich über ein Thema spricht, das ihn bewegt.

Es geht diesmal nicht vorrangig um seinen Sport, nicht um Sieg oder Niederlage, um die sportliche Krise des deutschen Meisters Bamberg, sondern um seine Flucht während des Balkankrieges nach Deutschland zu Beginn der Neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts und darüber wie er im Sommer vergangenen Jahres schließlich den deutschen Pass überreicht bekommen hat. Das Jahr 2017 wird er so schnell nicht vergessen, weil er nach einer langen, unsteten Reise endlich bei sich angekommen ist.

Am 23. Juli 2017 erhielt der gebürtige Kroate Radosevic bei einer kleinen Feier im Bamberger Rathaus seinen neuen deutschen Pass aus den Händen des Oberbürgermeisters Andreas Starke überreicht. "Ich war sehr glücklich, weil sich ein Kreis für mich geschlossen hat", sagt Radosevic. Doch der Reihe nach.

Das Jahr 2017 war deshalb auch so emotional, weil er auch wieder Heidenheim an der Brenz besuchte, das kleine Städtchen am nordöstlichen Ende der Schwäbischen Alb, nahe der Bayrischen Grenze. Nach einem Spiel in Ulm war er mit seinem Vater und seinem Cousin nach Heidenheim gefahren, sie haben dort bei der Tante eine Nacht verbracht. "Die Erinnerungen", erzählt der 27-Jährige waren sofort wieder präsent. Die Wohnung, in der mit seiner Familie 1991 eine neue Heimstätte fand, die Straße auf der mit den anderen Kindern spielte. "Im Kindergarten", sagt Radosevic plötzlich auf Deutsch, um im nächsten Moment wieder ins Englische zu wechseln, "bin ich nie gewesen." Deutsch hatte er trotzdem gesprochen, er hat es auf der Straße gelernt oder am Fernseher, wenn er sich "Die Simpsons" anschaute.

Unmittelbar nach der Flucht hatte Radosevic gar nicht gesprochen. Nicht weil er angesichts der Bomben in Kroatien und der Entführung seines Vaters im Balkenkrieg traumatisiert gewesen wäre, er war noch zu jung, ein Baby, als seine Mutter und sein älterer Bruder sich nach Deutschland unversehrt zur Schwester seines Vaters durchschlagen konnten. Gerade ein Jahr alt. "An die Flucht habe ich überhaupt keine Erinnerungen mehr", sagt Radosevic heute, er kennt die Einzelheiten auch nur aus Erzählungen. Er spricht nun langsam, macht immer wieder Pausen, es arbeitet ihn ihm, denn das, was er erzählt, geht ihm noch immer nahe. Sein Vater war von den Serben verschleppt und in ein Lager eingesperrt worden, seine Mutter floh daraufhin mit ihren beiden Kindern vor den Bomben und Granaten, die auch ihr Haus in Sisak vollständig zerstört hatten.

In Heidenheim mussten sie dann zwei-, dreimal umziehen, bis sie eine eigene Wohnung fanden. Nach sechs Monaten war der Vater nachgekommen. Er hatte sich mit einem Freund aus der serbischen Gefangenschaft befreien können. "In Deutschland haben wir schnell viele Freunde gefunden und haben uns wohl gefühlt", erzählt Radosevic. Vier Jahre verbrachten sie dort, bevor sie wieder nach Kroatien übersiedelten. Seine Eltern hatten sich nach langem Hin und Her schließlich für eine Rückkehr in die Heimat entschieden, als sie von anderen befreundeten Kroaten hörten, dass sie ebenfalls nach Hause aufbrechen werden, um ihr Haus wieder aufzubauen. "Vor allem meinem Bruder ist es schwergefallen, Deutschland zu verlassen", sagt Radosevic, er ging zur Schule und konnte die deutsche Grammatik besser als die kroatische."

Er selber fand sich schnell in Kroatien zurecht, das für ihn eine fremde Welt war. Er hatte keine Erinnerungen an das Land, aus dem er und seine Familie während des Balkankrieges hatte fliehen müssen. "Ich habe dort nichts vermisst und eine schöne Kindheit erlebt", sagt er im Rückblick. Radosevic vertrieb sich die Zeit vor allem mit Fußball, er kickte so oft es ging. Irgendwann verbot ihm das aber sein Bruder, "weil ich nur Fußball im Kopf hatte und meine Noten in der Schule immer schlechter wurden." Radosevic begann mit 13 Jahren Basketball zu spielen, weil ihn ein Nachbar gefragt hatte, ob er ihm zum Training begleiten möchte. Am Anfang war das nur ein spaßiger Zeitvertreib, aber als ihn irgendwann zwei Männer ansprachen und ihn zu einem Training zum Spitzenklub Cibona Zagreb einluden, wurden daraus ernst. Radosevic war schnell und groß, "dribbeln konnte ich aber überhaupt nicht", erinnert er sich, deshalb hatte er sich zunächst auch über das Interesse gewundert. Aber er war sehr ehrgeizig und trainierte fortan dreimal am Tag.

Mit 16 Jahren war er so gut geworden, dass er schon in der ersten Mannschaft hätte spielen können. Aber seine Mutter hatte etwas dagegen, sie verlangte von ihm, erst einmal die Schule zu beenden. Mit 18 Jahren gehörte er dann zu den Schlüsselspielern im Team und gewann 2010 mit Cibona das Double aus Meisterschaft und Pokal. Nach finanziellen Problemen verließen Bojan Bogdanović, der heute in der NBA für die Indiana Pacers spielt, und Radosevic ein Jahr später den Klub. Er wechselte zu Armani Mailand, wo er sich aber einsam und missverstanden fühlte, weil sie glaubten, dass er Verletzungen nur vortäuschen würden. Er zog daraufhin auf Leihbasis zu Rytas Vilnius weiter. In Litauen spielte der 2,09 Meter große Center in der Euroleague und gewann auch wieder sein Selbstvertrauen zurück. Mailand wollte ihn daraufhin zurück, aber glücklich wurde er dort nicht mehr. Nach Deutschland wollte er aber auch nicht, er hatte ein Angebot von Alba Berlin vorliegen. "Ich wollte überall hin, nur nicht in die Bundesliga, weil ich keine Mannschaft außer Bamberg kannte", erzählt Radosivc. Erst als der damalige Trainer Sasa Obradovic ihn anrief und Kollegen ihm zu einem Wechsel rieten, weil man in Berlin pünktlich sein Gehalt bekommen würde, willigte er ein. "Zufrieden war ich damit aber nicht."

In den ersten Wochen merkte Radosevic aber schnell, dass es die richtige Entscheidung war. Plötzlich war alles wieder präsent, die deutsche Sprache, die Erinnerungen an Heidenheim und das Leben nach der Flucht. "Ich hatte richtige Flashbacks und fühlte mich sofort wohl." Das wirkte sich auch auf seine sportlichen Leistungen aus, mit Alba gewann er im ersten Jahr den Pokal und im zweiten spielte er in der Euroleague so gut, dass ihn sich Alba nicht mehr leisten konnte. Er schloss sich im Sommer 2015 zunächst Fenerbahce Istanbul an, bevor er nach zwei Monaten zu Brose Bamberg wechselte. Seinen Vater und seinen Bruder machten seine Jobs ins Deutschland noch glücklicher als ihn selbst. Sie waren über die Sommermonate jedes Jahr nach Heidenheim zurückgekehrt, um in Deutschland beim Umzugsunternehmen des Cousins zusätzliches Geld zu verdienen.

Sie hatten Leon auch schon früher darauf aufmerksam gemacht, sich nach den Voraussetzungen für die deutsche Staatsbürgerschaft zu erkundigen. In Bamberg konkretisieren sich dann die Pläne, "aber die schwierigste Hürde war die Sprache", sagte Radosevic. Er verstand zwar alles, und konnte auch Briefe schreiben, aber er tat sich sehr schwer mit dem Sprechen. Erst eine Operation im ersten Jahr erlaubte ihm, sich intensiver mit dem Deutschen auseinanderzusetzen. Jeder Tag übte er mit einem Lehrer, eher sich an den Einbürgerungstest herantraute. Seine Bedenken waren allerdings unbegründet, er bestand die Prüfung mit einer 96-prozentigen Erfolgsquote.

Am 23. Juli vergangenen Jahres erhielt er dann bei einer kleinen Feier im Bamberger Rathaus seinen neuen Pass aus den Händen des Oberbürgermeisters Andreas Starke überreicht. Mit seiner Frau und seinem einjährigen Sohn kann er sich vorstellen, länger in Bamberg zu bleiben. Eineinhalb Jahre läuft noch sein Vertrag bei Brose. Er hat das erste Mal in seinem Leben als Basketballprofi das Gefühl, angekommen zu sein. "Bamberg fühlt sich für uns wie Heimat an und nicht wie eine Zwischenstation", schwärmt Radosevic. Nur seine Eltern und seine Geschwister vermisst er. "Ich bin ein Familienmensch", sagt er. Vor allem nach allem, was er in seiner Kindheit erlebt hat.

© SZ vom 13.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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