Basketball:Dem Fiasko entkommen

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Die Europameisterschaft 2015 weckt Erinnerungen an den deutschen EM-Triumph von 1993.

Von Joachim Mölter, Berlin

Über Island wissen die deutschen Basketballer viel, über Estland nahezu nichts. Island, am Samstag (15 Uhr/ZDF) in der Arena am Berliner Ostbahnhof erster Gegner der deutschen Auswahl bei der Europameisterschaft, ist das wohl schwächste Team des Turniers, trotzdem hat sich Bundestrainer Chris Fleming gewissenhaft informiert. "Die Spieler sind klein", nur drei messen zwei Meter oder mehr, referierte er, "aber sie werfen sehr gut. Wir müssen ihnen die Dreier wegnehmen." Dirk Nowitzki kennt sogar Islands Spielmacher Jon Stefansson, weil der mal ein kurzes Gastspiel bei den Dallas Mavericks gab, "aber sonst keinen", wie er zugibt. Nowitzki weiß zudem, dass die kleinen Isländer "sehr unorthodox" spielen: "Solche Teams sind manchmal unangenehm, gerade im ersten Spiel."

Kurzum: Island erscheint als ähnlich unbequemer Auftaktgegner wie es Estland gewesen ist im Sommer 1993, als zuletzt eine Basketball-EM in Deutschland stattfand. Auch damals trug die Auswahl des Deutschen Basketball Bundes ihre Gruppenspiele in Berlin aus, in der inzwischen abgerissenen Deutschlandhalle startete sie gegen die erstmals seit 1939 bei einer EM teilnehmenden Esten mit einer Niederlage, 103:113 (44:49). Dabei prasselten 15 Dreier in den deutschen Korb, darunter neun eines gewissen Aivar Kuusmaa, der das Spiel seines Lebens machte, 30 Punkte erzielte und gemeinsam mit Rauno Pekha (23, davon drei Dreier) den Gastgebern fast das Turnier vermasselt hätte. Zumal nur 3900 Zuschauer in die Halle kamen - und die pfiffen das Heimteam auch noch aus. Die Veranstaltung drohte, ein Fiasko zu werden.

Dass die Heim-EM '93 bis heute unvergessen ist, liegt aber daran, dass die DBB-Auswahl damals dann doch zum ersten und einzigen Mal den Titel gewann. Im Gedächtnis sind die Bilder, wie der diesen März verstorbene Chris Welp im Finale gegen Russland den entscheidenden Freiwurf zum 71:70 versenkt, wie die Spieler in der Münchner Olympiahalle ihren Trainer Svetislav Pesic in die Luft werfen.

Auch Heiko Schaffartzik erinnert sich an die EM 1993, der Co-Kapitän des aktuellen Teams ist in Berlin geboren und aufgewachsen, er war damals neun Jahre alt, sein Vater war selbst Basketballer, "aber ich habe kein Spiel live gesehen", sagt er: "Wir waren im Urlaub in Dänemark." Von den Gruppenspielen, in denen sich die Deutschen als Vierter in die K.o.-Runde wurstelten, hat er dort nichts mitbekommen, "das Viertel- und das Halbfinale habe ich am Radio gehört", erzählt er, "das Finale dann auf Eurosport gesehen."

Zum ersten und bislang einzigen Mal: Deutschlands Basketballer (links unten Trainer Svetislav Pesic) werden 1993 in München Europameister. (Foto: imago/Horstmüller)

Dirk Nowitzki weiß von der Vorrunde auch nichts mehr, wie er zugibt, aber er war live beim Endspiel. Nach den Viertel- und Halbfinalerfolgen über Spanien (79:77 nach Verlängerung) und Griechenland (76:73) charterten sie in Würzburg kurzfristig einen Bus; mit seiner Schwester, seinem Cousin und einigen Freunden düste der damals 15-Jährige nach München. "Das war Wahnsinn", schwärmt er noch heute, "eine Super-Atmosphäre."

Aus heutiger Sicht mag es erstaunen, dass es seinerzeit noch Final-Karten gab. Aber 1993 war Basketball in Deutschland keine große Sache: In Berlin war die 8000 Menschen fassende Deutschlandhalle meist nur etwas mehr als halbvoll, selbst das Finale in München war mit 10 800 Zuschauern nicht ausverkauft. Das ist 2015 anders, die 12 500 Tickets für die fünf Vorrunden-Heimspiele der Deutschen sind längst weg. Dieses Interesse liegt natürlich daran, dass dieses Turnier wohl das letzte ist, bei dem man den 37 Jahre alten Dirk Nowitzki zu sehen kriegt, Deutschlands besten Basketballer ( ). Sein Vorgänger Detlef Schrempf, damals 30 und einziger Deutscher in der US-Profiliga NBA, hatte 1993 keine Lust mehr auf Nationalmannschaft gehabt.

Schrempf war aber der Einzige, der fehlte, auch das ist diesmal anders: Bundestrainer Fleming muss aus diversen Gründen auf ein halbes Dutzend Akteure verzichten, die er gern dabei gehabt hätte. Trotzdem sagt Svetislav Pesic, inzwischen Coach beim FC Bayern München: "Ich glaube, dass diese Mannschaft vom Potenzial und der Qualität vergleichbar ist mit meiner von 1993."

Es gibt ja Parallelen, die dem Team von 2015 Mut machen können: Geht man nach der Papierform, wird es sich in seiner Vorrundengruppe mit den Basketball-Großmächten Serbien, Spanien, Italien, Türkei wohl auch diesmal allenfalls als Vierter in die K.o.-Runde wursteln und dort dann als Außenseiter auf den EM-Favoriten treffen, auf Frankreich. "In einem K.o.-Spiel ist dann alles möglich", weiß Nowitzki.

Die Esten sind übrigens auch wieder dabei bei dieser EM. Die Vorrunde des Turniers wird in vier Ländern ausgetragen, in Frankreich mit dem Spielort Montpellier, in Kroatien (Zagreb), Lettland (Riga) und eben Deutschland mit Berlin. Die Esten treten zunächst in Riga an, ein Wiedersehen mit den Deutschen gibt es frühestens im Viertelfinale. Beim DBB hätten sie nichts dagegen: Das würde ja bedeuten, dass sie ihr EM-Ziel fast erreicht hätten: die Qualifikation für ein Olympia-Qualifikationsturnier für Rio 2016. Sie müssten dann aber zur Sicherheit noch gegen Estland gewinnen.

© SZ vom 05.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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